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Peking muß nachsitzen

Jobs für Millionen sichern: Nach Zickzackkurs setzt China wieder auf billiges Geld und wachsende Investitionen. Die Gefahren bleiben

Von Rainer Rupp *

In den zurückliegenden Tagen kamen aus China sehr widersprüchliche Nachrichten. So meldete das Nationale Amt für Statistik in Peking Ende vergangener Woche, daß die Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) des Landes im ersten Quartal 2011 nur um 8,1 Prozent gewachsen sei. Es war die niedrigste Zunahme in fast drei Jahren. Diese Neuigkeit aus der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt verdarb rund um den Globus die Stimmung an den Börsen. Schon am Sonnabend jedoch hellte sich die Stimmung wieder auf. Überraschend hatte Peking die teilweise Liberalisierung der chinesischen Währung Renminbi (Volksgeld) bekanntgemacht. Diese kann nun an den Devisenmärkten innerhalb einer Bandbreite von einem Prozent von dem in Peking festgelegten Wechselkurs zum US-Dollar nach oben und unten schwanken, ohne daß die Zentrale interveniert.

Angesichts der großen Problemfelder, die Pekings Wirtschaftslenkern derzeit zu schaffen machen – insbesondere die gigantische spekulative Immobilienblase, die zunehmende Arbeitslosigkeit auf Grund nachlassender Nachfrage aus dem Ausland und die wachsenden sozialen Widersprüche zwischen Arm und Reich und zwischen Stadt und Land – wird die Teilliberalisierung als klares Zeichen dafür gesehen, daß die Führung des Landes die weitere wirtschaftliche Entwicklung im Griff hat. Als Beleg dafür führen Analysten an, daß Peking in der Vergangenheit mit dem für den Handel, die Produktion und die Beschäftigung hochempfindlichen Steuerinstrument »Wechselkurs« nie leichtfertige Experimente gemacht habe, denn in Chinas Produktionssektor hängen allein vom Export 200 Millionen Arbeitsplätze ab.

»Die gute Nachricht ist: Chinas Regierung wird eine weiche Landung hinlegen. Die schlechte Nachricht: Selbst eine weiche Landung ist für all jene (westlichen) Branchen schmerzhaft, für die die am schnellsten in der Welt wachsende, große Volkswirtschaft bisher der wichtigste Profitbringer gewesen ist«, faßte der US-Finanznachrichtendienst Bloomberg die Lage zusammen. Dagegen gehen australische Analysten von einem weitaus stärkeren Wachstumseinbruch aus, als Peking Ende letzter Woche eingestanden hat.

»Eines der weitgehend unerkannten, wahren Wunder der modernen Welt« sei die Tatsache, »daß es China in weniger als zwei Wochen gelinge, bei 1,3 Milliarden Menschen die gesammelten Daten vom letzten Quartal vorzulegen und der Welt sein vierteljährliches Wirtschaftswachstum mitzuteilen, während die gleiche Prozedur im kleinen Australien über drei Monate dauert«, zitierte am Montag die australische Ausgabe der International Business-Times einen lokalen Experten. »Der Wunsch westlicher Analysten, jede aus China kommende Statistik positive (für die Weltwirtschaft) zu interpretieren« sei »geradezu lächerlich«. Allerdings brauchen »die internationalen Investoren dringend eine gute Nachricht, um ihre Nerven wegen der Rückkehr der Euro-Krise zu beruhigen«, erklärte Bloomberg die Neigung, möglichst viele Meldungen aus dem Reich der Mitte positiv zu bewerten.

Allerdings sind auch in China die dringendsten großen Probleme nicht gelöst. Der 12. Fünfjahresplan (2011–15) strebt eine ausgewogenere Entwicklung der Wirtschaft an, weg vom Fokus auf Investitionen und Exporte und hin zu einem stärker vom heimischen Konsum getragenen Wachstum, das dadurch auch von krisenhaften Entwicklungen im Ausland weniger abhängig wäre.

Die Investitionen machen nämlich etwa 50 Prozent und der private Konsum knapp über 30 Prozent des chinesischen BIP aus. Aber unterm Strich ist seit Inkrafttreten des Plans nichts passiert. Peking hat zwar 2011 versucht, eine Abschwächung der Investitionen hinzubekommen. Die Straffung der Geldpolitik führte jedoch zu einer raschen Verlangsamung des Wachstums der Kredite und der Geldmenge. Dies wiederum hatte zur Folge, daß dem ungeheuren Investitionsboom (im Grunde eine Infrastruktur- und Immobilienblase) schneller als gewünscht die Luft ausging. Zugleich aber gab es kaum Anzeichen, daß die chinesischen Verbraucher durch vermehrten Konsum die Wirtschaft hinreichend ankurbeln würden, um eine Deflation zu verhindern. Das aber wäre bei einem Platzen der Blasen unausweichlich geworden.

Ein starker Wachstumsrückgang oder gar eine Deflation hätte für das ohnehin von zunehmenden sozialen Ungleichgewichten geplagte China katastrophale Folgen mit einer Millionenschar Arbeitsloser und keine nennenswerten sozialen Auffangnetzen. Die derzeit von starken inneren Spannungen geplagte Kommunistische Partei müßte in einem solchen Fall damit rechnen, daß in den dann zu erwartenden Unruhen ihre Autorität in Frage gestellt würde. Allein der Gedanke daran machte die zentralen Planer in Peking offensichtlich nervös und sie lockerte die Geldpolitik erneut.

Nun fährt der Riesentanker China wieder auf dem alten, aber gefährlichen Kurs des billigen Geldes, des rapidem Kreditwachstums und der Rieseninvestitionen, ohne das deren Effizienz, bzw. Produktivität berücksichtigt wird. Es scheint egal, ob auch die neuen gigantischen Shoppingcenter oder Hochhäuser leerstehen, oder ob die Ressourcen wirklich am besten eingesetzt sind, wenn in zweit- oder drittrangigen Städten zwei oder drei Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge gebaut werden. Wichtig ist, daß die Beschäftigung nicht einbricht und die offiziellen Wachstumsziele erreichen werden. Ähnlich wie in den USA und Europa schiebt auch China die Lösung seiner Hausaufgaben nur hinaus und riskiert dadurch einen umso stärkeren Einbruch zu einem späteren Zeitpunkt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. April 2012


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