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Preise geraten außer Kontrolle

Inflation in China steigt auf Dreijahreshoch / Ministerpräsident versucht zu beruhigen

Von Christiane Kühl, Peking *

Chinas Zentralbank soll das Wachstum ankurbeln. Das ist ihr bisher bestens gelungen. Doch nun zeigen sich die Schattenseiten: Die Inflation steigt auf Rekordwerte. Die Regierung versucht, das Problem zu ignorieren.

China bekommt die Inflation nicht in den Griff. Die Konsumentenpreise sind im Juni mit 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr so stark gestiegen wie seit drei Jahren nicht mehr. Auf dem Land wurden Konsumgüter um rund sieben Prozent teurer, wie das Nationale Statistikamt am Samstag (9. Juli) mitteilte. Nach wie vor treiben vor allem Lebensmittel mit einem Preisplus von 14,4 Prozent die Inflation an. Nachdem im Frühjahr Obst und Gemüse die Preistreiber waren, wird derzeit vor allem Schweinefleisch teurer – im Vergleich zum Mai um satte 11,4 Prozent und gegenüber Juni 2010 sogar um 57,1 Prozent. Die Preise für Nicht-Nahrungsmittel stiegen um drei Prozent – der höchste Wert seit 2005.

Diese Trends machen den Kampf gegen die Inflation immer schwieriger. Seit Monaten balanciert Peking zwischen dem Kampf gegen die Teuerung und der Sorge, eine zu straffe Konjunkturpolitik könne das Wachstum zu sehr bremsen. Seit Oktober hat die Zentralbank bereits fünfmal den Leitzins erhöht – zuletzt am Mittwoch vergangener Woche auf jetzt 6,56 Prozent für Kredite mit einjähriger Laufzeit beziehungsweise 3,5 Prozent für einjährige Einlagen. Neunmal wurden zudem die Mindestreserven der Banken erhöht, um überschüssige Liquidität im Markt abzuschöpfen. Die großen Banken des Landes müssen damit jetzt 21,5 Prozent ihrer Einlagen als Reserve vorhalten – soviel wie noch nie.

Zusätzlich kompliziert werde der Kampf der Notenbank gegen die Inflation dadurch, dass ihre eigentliche Aufgabe die Stützung von Wachstum und Arbeit sei, gab Zentralbankchef Zhou Xiaochuan in einem Vortrag am Freitag an der Pekinger Tsinghua-Universität zu. Es sei schwer, »sich die Inflationsbekämpfung als einziges Ziel zu setzen«, zitierte ihn die Zeitung »Beijing News«. Der Zwang, sich um die Inflation zu kümmern, erschwere Pekings Bemühungen, eine weiche Landung der Wirtschaft zu arrangieren, glaubt auch Jing Ulrich, Chefin für den chinesischen Markt bei JPMorgen Chase & Co. in Hongkong. Zu aggressive Straffungsmaßnahmen könnten durchaus zu einer harten Landung – sprich einem scharfen Wachstumseinbruch – führen, so Ulrich.

Von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Ökonomen erwarten, dass sich das Wachstum im zweiten Quartal auf 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr abgeschwächt hat – von 9,7 Prozent im ersten Quartal. Am Mittwoch wird das Statistikamt die Daten bekannt geben. Zwar glauben die meisten Ökonomen, dass die Preise im Herbst wieder langsamer steigen werden. Aber spätestens wenn die Inflation auch im Juli wieder über sechs Prozent liegt, erwarten die Experten weitere Zinserhöhungen.

Ministerpräsident Wen Jiabao räumte vergangene Woche ein, dass das staatliche Inflationsziel von vier Prozent für 2011 wohl nicht mehr zu halten sei. Chinas wirtschaftliche Lage werde indes weiterhin die »weltbeste« bleiben, wenn es gelänge, das Wachstum zwischen acht und neun Prozent zu halten, bei einer Teuerung von unter fünf Prozent. Fünf Prozent darf also als das neue offizielle Inflationsziel gelten. Hohe Inflation löst bei der Regierung traditionell Sorge vor Unruhen aus. In der Geschichte hatte es immer wieder Proteste gegen zu hohe Preise gegeben. Kombiniert mit Korruption, können steigende Preise »eine Auswirkung auf die Stabilität politischer Mächte und den Frieden in einer Gesellschaft haben«, warnte Wen. Die Regierung bemüht sich daher auch, die Inflationserwartungen zu kontrollieren. Und so zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Wochenende mehrere Experten mit beruhigenden Worten. »China hat Erfahrung im Umgang mit Inflationsraten über sechs Prozent«, sagte etwa Liu Shucheng von der regierungsnahen Akademie für Sozialwissenschaften. Liu erwartet, dass sich die Inflation schon in diesem Monat abschwächen wird.

Jetzt müssen die Menschen dies nur noch glauben. Anekdoten sorgen vorerst eher für Nervosität. So gibt es Berichte, wonach Bauern ihre Schweine nicht schlachten, weil sie wissen, dass ihr Wert mit jedem Tag, den sie noch leben, weiter steigt. Und wie zur Bestätigung, dass nun auch Dienstleistungen betroffen sind, erhöhten am Samstag die Shanghaier Taxifirmen ihre Preise.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011


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