China: Krise als Chance?
Aufstieg zur ökonomischen Weltmacht
Von Fred Schmid *
Wie meistert China die Krise? Ist das chinesische
Krisenmanagement nachhaltig erfolgreich?
Gelingt dem Land der Sprung von
der nachholenden Entwicklung zur Schrittmacher-
Technologie? Wie löst das Riesenreich
die gewaltigen sozialen und ökologischen
Probleme?
Diese Fragen sind für die Ausstrahlung
Chinas auf Schwellen- und Entwicklungsländer
von großer Bedeutung. Vor allem für
die asiatischen Länder ist die ökonomische
Bedeutung Chinas jetzt in der Weltwirtschaftskrise
gewaltig gewachsen. Diese
Länder bestreiten den Großteil ihres Handels
mit China. 2008 waren unter den zehn
größten Lieferländern an China acht asiatische:
Allen voran Japan, Südkorea, Taiwan
– an vierter und fünfter Stelle USA und
Deutschland, dann folgten wieder fünf asiatische
Lieferanten. Die chinesische Wirtschaftsdynamik
hat bewirkt, dass Südostasien
– mit Ausnahme Japans – Wachstumsregion
blieb.
"Die schnelle Umsetzung des
chinesischen Konjunkturpakets hilft offensichtlich
einer ganzen Reihe von Ländern in
Asien und Ozeanien", stellte Andreas Rees,
Chefvolkswirt von Unicredit, bereits Mitte
2009 fest.
"China hat die Rolle als regionale
Konjunkturlokomotive übernommen" (FTD, 2.7.09), die seit zwei Jahren voll
unter Dampf steht. Denn China ist aus der
globalen Finanz- und Wirtschaftskrise gestärkt
hervorgegangen. Umgekehrt hat das
westliche Leitbild "Marktwirtschaft" unter
der Krise dramatisch gelitten.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) rechnet
in diesem Zusammenhang damit, dass
sich im Verlauf der Weltwirtschaftskrise die
Ausstrahlung und Sogwirkung Chinas gegenüber
anderen Ländern verstärken wird.
In einer vertraulichen Studie hat der Geheimdienst
für die Bundesregierung die
Auswirkungen der Krise in drei Szenarien
analysiert. Das zweite Szenario, das sogenannte
China-Szenario, hält der BND für
das wahrscheinlichere. BND-Präsident
Uhrlau:
"Dieses geht davon aus, dass China
stärker und schneller von den Wachstumsimpulsen
der Konjunkturprogramme profitiert
als andere. Erholt sich China schneller,
wird sein Gewicht in der Region und gegenüber
den anderen Spielern steigen. Wird
China der Motor der wirtschaftlichen Gesundung,
wird das Land auch international
aus einer anderen Position heraus operieren
und die Spielregeln stärker mitbestimmen
wollen." (HB, 2.6.2009).
John Naisbitt, Verfasser des Weltbestsellers
"Megatrends" und Professor am Naisbitt
China Institute, kommt in "Chinas Megatrends"
zu dem Ergebnis:
"Für viele Staaten
der Welt ist China auf dem Weg, ein verlockendes
Alternativmodell zu bieten – eines,
das in absehbarer Zeit zu einer wirklichen
Herausforderung für die westliche Demokratie
als Regierungsform werden kann." (Naisbitt,11).
Auch Fareed Zakaria geht davon aus, dass
sich der "Aufstieg der Anderen" (Buchtitel)
durch die Weltwirtschaftskrise beschleunigen
wird:
"Fortan wird es mühsamer sein,
der Welt amerikanische Ideen zu verkaufen,
und der Versuch wird nicht immer erfolgreich
sein. Die Entwicklungsländer werden
sich die Wirtschaftspolitik heraussuchen,
die ihren Interessen am dienlichsten ist, und
zwar mit wachsendem Selbstvertrauen.
China bietet ein alternatives Entwicklungsmodell
an. Aufstrebende Nationen werden
sich immer öfter daran – oder auch an
Brasilien oder Indien – ein Beispiel nehmen."
(Zakaria, 21).
China ist für zahlreiche Schwellen- und
Entwicklungsländer Fürsprecher, durch
seinen verblüffenden Erfolg aber auch Vorbild
und Hoffnungsträger geworden. Für die
meisten Länder der Welt gab es bis vor
kurzem nur die Wahl zwischen Pest und
Cholera: "Anschluss an den Westen oder
Isolation", wie es Mark Leonard formulierte.
Integration in das neoliberale Globalisierungsregime
oder die Gefahr, boykottiert
und in die ökonomische Apartheid gesperrt
zu werden. Jetzt ist ein alternatives Entwicklungsmodell
entstanden, das ein eigenständiges
Kraftfeld und weitgehend unabhängiges
Kooperationsregime entwickelt.
Der US-Zukunftsforscher John Naisbitt
schreibt:
"China verändert nicht nur die
weltwirtschaftlichen Bedingungen, das
chinesische Modell fordert auch den Status
der westlichen Demokratien heraus, die
bisher glaubten, sie verfügten über das
einzige Regierungsmodell, das Armut reduzieren
und wirtschaftlichen Aufstieg hervorbringen
kann." (zit. nach HB, 14.5.2010).
Welche Komponenten des chinesischen
Modells sind es, die es für Entwicklungsund
Schwellenländer attraktiv machen?
Der entscheidende Faktor ist wohl die Rolle
des Staates und des staatlichen Sektors in
der Wirtschaft. Der chinesische Staat unter
Führung der Kommunistischen Partei hat
entscheidende wirtschaftspolitische Instrumente
nicht aus der Hand gegeben, er kann
in das Wirtschaftsgeschehen wirksam eingreifen.
"Genauso attraktiv wie die chinesischen
Wachstumsraten ist die Tatsache,
dass der chinesische Staat die Kontrolle
über seine Wirtschaftspolitik behält",
schreibt Leonard.
"Im Gegensatz zu den
asiatischen Tigerstaaten, die ihren Aufstieg
in den achtziger Jahren mit westlicher Hilfe
erzielten, hat sich China von der Kontrolle
internationaler Entwicklungsorganisationen
und Finanzinstitutionen befreit." (Leonhard,
163f).
Das gelang auch deshalb, weil Peking die
Finanz-, Banken- und Währungshoheit
behielt. Die entscheidenden Banken sind
alle staatlich und beschränken sich ganz
altmodisch vor allem auf die Kreditvergabe.
Der Devisenhandel ist reglementiert und die
Währung nicht frei konvertierbar, der Kurs
staatlich festgelegt. Das hatte zur Folge,
dass China weder in der Asienkrise 1997
noch im Vorfeld der Finanzkrise 2008 der
internationalen Finanz- und Währungsspekulation
ausgesetzt war. Schließlich erfolgten
die Öffnung zum Weltmarkt und der
Einlass ausländischen Kapitals, insbesondere
der TNK, nicht plötzlich, sondern
schrittweise und über viele Experimente,
wie z.B. Sonderwirtschaftszonen und Joint
Ventures.
Das chinesische Modell ist gewissermaßen
zum Gegenmodell des "Washington Consensus"
geworden.
Der Washington Consensus
– Konferenz 1990 in Washington –
wurde bislang von IWF und Weltbank propagiert
und schreibt eine Anzahl wirtschaftspolitischer
Maßnahmen vor, die
Regierungen zur Förderung von wirtschaftlicher
Stabilität und Wachstum durchführen
sollen. Danach sind staatliche Eingriffe in
die Wirtschaft tabu, ist Privatisierung oberstes
Ziel, werden weitestgehende Deregulierung
und Liberalisierungen verlangt und im
Schuldenfall Strukturanpassungen, strenge
Haushaltsdisziplin und Schocktherapien
verordnet. Der Washington Konsens feiert
jetzt in der Eurozone mit dem Diktat von
Deutschland/Frankreich und EZB gegenüber
hochverschuldeten kleinen EULändern
wie Griechenland, Portugal und
Irland fröhliche Urständ.
Als Gegenmodell zu diesem Washington-
Konsens gilt mittlerweile der "Peking-
Konsens" als Entwicklungsmodell. Eberhard
Sandschneider, Lehrstuhlinhaber für
die Politik Chinas an der FU Berlin,
schreibt:
"Der Peking-Konsens hingegen
verfolgt das Prinzip eines starken Staates
mit weitreichenden ökonomischen und politischen
Interventionsrechten. Der Krieg um
Modelle hat längst begonnen. Skeptische
amerikanische Stimmen weisen darauf hin,
dass das chinesische Entwicklungsmodell
hohe Attraktivität unter Entwicklungsländern
erlangt hat, die sich von dem bevormundenden
Einfluss des Westens emanzipieren
wollen" (Sandschneider, 132).
"Mit
seinem Versprechen, die Kontrolle des
Staates aufrechtzuerhalten und trotzdem ein
schnelles Wirtschaftswachstum zu erzielen,
ist der Gelber-Fluss-Kapitalismus (Chinas –
F.S) eine Hoffnung für Entwicklungsländer
der ganzen Welt." (Leonard, 75).
Kommt hinzu, dass das chinesische Modell
"preisgünstiger" ist, wie Xie Boyang, stellvertretender
Vorsitzender der Allchinesischen
Vereinigung der Industriellen und
Kaufleute, betont:
"China hat einen Entwicklungsweg
eingeschlagen, bei dem sich
die Kosten im Rahmen halten. Zwar verfügt
der Westen über einen hohen technischen
Standard, aber die Kosten sind zu hoch.
Eine Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft
auf dieser Grundlage ist zu kostenintensiv
und kann daher nur wenig Früchte
tragen" (BRS, 10.6.2010).
Was Chinas Modell so attraktiv macht? Es
hat den Beweis erbracht, dass damit eine
erfolgreiche nachholende Entwicklung
möglich ist – für eine Volkswirtschaft, in
der ein Fünftel der Menschheit lebt. Und
diese Entwicklung war möglich ohne politische
und soziale Verwerfungen – im Gegenteil:
Seit der Politik der Öffnung wurde die
Armut zurück gedrängt, erhöhte sich der
Lebensstandard kontinuierlich. Und schließlich:
Im bisherigen Verlauf der Weltwirtschaftskrise
kann China darauf verweisen,
dass es diese Krise weit besser meistert als
die neoliberal ausgerichteten Ökonomien
des Westens.
Einen weiteren entscheidenden Unterschied
zu den westlichen Marktwirtschaften bildet
die Rolle des Plans, als Instrument der
bewussten Lenkung der Wirtschaft. Die
Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft
wird nicht dem spontanen Moment
des Marktes überlassen, sondern erfolgt
mittelfristig in Fünfjahrplänen. Der zwölfte
FJP für die Zeit von 2011 bis 2015 wurde
Ende 2010 von der NDCR, der Nationalen
Kommission für Entwicklung und Reform
(früher: Plankommission) verabschiedet. In
den Fünfjahrplänen werden struktur- und
entwicklungsbestimmende Zielstellungen
festgelegt, in Fragen des Wirtschaftswachstums,
der volkswirtschaftlichen Proportionen,
des wissenschaftlich-technischen Fortschritts,
der Entwicklung Stadt-Land, der
einzelnen Provinzen, Energieeffizienz, der
Ökologie, usw. Aber nur in Form einer
Rahmenplanung, nicht als konkretistische
Detailplanung. Ziel ist die Verbindung von
Plan und Markt. Mit staatlichen Eingriffen
und Planwirtschaft gelang es Peking auch,
von der extremen Exportorientierung stärker
auf Binnenkonjunktur umzupolen.
Ein wesentlicher Hebel zur Umsetzung
staatlicher Zielvorgaben ist der nach wie vor
bedeutsame staatliche Sektor in der chinesischen
Wirtschaft. Mit der Privatisierung
ihrer Staatsbetriebe hat sich der Staat in den
kapitalistischen Ökonomien wirtschaftsund
konjunkturpolitisch weitgehend entmannt,
ein wichtiges Instrument aus der
Hand gegeben, gestalterisch in das ökonomische
Geschehen einzugreifen. Nicht so in
China. Mit 122 zentral unterstellten staatlichen
Unternehmensgruppen in strategischen
industriellen Schlüsselbereichen, existiert
nach wie vor ein starker staatlicher Sektor,
der noch weitgehend die Kommandohöhen
der Wirtschaft kontrolliert (vgl. Peters, jw,
1.10.09). Es besteht allerdings die Gefahr,
dass der Privatisierungsprozess in China
auch diese Festungen staatlichen Wirtschaftens schleift.
Die neoliberal geprägte Wirtschaftspresse
beklagt, dass im Rahmen der Krisenbekämpfung
der staatliche Sektor an Bedeutung
gewonnen habe. Die FTD (21.4.10)
zitiert Barry Naughton von der University of
California:
"Die Konjunkturmaßnahmen
haben staatliche Firmen gestärkt und den
Einfluss der Regierung ausgebaut". Sie
begreifen nicht, dass es gerade der qualitative
Vorteil einer teilstaatlichen Wirtschaft
ist, öffentliche Investitionen und Konjunkturspritzen
über staatliche Betriebe möglichst
schnell in den Wirtschaftskreislauf zu
bringen. Das erklärt auch die schnelle Umsetzung
des chinesischen Konjunkturprogramms.
Die 'Süddeutsche Zeitung' (4.3.10)
sieht die Staatsbetriebe als
"die großen
Gewinner eines deutlichen und nachhaltigen
Linksrucks der chinesischen Politik". Und
sie zitiert einen ehemaligen Wissenschaftler
der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften:
"Die Reformen Deng Xiaopings
werden zurückgeschraubt. Es findet
eine systematische Renationalisierung gesamter
Wirtschaftsbereiche statt". Die oben
angeführten Fakten bestätigen das nicht.
"Sozialismus chinesischer Prägung", "Sozialistische
Marktwirtschaft", eine "Art
Staatskapitalismus unter dem Kommando
der KP", "Staatlich kontrollierter Kapitalismus",
"Wohlfahrtsstaat" nach schwedischem
Modell – es fällt schwer, den chinesischen
Weg zu einer modernen Volkswirtschaft
in ein Schema zu pressen und zu
kategorisieren. Ganz sicher ist es kein
"Neoliberalismus
mit chinesischem Antlitz`", wie
David Harvey behauptet (Harvey, 150 ff),
und schon gar nicht ist China eine von der
Herrschaft der Bourgeoisie geprägte
"imperialistische
Macht", wie Renate Dillmann
unterstellt (Dillmann, 346 ff). Schon eher ist
es ein nachholender Fordismus mit Massenproduktion,
steigenden Masseneinkommen
und damit Massenkonsum.
Francis Fukuyama schrieb vor zwanzig
Jahren in seinem Buch "Das Ende der Geschichte":
"Der Triumph der westlichen Idee
ist vor allem dadurch offensichtlich, dass es
an lebensfähigen, systemischen Alternativen
zum westlichen (Neo)Liberalismus fehlt".
Kishore Mahbubani, Professor an der Universität
von Singapur und Autor des Buches
"Die neue asiatische Hemisphäre: Die unwiderstehliche
Verlagerung der globalen
Macht nach Osten", hält dagegen und unterstreicht,
dass in den erfolgreichen asiatischen
Gesellschaften genau dieser westliche
(Neo)Liberalismus fehlt. (zit. nach jw,
22.12.09).
Für die Schwellenländer hat der aufgezeigte
chinesische Weg durchaus und in vielen
Punkten Vorbildcharakter. Er zeigt, dass
eine nachholende Entwicklung bei gleichzeitiger
Verbesserung des Lebensstandards
der Bevölkerung möglich ist. Das ist
ein grundlegender Unterschied zu den neoliberalen
Strukturanpassungsprogrammen,
die IWF und Weltbank den Entwicklungsländern
als Entwicklungsperspektiven verordneten
und die große Teile der Bevölkerungen
zusätzlich in die Armut stürzten,
Bildungs- und Sozialprogramme zusammenstrichen
und die Wirtschaft monokulturell
auf Exporte und die Bedürfnisse des
Metropolenkapitals ausrichteten. Zudem
erbrachte China den Beweis, dass es die
Krise besser meisterte, in der Krise nicht
gelähmt war, sondern Weichen zu neuen
sozialen, ökologischen und binnenwirtschaftlichen
Entwicklungsrichtungen stellte.
Allerdings ist der chinesische Entwicklungspfad
bislang nicht weniger ressourcenverschlingend
und umweltzerstörend
als die davor beschrittenen Industrialisierungswege.
Es war eine nachholende Entwicklung,
kein "überholen ohne einzuholen".
Auch China konnte keine Entwicklungsetappe
überspringen. Allerdings gibt es
vage Anzeichen dafür, dass China auf der
jetzt erreichten Entwicklungsstufe eine
schnellere und massivere Umorientierung
auf Energieeinsparung und regenerative
Energien gelingt, als dem Westen, wo solche
Weichenstellungen durch die Übermacht
der Öl- und Stromkonzerne anhaltend
blockiert werden.
Ist China auch ein alternatives Gesellschaftsmodell?
Zunächst ist die gegenwärtige
Entwicklung für den Westen eine Herausforderung
mit gesellschaftspolitischen
Dimensionen. Und zwar gerade in Krisenzeiten
wie gegenwärtig, in denen sich der
Niedergang (decline) von USA und EU
beschleunigt: Im Westen explodierende
Staatsdefizite – in China gesunde Staatsfinanzen;
in den USA eine marode Infrastruktur
– hier ein gigantischer Ausbau; dort
permanenter Sozialabbau – in China Aufbau
und Verbesserung der Sozialsysteme; in den
Industrieländern zunehmende Arbeitslosigkeit
und Reallohnauszehrung – dort jährlich
acht Millionen neue Arbeitsplätze und Stärkung
der Massenkaufkraft; hier ein überschuldeter
und erschöpfter US-Verbraucher
– in China ein Konsumrausch der Mittelschichten
und steigender Lebensstandard;
im Westen wachsende Armut – im Osten
langsame Überwindung von Hunger und
Elend; in den USA Deindustrialisierung – in
China der rasante Aufbau einer High-Tech-
Industrie; hier Depression – dort Optimismus....
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Dieser Entwicklungspfad – so er sich in
China angesichts zunehmender Ungleichverteilung
und Reichtumsakkumulation
überhaupt durchhalten lässt – kann bei konsequenter
Fortsetzung zu einem höheren
Lebensstandard als im Westen führen. Es ist
insofern ein – primär quantitativer – Fortschritt.
Es ist jedoch bislang kein Fortschreiten
in Richtung eines alternativen und attraktiven
Konsum- und Gesellschaftsmodells,
es ist kein Gegenpol zu westlicher
Produktionsweise und westlichem Lifestyle.
China setzt wie der Westen auf Konsumismus,
auf den ressourcenvergeudenden
"american way of life". Der Soziologe Giovanni
Arrighi:
"Für eine Welt der größeren
Verteilungsgerechtigkeit wird ein neues
Entwicklungsmodell benötigt, das weniger
verschwenderisch ist als das von den USA
gestiftete Modell des Massenkonsums. Bedauerlicherweise
gibt es wenig Anzeichen
dafür, dass die herrschenden Eliten in China
– von denen im Westen ganz zu schweigen
– sich der Notwendigkeit bewusst sind,
ein solches alternatives Modell zu entwerfen."
(Arrighi, 74). Und weiter:
"China kann
sich nicht emanzipieren, ohne dass es zum
Beispiel ökologische Lösungen, neue Konsummuster,
neue Produktionstechnologien
erarbeitet. Andernfalls ersticken sie sich
selbst, bevor sie die ganze Welt ersticken."
(ebenda, S. 88).
Dieser Emanzipationsprozess könnte Gestalt
annehmen, wenn sich zwei Prozesse in
der nächsten Zeit verstärken:
-
Die Herausbildung einer gewerkschaftlichen
Gegenmacht und ihre
Formierung zur Arbeiterbewegung, wie
sie in den Arbeitskämpfen in China in
der jüngsten Zeit im Keim sichtbar
wurde (vgl. dazu auch Müller).
- Die Weiterentwicklung der "vertikalen
Demokratie". (Naisbitt): "In der
derzeit in China entstehenden vertikalen
Demokratie werden die Visionen
und Ziele des Landes in einem interaktiven
Prozess von Spitze und Basis gleichermaßen
geformt. Die Regierung
setzt die Prioritäten und steckt den politischen
Rahmen ab, innerhalb dessen
jeder Bürger seine eigene Rolle gestalten
und seinen Beitrag zum Ganzen
leisten kann. Dies schafft eine Struktur,
in der alle von der herrschenden Vielfältigkeit
profitieren, während zugleich
Ordnung und Harmonie aufrechterhalten
bleiben." (Naisbitt, 87). Mit der
wachsenden Mobilmachung der Basis
in den verschiedenen Formen – z.B. in
den Betrieben – wächst nach Naisbitt
die Dynamik und Effizienz dieses Interaktionsprozesses
(ebenda, 55ff). Diese
vertikale Demokratie wird gegenwärtig
in verschiedenen Formen, Etappen,
Experimenten (z.B. Chongquing-
Experiment der Bürgerbeteiligung) weiterentwickelt
(s. auch Leonard, 77ff).
In China geht man mit Neuerungen immer
nur schrittweise und in Experimenten vor,
gemäß der Devise Deng Xiaopings:
"Von
Stein zu Stein ertasten wir unseren Weg
durch den Fluss".
* Aus: isw-report 83/84: Fred Schmid: China.
Krise als Chance? – Aufstieg zur ökonomischen
Weltmacht. Dezember 2010, www.isw-muenchen.de
Zurück zur China-Seite
Zurück zur Homepage