Zwischen China und Japan schmilzt das Eis
Wen Jiabao reist erstmals nach Tokio
Von Anna Guhl, Peking *
Er wolle nun das Eis zum Schmelzen bringen, das der japanische Premier Shinzo Abe mit seinem
Besuch in Peking vor gut einem halben Jahr aufgebrochen hatte. So beantwortete Chinas
Regierungschef Wen Jiabao die Frage eines japanischen Journalisten nach dem Ziel seiner Japan-
Reise.
Fünf lange Jahre hatte eisige Kälte zwischen den Mächtigen der beiden großen asiatischen Staaten
China und Japan geherrscht. Dann führte die erste Auslandsreise des japanischen Premiers Shinzo
Abe Anfang Oktober letzten Jahres gleich nach China. Seitdem ist der Ton zwischen den beiden
asiatischen Nachbarn deutlich wärmer geworden, auch wenn noch keines der Probleme, die bisher
für Spannungen sorgten, wirklich gelöst ist. Aus Südkorea kommend, wird Wen Jiabao heute als
erster chinesischer Regierungschef seit fast sieben Jahren zu einem dreitägigen offiziellen Besuch
in Tokio erwartet.
Die politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten hatten ihren Tiefstand erreicht, nachdem
Abes Vorgänger Junichiro Koizumi wiederholt den Yasukuni-Schrein besucht hatte, in dem
japanischer Kriegstoter gedacht wird. Eben dort werden auch verurteilte Kriegsverbrecher geehrt,
die für Gräueltaten in China verantwortlich sind. Nachdem Chinas Präsident Hu Jintao Ende März
letzten Jahres bei einem Treffen mit Vertretern japanisch-chinesischer Freundschaftsgesellschaften
erklärt hatte, er stehe erst für einen Gipfel zur Verfügung, wenn Koizumi seine Schreinbesuche
unterlasse, hatten sich die Fronten sogar noch verhärtet. Längst drohte auch die florierende und für
beide Seiten gewinnträchtige Wirtschaftskooperation von der politischen Kälte in Mitleidenschaft
gezogen zu werden. So war der Regierungswechsel in Japan im letzten Herbst mit großer
Spannung erwartet worden.
Shinzo Abe, obwohl sehr konservativ und nationalistisch eingestellt, hatte sich zeit seiner
Politikerkarriere mit konfrontativen Äußerungen gegenüber China zurückgehalten. Und nachdem er
das Amt des Regiierungschefs übernommen hatte, war der Druck aus der eigenen Wirtschaft so
stark, dass er schnell deutliche Signale für ein Ende der Eiszeit in den Beziehungen zu China und
auch zu Südkorea setzen musste.
Aber auch in China wurden die Stimmen lauter, die einen Fortschritt in den Beziehungen nicht allein
von historischen Fragen abhängig machen wollten. Das »Atomproblem« der KDVR, die
Verhandlungen über die Ausbeuting von Gasfeldern im Ostasiatischen Meer, die Klärung
beiderseitiger territorialer Ansprüche auf die Diaoyu-Inseln und die Taiwan-Problematik seien von
größter Bedeutung sowohl für das zweiseitige Verhältnis als auch für ein vernünftiges Miteinander in
der Region.
Vor diesem Hintergrund bemühten sich beide Seiten in den letzten Monaten um Sachlichkeit und
Pragmatismus. Das galt nicht nur für die Arbeitsebene, auch die politischen Spitzen vermieden
scharfe Polemik. Beide Regierungen regten die Bildung einer 20-köpfigen chinesisch-japanischen
Expertengruppe an, die sich seit Dezember letzten Jahres mit den unterschiedlichen Blickwinkeln
bei der Betrachtung der gut 2000 Jahre alten gemeinsamen Geschichte befasst. Keine leichte
Aufgabe angesichts der Tatsache, dass sich in diesem Jahr sensible historische Ereignisse wie der
Einmarsch der japanischen Armee in Peking und das Massaker an der Zivilbevölkerung in Nanjing
zum 70. Male jähren.
Umfragen in China und Japan zufolge werden die derzeitigen Beziehungen durchweg als schlecht
angesehen. Insofern erwartet die Mehrheit der Bürger vom chinesisch-japanischen Gipfel nicht viel
mehr, als dass die politischen Führungen wieder vernünftig miteinander reden. Dass es beiderseits –
zumindest kurz vor dem Treffen – nicht an gutem Willen fehlt, zeigt Abes öffentliche Entschuldigung
für seine Äußerung, es gebe keine Beweise für eine Beteiligung der japanischen Armee an der
Zwangsrekrutierung von Sex-Sklavinnen während des Zweiten Weltkrieges. China soll erstmals
Unterstützung für die Aufklärung des Schicksals von Japanern signalisiert worden sein, die in den
70er Jahren nach Nordkorea entführt wurden. Auch dem Anspruch Japans auf einen ständigen Sitz
im UN-Sicherheitsrat widerspricht Peking nicht mehr so vehement wie bisher.
* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2007
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