China sucht gute Nachbarschaft
Auch Indien und Russland streben nach regionaler Stabilität
Von Anna Guhl, Peking*
Chinas Ambitionen in Asien sind klar definiert: Es geht um regionale Stabilität und Sicherheit sowie ums Öl. Das hat Chinas Außenminister Li Zhaoxing in den letzten Tagen gleich zweifach deutlich gemacht.
Zunächst traf Li Zhaoxing mit seinen Kollegen Sergej Lawrow aus Russland und Natwar Singh aus Indien in Wladiwostok zusammen und verabredete mit ihnen mehr Abstimmung im internationalen Krisenmanagement und intensivere ökonomische Kontakte. Zwei Tage später setzte er sich auf der Außenministerkonferenz der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) dafür ein, noch effizienter und kontrollierter gegen Terrorismus, Extremismus und Separatismus im zentralasiatischen Raum vorzugehen.
China beobachtet argwöhnisch die politischen Entwicklungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Nicht allein, dass der USA-Einfluss in der Region wächst, sondern auch die Entwicklungen in Richtung politischer Pluralismus machen der Pekinger Führung zu schaffen. Mit seinen beiden großen Nachbarn Russland und Indien weiß sich China zumindest einig im Streben nach regionaler Stabilität.
Erste Bemühungen um das strategische Dreieck China-Russland-Indien reichen weit in das 20. Jahrhundert zurück. Doch politische wie ideologische Differenzen und vor allem Grenzstreitigkeiten ließen wenig Raum für unbelastete Gespräche. Dass es nun erstmals zu einem Treffen der Außenminister der drei großen Regionalmächte kam, zeigt wie vor allem China endlich mit seinen Nachbarn »ins Reine« gekommen ist. Die noch unter Staatspräsident Jiang Zemin im Sommer 2001 mit Russland vereinbarte »strategische Partnerschaft« für das 21. Jahrhundert machte den Weg frei für zügige Verhandlungen über den endgültigen Grenzverlauf. Kein Zufall also, dass die Streitigkeiten über die letzten knapp 500 der mehr als 4000 Kilometer Landgrenze zwischen Russland und China beim Außenministertreffen endgültig beigelegt wurden.
Den Durchbruch in den Grenzverhandlungen mit Indien erreichte China, nachdem Premier Wen Jiabao während seines Besuches in Delhi Anfang dieses Jahres Indien nicht mehr als »Konkurrenten«, sondern als »Freund« bezeichnete. Damit war der Weg frei für eine prinzipielle Einigung über die seit Jahren immer wieder aufflammenden Grenzkonflikte. Indien wird zudem auch künftig in der regionalen SCO mitarbeiten; Iran und Pakistan werden auf dem SCO-Gipfel Anfang Juli aufgenommen. Frieden und Stabilität an den bedeutendsten Landgrenzen in Asien, aber auch die Einbeziehung wichtiger Verbündeter der USA in das von China und Russland initiierte und dominierte Bündnis asiatischer Staaten werden wohl maßgeblich das künftige politische Kräfteverhältnis in Asien bestimmen.
Die Gefahr des islamistischen Fundamentalismus wird in der Region von allen Staaten als eine große Herausforderung empfunden. Muslimische Befreiungskämpfer, tschetschenische Untergrundorganisationen, islamistische Splittergruppen, wie auch immer sie sich bezeichnen und welche Ziele sie verfolgen, sie tragen in hohem Maße zum Konfliktpotenzial in der gesamten Region bei. Da die meisten Gruppen ihre Netzwerke über den ganzen asiatischen Raum gespannt haben, wollen China und Russland nun auch Indien und Pakistan ins regionale Krisenmanagement einbeziehen.
Für eine engere Partnerschaft sprechen aber auch der Energie- und Rohstoffbedarf Chinas und Indiens. Russland ist derzeit der viertgrößte Erdölexporteur auf der Welt und sucht nach stabilen Abnehmern. Chinas und Indiens Bedarf an Öl wächst rasant. Moskau will angeblich Jukos-Anteile an beide Staaten verkaufen, von 20 Prozent an China und 15 Prozent an Indien ist in der hiesigen Presse die Rede. Im Gegenzug erhoffe sich Russland mehr Rüstungsbestellungen. Bereits jetzt gehen 80 Prozent seiner Waffenlieferungen an China und Indien. Mit China wird man im Herbst erstmalig ein Militärmanöver abhalten, bei dem vor allem strategische Militärtechnik zum Einsatz kommen soll.
Mit Indien will Peking die Verhandlungen über eine Freihandelszone forcieren. Russland belässt es vorerst bei Erleichterungen im Handel und bei Investitionen, zu stark sind die Befürchtungen, von den ökonomisch boomenden Nachbarn einfach überrannt zu werden. Schon jetzt drängt die chinesische Wirtschaft in den dünn besiedelten Osten Sibiriens vor und erschließt sich hier neue Produktions- und Absatzgebiete.
* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2005
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