Pekinger Gratwanderung
Chinas Wirtschaft boomt. Wie lange Aufschwung anhält, ob Finanzblase beherrschbar ist und Statistiken solide sind, bleibt abzuwarten
Von Tomasz Konicz *
Wird China zur neuen »Lokomotive der Weltwirtschaft«? Diesen Eindruck
könnte bekommen, wer die jüngste konjunkturelle Entwicklung in Fernost
verfolgt. So hatte schon im vergangenen Frühjahr Weltbankchef Robert
Zoellick die These aufgestellt, daß die Beschleunigung des chinesischen
Wachstums die gesamte Weltwirtschaft aus der Rezession führen werde. Das
Handelsblatt zitierte in einer Analyse Mitte Juli den Unicredit-Ökonom
Andreas Rees, der Chinas Ökonomie »der Weltwirtschaft ein bis zwei
Schritte voraus« sah.
Die jüngsten von Peking veröffentlichten Zahlen sehen auf den ersten
Blick imposant aus. So legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Chinas im
zweiten Quartal dieses Jahres um 7,9 Prozent im Jahresvergleich zu. Dies
stellt eine erhebliche Dynamisierung gegenüber dem ersten Quartal 2009
dar, in dem das BIP um 6,1 Prozent wuchs. Getragen wird diese
Entwicklung den Angaben zufolge vor allem von der verarbeitenden
Industrie, wo die Produktion im Juni um knapp elf Prozent gegenüber dem
Vorjahreszeitraum zulegte. Im Mai betrug das Wachstum der
Industrieproduktion in China neun Prozent. Als ein weiterer
Konjunkturmotor fungiert der Einzelhandel, dessen Umsätze im Juli um
15,2 Prozent zunahmen.
Schon werden die ersten regionalen und globalen Auswirkungen dieses -
mitten in der Weltwirtschaftskrise gestarteten - chinesischen Booms
registriert. »Japan profitiert von der wieder anziehenden Wirtschaft
Chinas«, erklärte der Fondsmanager Stefan Meyer gegenüber der Financial
Times Deutschland (FTD): Ȇber 50 Prozent der japanischen Exporte gehen
in den asiatischen Raum, der Anteil der USA ist auf unter 20 Prozent
gefallen.« Nach einem katastrophalen Einbruch der Wirtschaft (minus 14,5
Prozent im ersten Quartal 2009) rechnet die japanische Notenbank
inzwischen mit einem leichten Wachstum von 0,5 Prozent im dritten
Quaratal dieses Jahres. Auch »Exportweltmeister« Deutschland profitiert
von dieser konjunkturellen Belebung, gingen doch 2008 zwölf Prozent
aller BRD-Ausfuhren nach Fernost.
Alles in Butter? Wird das kapitalistische Weltsystem nach einem
dramatischen Absturz eine ebenso spektakuläre Erholung erfahren, mit
einem die USA beerbenden China als der neuen, kapitalistischen
Führungsmacht? Die Entwicklung der Exporte konterkariert die sonstigen
Jubelnachrichten von der chinesischen Produktionsfront. Die sind im Juli
um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen, und eine
Erholung zeichnet sich nicht ab. Im Juni betrug das Minus 21 Prozent.
Die Belebung ist maßgeblich dem Konjunkturprogramm im Umfang von 460
Milliarden Euro zu verdanken, das Peking Ende 2008 aufgelegt hatte. VDie
durch staatliche Ausgaben ausgelöste Konjunkturbelebung könnte nach
Erschöpfung der Finanzmittel schnell abflauen. Pekings Wirtschaftswunder
ist zwar nicht auf Pump finanziert wie zuvor jahrzehntelang das der USA.
China plündert vielmehr sein »Sparschwein« zur konjunkturellen Belebung.
Die durch Außenhandelsüberschüsse mit den USA und anderen Staaten
aufgebauten Devisenreserven des Landes belaufen sich auf nahezu zwei
Billionen US-Dollar - Teile dieses Schatzes wurden nun für das
Konjunkturprogramm genutzt.
Ein weiterer Faktor, der zum aktuellen Konjunkturboom beitrug, ist die
expansive Geldpolitik der Regierung. Die Zentralbank gab das Wachstum
der Geldmenge M2 (umlaufendes Bargeld plus kurz- und mittelfristige
Anlagen) im vergangenen Juli mit 28 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat
an. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete, haben die chinesischen
Banken in der ersten Hälfte dieses Jahres 1,1 Billionen US-Dollar an
neuen Darlehen vergeben. Laut FTD war somit die Kreditvergabe im Reich
der Mitte dreimal so hoch wie im Vorjahreszeitraum. Ein erheblicher Teil
dieser Gelder wurde nicht investiert, sondern floß in Spekulationen bzw.
den Konsum. Es drohen somit Kreditausfälle, aber auch spekulative
Exzesse auf den Aktien- und Immobilienmärkten. Die Grundstückspreise in
36 chinesischen Städten stiegen laut einer Regierungsstatistik um 6,3
Prozent innerhalb des letzten Krisenjahres. Chinesische Aktienindizes
haben in den vergangenen sechs Monaten zwischen 79 und 97 Prozent
zugelegt. »Die dem Aktienmarkt zur Verfügung stehende Summe exzessiver
Liquidität ist höher als zu jedweder Zeit seit den frühen Neunzigern«,
zitierte die Finanznachrichtenagentur Market Watch aus einem Report des
»Finanzdienstleisters« Credit Suisse: »Ohne monetäres
Gürtel-Engerschnallen und/oder eines scharfen Anstiegs des
Wirtschaftswachstums könnte es sehr schwierig werden, das Aufkommen
einer großen und zerstörerischen Spekulationsblase aufzuhalten.«
Inzwischen ist klar, daß die Staatsführung die monetäre Notbremse ziehen
wird. Zhang Jianguo, Präsident der »China Construction Bank«, erklärte
am 6.August, die Kreditvergabe im zweiten Halbjahr 2009 um 70 Prozent
verringern zu wollen. »Ich fühle, daß einige Industrien zu schnell
expandieren«, sagte er gegenüber Bloomberg. »Die Immobilienpreise
steigen zum Beispiel zu schnell, und die Immobilienverkäufe wachsen zu
schnell.« Jüngste Zahlen der Zentralbank bestätigen diesen Trend zur
Geldverknappung. Im Juli wurden in China nur noch Kredite von 355,9
Milliarden Yuan (etwa 36,5 Milliarden Euro) vergeben, während im Juni
noch 1,53 Billionen Yuan ausgereicht wurden.
Die »Konjunkturlokomotive« könnte also bald mehr unter Dampf stehen, als
dem Heizer lieb ist. Zudem werden in China auch Befürchtungen laut, daß
ein erheblicher Teil des jüngst gemeldeten Wirtschaftsaufschwungs -
ähnlich wie in den USA oder der BRD - auf kreativer Anwendung
statistischer Methoden beruht.
* Aus: junge Welt, 17. August 2009
Zurück zur China-Seite
Zurück zur Homepage