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Auf dem Weg zum Kommunismus

Merkel besucht Volksrepublik China / KP-Führer sollen den Euro retten helfen

Roland Etzel *

Kanzler begegnen Kommunisten – da ist die Liste der Begehrlichkeiten und Forderungen stets lang, vor allem wenn deutsch-chinesische Treffen anstehen. Das hat bereits Tradition und ist beim gegenwärtigen Besuch von Angela Merkel in China, der am gestrigen Mittwoch begann, nicht anders. Zu dieser Tradition gehört auch, dass die deutsche Wunschliste stets länger als die chinesische ist und medial um einiges massiver vorgetragen wird.

Selbstverständlich hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Prioritätenliste für die zu behandelnden Themen, die sie mit ihrem Amtskollegen, Ministerpräsident Wen Jiabao, oder Staatspräsident Hu Jintao erörtert. Das ist wohl bei jedem Staatsbesuch so. Gemessen an Häufigkeit und Lautstärke der hier in Deutschland genannten Themen hätte die Kanzlerin China vor allem zur Achtung der Menschenrechte zu ermahnen, als nächstes Peking aufzufordern, sich in die antiiranische Boykottfront einzureihen, und schließlich im UN-Sicherheitsrat eine gegen Syrien gerichtete Resolution passieren zu lassen. Sollten diese Themen aber tatsächlich die Gespräche dominieren - die Atmosphäre würde sehr schnell sehr frostig.

Bei diversen Anlässen in der Vergangenheit hat die chinesische Führung unmissverständlich klargestellt, was sie als Einmischung nicht hinnimmt. Dann wird ein Treffen auch mal ganz kurzfristig abgesagt. So erlebte es 2007 Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, nachdem Merkel als Kanzlerin den Dalai Lama empfangen hatte. Ähnlich erging es 2010 den EU-Repräsentanten José Manuel Barroso und Herman van Rompuy, als sie glaubten, ihre Pekinger Gäste ungefragt mit chinesischen Exilanten konfrontieren zu können.

Doch dazu wird es kaum kommen. Zum einen hat die chinesische Führung ein gewisses Verständnis dafür, dass deutsche Politiker den selbst aufgestellten Geßlerhut »Menschenrechte in China/Tibet« vor dem Eintreffen in Peking besonders laut grüßen, um danach um so konsequenter zur eigentlichen Tagesordnung überzugehen - und da stehen Finanzen und Wirtschaft ganz oben. Zum anderen wusste Bundeskanzlerin Merkel immer recht gut, welchen Respekt sie den chinesischen Kommunisten schuldet. Gestern wurde sie mit den Worten zitiert, sie wolle das Thema Menschenrechte »in der gebotenen Höflichkeit und Klarheit« vorbringen.

In Peking geht es nicht zuletzt darum, China dafür zu gewinnen, einen gewichtigen Teil der Billionenüberschüsse des Landes in wacklige europäische Anleihen zu investieren. Sollte also der Ton nicht stimmen in Peking, hätte die Kanzlerin auch als Bittstellerin des krisenzerzausten Euro-Merkozy-Managements schlecht gehandelt.

* Aus: neues deutschland, 2. Februar 2012


Seltsames Geschichtsverständnis

Ein Stück deutsch-chinesischer Historie **

Die Bundeskanzlerin hat sich auf den Weg nach China begeben. Neben so schwierigen Themen wie Finanzkrise, Eurorettung und Menschrechten ist ein weiteres, durchaus freudiges Ereignis zu besprechen: 2012 begehen die Bundesrepublik und die Volksrepublik China nämlich den 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen.

In einer an Jahrestagen nicht gerade armen Zeit wäre das sicher kein sonderlich erwähnenswertes Jubiläum, aber bei den vielen schwierigen Themen der Kanzlerin im fernen Peking ist so ein Jahrestag ein sicherlich willkommener Anlass. Wäre da nicht ein vom Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Peking herausgegebenes Logo, das Veranstaltungen aller Art verliehen werden soll, die dieses Jubiläum würdigen. Auf dem Logo heißt es: »40 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland - China!«

Verwundert fragt sich da der Betrachter: Was war denn vor dem Jahre 1972, als die Bundesrepublik ihre diplomatische Zurückhaltung gegenüber der Volksrepublik aufgab?

Gab es nicht schon Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts diplomatische Beziehungen zwischen dem wilhelminischen Kaiserreich und dem Kaiserhof in Peking? Und wie war das mit den deutschen Beratern, die die nationalistisch-bürgerliche Regierung unter Tschiang Kai-schek in den 20er und 30er Jahren beraten haben? Auch in dieser Zeit, wie auch selbst während des »Dritten Reiches« gab es bereits eine deutsche Botschaft in China.

Und nach dem Zweiten Weltkrieg? Die DDR gehörte zu den ersten Staaten, die das neue China 1949 anerkannten und wenig später wieder eine Botschaft in Peking eröffneten. In Bonn hatte man seinerzeit noch die Hoffnung, dass die Volksrepublik unter Mao Zedong nicht lange überleben würde. Deshalb richtete man seine Vertretung in Taibei auf der Insel Taiwan ein, wohin der geschlagene Tschiang Kai-schek mit seinen Getreuen geflohen war. Es dauerte bis 1972, dass man im Auswärtigen Amt seinen Irrtum einsah und die Volksrepublik anerkannte. Und wie sich 40 Jahre später zeigt, haben das Amt und seine Botschaft in Peking immer noch ein seltsames Geschichtsverständnis. Man feiert ungeachtet der historischen Fakten 40 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen »Deutschland« und »China«. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt! LP

** Aus: neues deutschland, 2. Februar 2012


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