Zwischen Euphorie und Furcht
Die Europäische Union tut sich schwer mit einem Konzept für ihr Verhältnis zu China
Von Werner Birnstiel *
China ist zwar kein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, doch auf »hoher
Arbeitsebene« wurden die Beziehungen zum Reich der Mitte ausgebaut. In diesen Wochen muss
sich zeigen, was sich daraus auf höchster Ebene machen lässt: Noch bevor Staats- und Parteichef
Hu Jintao zum G8-Gipfel in Heiligendamm kommt, fliegt Bundespräsident Horst Köhler nächste
Woche nach Peking.
In der politischen Programmsprache wird stets auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union verwiesen. In der Praxis verfolgen deren Mitgliedsländer aber ihre eigene
China-Politik. Dabei ist die EU als Ganzes der wichtigste Handelspartner Chinas: Im Jahr 2005
betrug das Austauschvolumen 210 Milliarden Euro. Das entsprach 19 Prozent des chinesischen
Außenhandels. Die Importe aus China beliefen sich auf 158 Milliarden, die Exporte auf 52 Milliarden
Euro. Der deutsche Anteil daran machte 35 Milliarden auf der Export- und 21,2 Milliarden auf der
Importseite aus. Bis 2010 soll sich der zweiseitige deutsch-chinesische Austausch auf rund 110
Milliarden Euro verdoppeln. Vielfältig und intensiv ist der Austausch auch in Kultur und Bildung, in
der wissenschaftlich-technologischen und Entwicklungszusammenarbeit.
Aus dieser Sachlage werden sehr unterschiedliche Schlüsse gezogen: Die einen verfallen in eine
China-Euphorie, die anderen fürchten den erwachenden »Gelben Riesen« im Fernen Osten. Tatsächlich verfügt die EU weder über ein politisches Gesamtkonzept noch über ein sogenanntes
Sicherheitskonzept, das vor allem die Bestrebungen der gegenwärtigen USA-Regierung ins Kalkül
ziehen müsste. Denn die betreibt eine modernisierte, nicht nur militärisch ausgerichtete Politik der
»Eindämmung« gegenüber China und ist überaus interessiert daran, dem Reich der Mitte
zusammen mit der EU in einer – freilich USA-dominierten und vor allem machtpolitisch definierten –
»Wertegemeinschaft« gegenüberzutreten.
Seit Anfang dieses Jahres wurde indessen noch deutlicher, dass sich China keinesfalls »einbinden«
oder »eindämmen« lassen wird. Unter dem Druck innenpolitischer Zwänge – überhitztes
Wirtschaftswachstum, zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, schwer
reparable Umweltprobleme – verficht Peking pragmatisch seine eigenen Interessen. Die sind jedoch
in zunehmendem Maße von Bedeutung auch für die übrige Welt. Und im Zuge der fortschreitenden
Globalisierung wird sich die Konkurrenzsituation weiter ausprägen.
Entscheidend ist, dass Chinas Führung diesen Wettbewerb friedlich, mit nichtmilitärischen Mitteln
führt. Der EU-China-Gipfel in Helsinki im September 2006 benannte die Anbahnung einer
»strategischen Partnerschaft« als zeitgemäß. Selbst wenn man diese inflationär verwendete Formel
nicht mag – im Verhältnis China-EU, die Konkurrenten ebenso wie Partner sind, kennzeichnet er das
Wesen des Erforderlichen und Erreichbaren. Denn historische oder gegenwärtige machtpolitischmilitärische
Konfliktfelder gibt es zwischen beiden nicht, woran auch das seit 1989 andauernde
Waffenembargo der EU gegenüber China nichts ändert.
Im Klartext: Die EU und China können und werden sich auf die Wahrnehmung ökonomischer
Interessen und die Lösung damit zusammenhängender Fragen konzentrieren: Schutz geistigen
Eigentums, erzwungener Technologietransfer nach China, Zugang zu Dienstleistungen,
Investitionen und öffentlichen Beschaffungsmärkten in der Volksrepublik, Lieferquoten für
leichtindustrielle Waren in die EU. Die Konkurrenz um Energie- und Rohstoffquellen in Nahost,
Russland, Zentralasien und Afrika wird sich geradezu zwangsläufig weiter ausprägen.
Zum politischen Rahmen der Zusammenarbeit gehört auch der fortgesetzte Menschenrechtsdialog,
ebenso der von beiden Seiten gelobte Rechtsstaatsdialog. Allerdings wird Chinas Führung davon
nur so viel in das innerstaatliche Recht übernehmen, dass die politische Stabilität – also die
führende Rolle der KP Chinas – nicht gefährdet wird.
In Peking fragt sich derzeit mancher Politiker, ob die Haltung der amtierenden EU-Ratspräsidentin
Angela Merkel zu China eine Art Liebesentzug im Vergleich zu den stürmischen Jahren der Kohl-
und der Schröder-Ära bedeute. Indes: In Sachen Pragmatismus nehmen sich beide Seiten nichts. In
Zeiten der Neuordnung internationaler Kräfteverhältnisse sollte sich die Zusammenarbeit zwischen
China und der EU kalkulierbar, produktiv und frei vom politisch-militärischen Druck einer
gegenseitigen »Bedrohung« entwickeln. Ist mehr überhaupt möglich?
* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2007
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