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Bestätigung für Modell des "besonderen Sozialismus"

Hu Jintao konnte seine Positionen auf KP-Parteitag durchsetzen

Hu Jintao konnte seine Positionen auf KP-Parteitag durchsetzen Von Anna Guhl, Peking * Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao bleibt der starke Mann in der Volksrepublik: Der 64-Jährige wurde am Montag für weitere fünf Jahre an der Spitze der Kommunistischen Partei bestätigt. Schon zuvor hatte er sich auf dem Parteitag mit seinen Positionen weitgehend durchgesetzt.

Als die neue chinesische Führungsmannschaft am Sonntagmittag vor die Presse trat, erstmals übrigens nach einem Parteitag der Kommunistischen Partei, bestätigte man offiziell, worüber vor allem in ausländischen Medien seit Monaten spekuliert worden war: Generalsekretär Hu Jintao konnte sich auch in Personalfragen auf dem Parteitag weitestgehend durchsetzen. Sein größter »Widersacher«, der der so genannten Shanghai-Gruppe um Hus Vorgänger Jiang Zemin zugerechnete Zeng Qinghong, ist nicht mehr in den höchsten Parteigremien vertreten. Und wenigstens zwei Kandidaten für die Nachfolge von Hu befinden sich nun in der »Warteschleife«: Zum einen der 54-jährige Xi Jinping, der von Hu im vergangenen Jahr als Parteisekretär in Shanghai eingesetzt wurde, nachdem Vorgänger Chen Liangyu wegen Korruption alle Posten und Funktionen in der Partei verloren hatte. Und dann ist da der seit langem als »Kronprinz« gehandelte 52-jährige Li Keqiang, der seit drei Jahren als Parteichef in der volkswirtschaftlich wichtigen Industrieregion Liaoning im Nordosten agiert.

Überwiegend neue Gesichter sind in dem weiterhin 24 Mitglieder starken Politbüro und in dem jetzt 204 Mitglieder und 167 Kandidaten zählenden Zentralkomitee zu finden. Bis auf wenige Ausnahmen wurden in den letzten fünf Jahren die Spitzenposten der lokalen Parteiführungen als auch die der zentralen und Provinzverwaltung neu und in den meisten Fällen mit Kadern besetzt, die nicht allein Hus Umfeld zuzurechnen und vergleichsweise jung sind, sondern vor allem mindestens über einen Hochschulabschluss und vielfältige Erfahrungen auch in der Auslandsarbeit verfügen. Kenner des politischen Systems in China leiten aus den Personalentscheidungen auch ab, dass sich beim nächsten Volkskongress im Frühjahr 2008, wenn das chinesische Parlament über die Zusammensetzung der neuen Regierung entscheidet, an der Spitze von Staat, Regierung und Parlament erst einmal nichts ändern wird.

Ob Hus »Programm des besonderen chinesischen Sozialismus« allerdings den ökonomischen und sozialen Anforderungen im Land gerecht werden kann, wird sich erst in den nächsten Jahren erweisen. Vom Parteitag angenommen und im Parteistatut festgeschrieben wurde es zunächst einmal.

Den einfachen Bürger auf der Straße hat der ganze Parteitag und das, was an Personalentscheidungen an der Spitze herauskam, allerdings weniger interessiert. Und wären im Pekinger Stadtzentrum nicht auffallend mehr Sicherheitskräfte präsent gewesen – 840 000 Mann, zum großen Teil freiwillige Helfer, sorgten sieben Tage lang für »Ruhe und Ordnung« rund um die Tagungsräume und Unterkünfte –, hätte manch einer gar nichts vom Parteitag mitbekommen. Für die Chinesen sind spürbare Verbesserungen im täglichen Leben weitaus wichtiger als die Veränderungen an der KP-Spitze. Dem hat Hu in seinem Bericht mit einem ganzen Kapitel über notwendige »Verbesserungen der Lebensbedingungen« auch erst einmal Genüge getan. Immerhin hatte sich die Partei unter seiner Führung vorgenommen, »das Wohl jedes Einzelnen zur zentralen Aufgabe der Parteipolitik zu machen«. So war dann auch die Rede von fairen Bildungschancen und medizinischer Betreuung für alle, von materieller Absicherung auch im Alter und der Befriedigung individueller Wohnungsansprüche.

Nun ist ordnungspolitisch gesehen die Kommunistische Partei als politische Führungskraft im Land nicht für die Tagespolitik, sondern zunächst einmal für die strategische Programmatik zuständig. Doch das, was Hu in seinem Bericht ansprach, war weder neu noch ist es greifbar. Allein der Verweis, dass Sozial- und Umweltpolitik nun stärker beachtet und mit mehr staatlichen Investitionen bedacht werden sollten, wird nicht ausreichen, um Nachhaltigkeit und Effizienz in der Wirtschaftsentwicklung und eine Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Land zu erreichen. Da bedarf es auch Signale grundsätzlicher Art, beispielsweise in Richtung Abschaffung der sozialen Diskriminierung der Landbevölkerung.

Ebenfalls hinter den Erfordernissen zurück blieben die angekündigten politischen Reformansätze. Sicher, Hu spricht sich im Bericht für mehr Basisdemokratie und Selbstverwaltung auf unterer Ebene aus, fordert transparente und serviceorientierte Regierungsarbeit, mehr Bürgermitsprache und -kontrolle. Chinesische Medienbeobachter zählten 60 mal das Wort Demokratie im Bericht des Parteichefs. Doch was verbirgt sich dahinter? Haben Hus Vorgänger noch auf eine Trennung von Partei und Regierung orientiert, wird mit der neuen Aufgabenstellung für die KP, sich nun auch als Regierungskraft zu profilieren, erst recht ein kräftiges Mitmischen in allen Abläufen des gesellschaftlichen Lebens vorausgesetzt. Marktwirtschaft ja, aber unter Leitung der Partei, Förderung der Privatwirtschaft, aber nur, wenn in allen Unternehmen Parteiorganisationen aufgebaut werden, Gesetzestreue, aber zunächst legt die mächtige Parteidisziplinkontrollkommission das Strafmaß fest.

Bei allem politischen Pragmatismus, den die Führung der KP Chinas mit ihrem »Programm des besonderen chinesischen Sozialismus« auch verfolgt: Wollen Hu und seine Mannschaft die Korruption im Land wirksam bekämpfen und eine moderne, offene zivile Gesellschaft in China schaffen, gehört langfristig eben auch dazu, dass sich die führende und regierende Partei an Verfassung und geltende Gesetze hält, sich der Justiz unterordnet und sich die Medien im Land allen Themen öffnen können.

Hintergrund: Die neue Führung der KP Chinas

Der Ständige Ausschuss des Politbüros hat neun Mitglieder:
  • Hu Jintao (65 Jahre), Generalsekretär, Staatspräsident und Leiter der Zentralen Militärkommission;
  • Wu Bangguo (66 Jahre), Vorsitzender des Nationalen Volkskongresses (Parlament);
  • Wen Jiabao (65 Jahre), Ministerpräsident;
  • Jia Qinglin (67 Jahre), Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz (»Nationale Front«, in der weitere acht Parteien sowie Massenverbände und Organisationen vereinigt sind);
  • Li Changchun (63 Jahre), bisher zuständig für Ideologie und Propaganda, jetzt für Parteiapparat; möglicher Nachfolger des Vize-Staatspräsidenten.
Neu hinzu gekommen sind:
  • Xi Jinping (54 Jahre), bisher Parteisekretär in Shanghai, möglicher Erster Vizepremier, verantwortlich dann für Bankwesen, Finanzen, Reform der Staatsbetriebe und Arbeitsmarktpolitik;
  • Li Keqiang (52 Jahre), bisher Parteisekretär in Liaoning, jetzt zuständig für Ideologie, Propaganda und Medien;
  • He Guoqiang (64 Jahre), bisher Leiter der ZK- Organisationsabteilung, jetzt Chef der Parteidisziplinkontrollkommission;
  • Zhou Yongkang (64 Jahre), bisher Minister für Öffentliche Sicherheit und Politbüro-Miglied, jetzt zuständig für innere Sicherheit und Ordnung.
ND



* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2007


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