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Die Flagge folgt dem Handel

China rüstet seine Marine auf - eine Herausforderung für die US-Präsenz im Pazifik

Von Hermannus Pfeiffer *

Was wie ein Aufstieg erscheint, ist doch nur eine Normalisierung: Bis ins 19. Jahrhundert hinein war China bereits eine Großmacht. Der Anteil an der Weltwirtschaftsleistung war sogar höher als heute. Dann aber schrumpfte der Riese zum Scheinriesen, der zwar immer noch groß an Land und Leuten war, aber politisch, militärisch und ökonomisch zum Spielball fremder, oft europäischer Mächte geworden war. Ab 1840, als das imperiale Großbritannien den sogenannten Opiumkrieg entfachte, hatte China seine nationale Souveränität an Kolonialmächte verloren. Seit 1949 bemüht sich das »Rote Reich« trotz aller Irrungen und Wirrungen um eine nachholende Modernisierung. China setzt dabei auf eine enge Verzahnung von Staat, Wirtschaft sowie Außen- und Verteidigungspolitik.

Die hilflose Periode vom Opiumkrieg bis zur japanischen Besatzung prägt die Außenpolitik bis heute. Pekings Sicherheitsdoktrin basiere auf »Selbständigkeit«, verteidigte der Berliner Botschaftsrat Chuan Chen vor einiger Zeit den Kurs seines Landes in den »Blättern für deutsche und internationale Politik«. Die Sorge um die Selbständigkeit mag die Pekinger Befindlichkeiten widerspiegeln. So war China in seiner Geschichte eine nach innen gewendete (Land-)Macht - schließlich ist das Reich groß genug, um sich selber genug zu sein.

Dabei hatte China einst durchaus Erfahrungen als Seemacht gemacht. Seinerzeit musste der Europäer Marco Polo noch mühsam über Land und Steppe reisen, um die sagenhafte Stadt Cetim an der Südostküste Chinas zu erreichen, in der das Wort für den kostbaren »Satin« seine Wurzel hat. »Die gewaltige Menge an Waren, die hier im Hafen ankommt, darunter Edelsteine und Perlen, ist ein wahres Wunder«, begeistert sich Polo in seinem angeblichen Tagebuch. Noch verwunderlicher muss der weit gereiste Kaufmann die mächtigen Hochseeschiffe der chinesischen Händler gefunden haben. Der seit mehr als einem Jahrtausend übliche Handel zwischen Europa, Asien sowie Afrika hatte auf dem beschwerlichen und riskanten Landweg stattgefunden oder lief über das beschauliche Mittelmeer entlang der arabischen Küste. Erst zwei Jahrhunderte nach Marco Polo werden die nordeuropäischen Hansestädte ihre Koggen auf die peitschende Nordsee hinausschicken. Die ersten leistungsfähigen abendländischen Lastschiffe werden jedoch keineswegs so groß und prächtig wie die Seedschunken im Hafen von Cetim sein. Von dort reisen die Kaufleute aus dem Reich der Mitte in ihren komfortablen Luxus-Frachtschiffen mit sieben Masten und Hotelausstattung - Kabinen für Konkubinen und Unterkünfte für Sklaven gehörten ebenso dazu wie Barbiere, Wäscher und ein Basar.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts tauchten die bis zu 60 Meter langen Dschunken an den Ufern Asiens und Afrikas auf. Wenn man so will, war damit die erste Globalisierung perfekt. Dass die Chinesen auf ihren Meeresreisen nicht die europäischen Ureinwohner auf der Iberischen Halbinsel entdeckten, dürfte reiner Zufall gewesen sein. Jedenfalls beeindrucken die legendären sieben Forschungsreisen der aufsehenerregenden Flotten unter Admiral Zheng Hes bis übers Horn von Afrika hinaus noch heute.

Mit der Selbstgenügsamkeit ist es heute allerdings vorbei. Politik und Rüstung folgen der Ökonomie. Der Wiederaufstieg in seiner heutigen späten Phase ist eine Exportoffensive, die China gewaltige Devisenreserven anhäufen ließ, es aber auch abhängig von der Entwicklung der Weltwirtschaft, von Öl- und Rohstoffimporten macht. Peking investierte in Firmen, Know-how und Staatsanleihen in Europa und den USA, in Südamerika und Afrika. Noch nie war China wirtschaftlich so international ausgerichtet wie heute - doch, so eine altgediente maritime Binse: »Die Flagge folgt dem Handel.«

Davon lassen sich in den 2000er Jahren auch die Kommunistische Partei und die Regierung in Peking leiten. Seinen sichtbaren Ausdruck fand der angepeilte Aufstieg zu einer Seemacht von globaler Bedeutung erstmals 2009 ausgerechnet am Horn von Afrika: Die europäischen Anti-Piraten-Mission »Atalanta« nahm China - wie dessen traditioneller Gegenspieler Japan - zum Anlass, erstmals Kriegsschiffe außerhalb der heimatlichen Küstengewässer einzusetzen.

Schon im Dezember 2006 hatte der im März scheidende chinesische Präsident Hu Jintao vor Marineoffizieren erklärt: »Wir sollten die Anstrengung unternehmen, eine mächtige Volksmarine aufzubauen, die sich an ihre historische Mission in einem neuen Zeitalter anpassen kann.« Für die beiden US-amerikanischen Militärstrategen Toshi Yoshihara und James Holmes von der Kriegsmarine-Hochschule in Newport auf Rhode Island war Hus Rede der öffentliche Startschuss für die nachholende Modernisierung der Roten Marine: In jüngerer Zeit wurden dann hochtechnisierte Lenkwaffenzerstörer eingeführt, moderne konventionelle und atomgetriebene Unterseeboote. Und Ende November vergangenen Jahres landeten erstmals Kampfjets auf dem neuen und ersten Flugzeugträger der Volksmarine.

Großbritannien und andere europäische Staaten, die jahrhundertelang die Weltmeere beherrschten, reduzieren heute ihre maritime Machtprojektion. Dagegen erwartet die größte Seemacht, die USA, ein »maritimes Jahrhundert« und richtet ihre Außen- und Verteidigungspolitik stärker auf den Indischen Ozean und den Pazifik aus. Dort treffen sie nicht nur auf die aufrüstende Seemacht China, sondern auch auf wachsende Flotten aus Südkorea, Japan und Australien. Es lauern reichlich Konfliktherde: China streitet sich mit Japan und Südkorea um Inseln und Seegebiete. Das Inselreich Taiwan, welches amerikanische Garantien sichern, wird von Peking als integraler Bestandteil der Volksrepublik angesehen.

China wird in absehbarer Zeit über eine »Weltklassemarine« verfügen und auf die US-Seemacht stoßen, die bislang fast beliebig vor Asiens Küsten kreuzen konnte, schreiben Yoshihara und Holmes in ihrem informativen und theoretisch anspruchsvollen Buch, dessen holprige Übersetzung allerdings das Lesevergnügen mindert. Die Geostrategen zitieren chinesische Analysten, die vor »Zwischenfällen, Fehlkalkulationen und absichtlichen Provokationen« warnen. Sie werden allein durch die Nähe zweier Flottengroßverbände in dem engen Inselmeer zukünftig wahrscheinlicher.

Wohin Pekings Reise politisch geht, ist offen. Einige chinesische Geostrategen sollen für eine gewagte Hochrüstung nach deutschem Vorbild plädieren - unter Führung von Admiral Alfred von Tirpitz versuchte die Landmacht Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg, der dominierenden Seemacht Großbritannien Paroli zu bieten. Aber vielleicht setzt sich auch Maos Militärdoktrin von der »aktiven Defensive« durch? Darüber herrscht »eher Uneinigkeit als Einstimmigkeit«, lautet das vage Fazit von Toshi Yoshihara und James Holmes.

Toshi Yoshihara/James Holmes: Der Rote Stern über dem Pazifik. Chinas Aufstieg als Seemacht - und wie antworten die USA. Verlag E.S. Mittler, Hamburg. 259 S., geb., 24,95 €.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. April 2013


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