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Expo der Superlative

Die rasant wachsende Metropole Schanghai will sich offen präsentieren

Von Anna Guhl *

Erstmals in der Geschichte der Weltausstellungen findet eine Expo in einem Land statt, das sich selbst Entwicklungsland nennt.

Wenige Tage vor der Eröffnung der »Expo 2010« in Schanghai zweifelt niemand mehr daran, dass China, wie vor zwei Jahren die Olympischen Spiele in Peking, auch die Weltausstellung zu einer Show der Superlative nutzen wird. Nie zuvor haben sich so viele Aussteller zu einer Expo angemeldet. Lange sechs Monate werden sich rund 240 Länder, Regionen und Organisationen mit Ausstellungen in eigens errichteten Pavillons auf einer Fläche von mehr als fünf Quadratkilometern zum Thema »Better City, Better Life« (Bessere Stadt, besseres Leben) präsentieren. Mit einem geschätzten Gesamtetat von mehr als 3 Milliarden Euro will sich China mit der bislang teuersten und aufwendigsten Weltausstellung präsentieren. Auch die zu erwartende Besucherzahl von rund 70 Millionen wird alle bisherigen Rekorde sprengen.

Erstmalig in der 150-jährigen Geschichte ist die Expo an ein Land vergeben worden, dessen Gesellschaft immer noch durch einen hohen Anteil von wenig entwickelter Agrarwirtschaft bestimmt wird und das sich selbst als Entwicklungsland bezeichnet. Gut zwei Drittel der 1,3 Milliarden Chinesen leben weiterhin auf dem Land. Der Urbanisierungsgrad liegt mit 40 Prozent weit unter dem Weltdurchschnitt von 55 Prozent.

Gleichwohl schreitet die Urbanisierung in keinem Land so rasant voran wie in China. Gut 60 Millionen Menschen strömen jedes Jahr in die Ballungsräume. Schon jetzt gibt es in China mehr Millionenstädte als anderswo auf dieser Welt. Sieben Metropolen zählen mehr als 10 Millionen Einwohner. In Schanghai selbst wohnen mittlerweile 20 Millionen Menschen, und die Stadt wächst weiter. Gleichzeitig wurde nirgendwo in wenigen Jahren so vielfältig und einzigartig gebaut wie in Chinas Boom-Metropolen. Diese sind heute ein Mekka für namhafte internationale Architekten. Ebenso nehmen die sozialen Probleme zu. Chinas Stadtväter suchen verstärkt nach Lösungsansätzen für attraktives, aber auch gesundes Wohnen -- von der »Expo 2010« erhoffen sie sich praktikable und interessante Anregungen.

China möchte sich offen und modern präsentieren. Dabei ist das politische Peking bei diesem Ereignis nur wenig involviert. In die Pflicht genommen fühlen sich in erster Linie die Schanghaier, die sich ohnehin als Vorreiter in Sachen Weltoffenheit verstehen und sich diesbezüglich gern von ihren Landsleuten vor allem im fernen Peking abgrenzen. Lange vor der Expo haben sie -- oft gegen Widerstände der Zentrale -- viel Geld ausgegeben, um das Modernste und Ausgefallenste an Architektur und Infrastruktur nach Schanghai zu holen, beispielsweise zwei gigantische Wolkenkratzer und eine 32 Kilometer lange Magnetschwebebahnstrecke. Auch in Vorbereitung der Expo ließen sich Schanghais Stadtväter die umfangreiche Verschönerung der Stadt viel kosten.

Somit ist für viele Bewohner die Expo ein willkommener Anlass, viel wichtiger sind aber die Sanierung der weltbekannten Uferpromenade, des Bundes, der Ausbau des U-Bahn-Netzes und neue Flughafen-Terminals. Drei Mal so viel Zeit hätte alles ohne Expo gedauert, schätzt Stadtplaner Pan Haixiao von der Tongji-Universität ein.

Auch auf dem Ausstellungsgelände sind die meisten Arbeiten abgeschlossen. Erstmals sind fast alle Staaten dieser Welt vertreten. Nordkorea und fast ganz Afrika sind mit von der Partie. Auch Länder, die offizielle Kontakte zu Taiwan unterhalten, konnte das politische Peking überzeugen, sich zu präsentieren. Da Washington Expo-Auftritte generell nicht finanziert, half die chinesische Führung auch bei der Bereitstellung eines repräsentativen Landeshauses für die USA nach. Ohne Beteiligung der Supermacht USA wäre die Expo aus chinesischer Sicht kein wirklicher Erfolg.

Jeder Landespavillon ist ein kleines Kunstwerk und spricht für sich. Chinas Halle überragt mit ihren 63 Metern in traditioneller chinesischer Bauform und dunklem Rot als »Krone des Ostens« majestätisch die 31 Provinzpavillons. Auch Hongkong und Macao gruppieren sich »artig« um sie herum. Selbst Taiwan ist vertreten.

Von »großer« Politik ist indes wenig die Rede. Anders als 2008 vor den Olympischen Spielen in Peking beteiligen sich die Wirtschaften aller Länder derart engagiert am Projekt »Stadtentwicklung«, dass soziale und politische Probleme in China kaum thematisiert werden. Und doch sollte jeder Aussteller und Besucher im Hinterkopf haben, dass Zigtausende für die Expo in Schanghai ihr Zuhause verloren haben, oftmals ohne angemessene Entschädigung; dass Millionen von Wanderarbeitern Tag und Nacht auf dem Weltausstellungsgelände ohne ausreichende Unterkunft und angemessene Entlohnung geschuftet haben; dass Tausende, die sich für ihre elementaren Wohn- und Lebensrechte offen einsetzen, noch vor Beginn der Expo der Stadt verwiesen werden.

Lexikon

Schanghai ist das wirtschaftliche Zentrum Chinas. Der »Drachenkopf am Jangtse« zählt mit 18 Millionen Einwohnern zu den zehn größten Städten der Erde, hat weltweit den drittgrößten Hafen und ist wichtigster chinesischer Börsenplatz. Die ehrgeizige Hafenmetropole will Hongkong den Rang als asiatisches Finanzzentrum ablaufen. Mehr als 3000 Hochhäuser und zwei der größten Wolkenkratzer der Welt dokumentieren den Anspruch auf neue Größe. Rund 10 000 ausländische Firmen haben sich hier niedergelassen.

Schanghais Lage als Tor zum Inneren Chinas hatten Mitte des 19. Jahrhunderts schon die Briten erkannt. Die alten Kolonialbauten an der Uferpromenade erinnern an die Blütezeit des früheren »Paris des Ostens« in den 20er und 30er Jahren. Diese endete mit der Besetzung durch Japan 1937. Der Niedergang setzte sich nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949 fort. Seit den 90er Jahren wurde die Hafenstadt bevorzugt entwickelt und erhielt eine Sonderwirtschaftszone, die verstärkt Investitionen anlockte. dpa/ND



* Aus: Neues Deutschland vom 29. April 2010


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