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Merkel im Reich der Mittel

Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen im Zeichen der Euro-Krise

Von Detlef D. Pries *

Fast könnte man die Bundeskanzlerin bedauern: Bevor sie am Mittwoch zu ihrer zweiten Chinareise in diesem Jahr aufbrach, wurde Angela Merkel von allen Seiten mit Mahnungen, Wünschen und Aufträgen überschüttet.

Frau Merkel lasse sich in Peking Honig ums Maul schmieren, klagte Viola von Cramon, Bundestagsabgeordnete der Grünen, und forderte, die Bundesregierung dürfe sich bei ihren Konsultationen nicht länger von China um den Finger wickeln lassen. Wenigstens dessen darf Frau von Cramon sicher sein: Man stelle sich nur Umweltminister Peter Altmaier, einen von sieben ministeriellen Begleitern der Kanzlerin, am Finger eines schmalen Chinesen vor!

Aber es gibt durchaus auch ernst gemeinte Aufträge für die Kanzlerin und ihr Gefolge: Altmaier etwa soll den ruinösen Preiskampf der chinesischen Solarbranche »offen ansprechen«, deutsche Unternehmen erwarten besseren Patentschutz in China, deutsche China-Korrespondenten weniger Behinderung bei »heiklen Themen«. Die Lage in Tibet soll die Kanzlerin zur Sprache bringen, für Konzeptkünstler Ai Weiwei und den gefangenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo soll sie ein Wort einlegen, für die Menschenrechte im Allgemeinen und die Meinungsfreiheit im Besonderen soll sie sich einsetzen ... Redlich wird sich Merkel mühen, alle diese Aufträge zu erfüllen. Doch wird sie sich hüten, ihre Partner vor den Kopf zu stoßen. Aus gutem Grund: Just am Mittwoch teilte das Statistische Bundesamt mit, wie kräftig die steigende Nachfrage aus »Schwellenländern«, allen voran China, den deutschen Außenhandel beflügelt. Während die deutschen Exporte insgesamt seit 1996 jährlich um 6,7 Prozent zunahmen, wuchsen die Ausfuhren ins Reich der Mitte um durchschnittlich 17,8 Prozent im Jahr. Leicht vorstellbar, was das für den »Arbeitsmarkt« hierzulande bedeutet. Zumal in der momentanen Euro-Krise sähe man gerne, dass China einen Teil seiner sagenhaften 3,2 Billionen Dollar Devisenreserven in der Euro-Zone anlegte, sei es durch direkten Kauf von Staatsanleihen, sei es durch Investitionen in die Wirtschaft. Aber auch neue Aufträge erwartet man: Airbus beispielsweise hofft auf die Bestellung von rund 100 Flugzeugen. Nicht zufällig besucht die Kanzlerin am Freitag das Airbus-Werk in Tianjin, der Heimatstadt ihres Kollegen Wen Jiaobao. Der wird demnächst sein Amt in jüngere Hände übergeben, die Bundeskanzlerin aber gewiss darauf hinweisen, dass auch sein Nachfolger das Wohlergehen einer 1,4-Milliarden-Bevölkerung über die Forderungen Einzelner oder kleinerer Gruppen stellen wird. Immerhin hat kein anderes als das vermeintliche »Auslaufmodell« Chinas so viele Menschen in so kurzer Zeit aus der Armut zu relativem Wohlstand geführt - seine einheimischen Kritiker eingeschlossen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. August 2012


Peking erwartet Ergebnisse

Vor den Regierungskonsultationen Deutschland - China

Von Werner Birnstiel **


Kurz vor dem 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China am 12. Oktober 1972 - mit der DDR bestanden solche Beziehungen bereits seit dem 25. Oktober 1949 - ist Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut zu einem Spitzentreffen nach Peking aufgebrochen.

Geplante Ankunft der Regierungsmaschine aus Berlin: Donnerstagmorgen 7.40 Ortszeit (1.40 Uhr MESZ). Begleitet wird die Bundeskanzlerin von etlichen Ministern und Staatssekretären, denn auf dem Reiseprogramm stehen die jährlich vereinbarten Regierungskonsultationen. Nach der ersten Runde solcher Konsultationen im Juni 2011 ist dies die zweite. Chinas Regierung hat angekündigt, man werde mit 13 Ressorts vertreten sein. Eine gute Gelegenheit also, langfristig Weichen zu stellen - und dies nicht nur für das zweiseitige Verhältnis. Denn bilaterale Fragen sind stets direkt und indirekt mit der EU-Gesamtentwicklung und deren Schulden- und Bankenkrise verknüpft.

An die politischen Beziehungen geht Merkel ganz auf ihre Art pragmatisch heran. Das entspricht vollauf den chinesischen Vorstellungen: Wichtig sind zukunftsfähige Ergebnisse. Wenige Wochen vor dem 18. Parteitag der KP Chinas im Herbst und dem planmäßigen Personalwechsel in der chinesischen Führung werden Entwicklungsbereiche beraten, die für die Zusammenarbeit bis weit in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts bedeutsam sein werden. Höflich, aber entschieden werden sich die Gastgeber dagegen verwahren, dass sich die Deutschen in ihre inneren Angelegenheiten einmischen, indem sie etwa Chinas Umgang mit dem »Konzeptkünstler und Regimekritiker« Ai Weiwei, der wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, zum politischen Streitthema stilisieren.

Kern des Miteinanders bleiben stattdessen die Wirtschaftsbeziehungen, die immer vielschichtiger und intensiver werden. Natürlich beobachtet auch Peking mit Sorge, wie sich die Staatsschulden- und Bankenkrise bei seinem bedeutendsten Exportpartner innerhalb der EU entwickelt. Gelassener betrachtet man dagegen die sogenannte Euro-Schwäche. Für China zählen die Stärke der Realwirtschaft, funktionierende politische Lenkungs- und Leitungsmechanismen und der wachsende wirtschaftliche Austausch bei zunehmender Vernetzung der EU-Mitgliedstaaten miteinander. Der Euro ist und bleibt für Peking die zweite Leitwährung nach dem Dollar. Der eigene Renminbi soll als dritte im Verlaufe der nächsten etwa 15 Jahre hinzukommen.

Alles andere als zufällig ist, dass Peking unmittelbar vor diesen Regierungskonsultationen deutlicher denn je darauf drängte, die Kooperation in Forschung und Entwicklung mit der EU, nicht zuletzt mit Deutschland auszubauen. Parallel zu den Großkonzernen engagieren sich derzeit etwa 5000 deutsche mittelständische Unternehmen in China. Für sie, aber auch für ihre chinesischen Partner, ist der Schutz geistigen Eigentums von immenser Bedeutung.

Sehr aufmerksam beobachten die Chinesen neuerdings auch das Herangehen der Deutschen an die Gestaltung der Energiewende. Zwar sind die Themenfelder nachhaltiges Wirtschaften, demografische Entwicklung, Urbanisierung und Mobilität bereits Gegenstand des politischen Dialogs, doch für die Zukunft ergeben sich durch die Einbeziehung des Komplexes Energiewende nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für eine innovative Kooperation. Diskussionsthema wird bleiben, wie politisches und wirtschaftliches Potenzial ausdrücklich zum gegenseitigen Vorteil erschlossen wird.

Natürlich werden auch kontrovers betrachtete Themen wie der brutale Bürgerkrieg in Syrien oder die Politik gegenüber Iran zur Sprache kommen. Keine Seite ist aber daran interessiert, dass die gegensätzlichen Standpunkte dazu die Zusammenarbeit ernsthaft gefährden.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. August 2012


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