Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das "chinesische Prinzip" - Ökonomische Freiheit – politische Lenkung:

Der bessere Weg zur globalen Perestroika? Ein Vergleich

Von Kai Ehlers *

Wer heute an China denkt, hat zwei Bilder vor Augen: Das eine wird von China-Reisenden als „happy China“ beschrieben, das andere als Parteiendiktatur, die die Menschenrechte nicht achte und jeden Ansatz zu einer Opposition ersticke. Für beides lassen sich reichlich Belege anführen: Die fröhliche Betriebsamkeit auf Chinas Plätzen und Straßen wird von westlichen Touristen inzwischen auf Fotos festgehalten, die sie ihren erstaunten Freunden nach ihrer Rückkehr zeigen; chinesische Betriebsamkeit überzieht den ganzen Globus mit Ware „made in China“; Chinas Politiker laden westliches Know how ein, sich im Land frei zu entwickeln; chinesische Banken zeigen sich neuerdings bereit, faule Wertpapiere aufzukaufen, um die Weltfinanzen stabil zu halten. Dem stehen Meldungen über Zensur der Presse, über Repressalien gegen kritische Blogger, über die Inhaftierung und Verschleppung Oppositioneller bis hin zur Internierung tausender Mitglieder der Falun Gong Bewegung in speziell für sie geschaffenen Lagern und das nicht zu vergessende Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens gegenüber. Ökonomische Freiheit bei politischer Repression - wie paßt das zusammen? Und wohin geht dieser Zug?

Man muß hinter den Alltag in die 4000jährige Entwicklung des Landes blicken, um das zu verstehen: In die Hochkultur der chinesischen Kaiserreiche, in die koloniale Erniedrigung seit dem 18. und 19., in die Kämpfe für die nationale Befreiung am Anfang des vorigen Jahrhunderts; in die Gründung der VR-China 1949 und die ersten Jahre danach und schließlich in den zwar immer wieder von Rückschlägen aufgehaltenen, aber doch beharrlichen, schrittweisen Wiederaufstieg Chinas zu einer der führenden Weltmächte des 20. Jahrhunderts in den letzten Jahrzehnten. Am Besten läßt sich die Frage, was es mit der Freiheit in China auf sich hat und was dies über China hinaus bedeutet, jedoch im Vergleich zweier Prozesse verfolgen, die heute zeitgleich stattfinden, die einander ähneln und doch grundverschieden ablaufen. In ihnen findet auch die Geschichte ihren Ausdruck. Die Rede ist von Perestroika und ihren Folgen in Rußland und dem langen Weg der Reformen vom Tod Maos bis zum jetzt deklarierten „Anfangsstadium des Sozialismus“ im heutigen China.

Vergleichbar sind die Voraussetzungen: Revolutionen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Rußland wie auch in China, die zur Gründung von Staaten mit kommunistischem, dann sozialistischem Anspruch führten. Basis waren in beiden Fällen – mit unterschiedlichen Ausprägungen, versteht sich – vorindustrielle, agrarische Verhältnisse, in denen Geld- und Naturalwirtschaft noch nebeneinander existierten. Dabei war die Naturalwirtschaft mit traditionellen Formen gemeinschaftlicher Selbstversorgung und familiärer Zusatzwirtschaft eng verknüpft. In Rußland war das die Tradition der „Óbschtschina“, der sich selbst versorgenden Bauerngemeinschaft unter der Herrschaft eines absoluten Zentrums, der zaristischen Selbstherrschaft; in China waren es die strengen Familienhierarchien unter dem absoluten Kaisertum.

Es sind diese Grundformen agrarisch geprägten gemeinschaftlichen Lebens auf Basis örtlicher Selbstversorgung bei zentralistischer, bis despotische Lenkung, die Marx und Engels seinerzeit mangels eines besseren Begriffes als asiatische Produktions- und Lebensweise bezeichneten. Für Rußland beschreibt der russisch-englische Ökonom Theodor Schanin diese Wirtschafts- und Lebensweise heute als „expolare Wirtschaft“, eine Wirtschaft, die weder „kapitalistisch“ noch „sozialistisch“ sei; ein wesentliches Element darin sei, eingebettet in eine Tradition der agrarisch basierten gemeinschaftlichen Selbstversorgung, die „Gunstwirtschaft“; die im Russischen mit dem Wort „blat“ umschrieben wird. Erwiesene Gunst stehe in dieser Wirtschaftsform an der Stelle, zumindest aber gleichberechtigt an der Seite des Geldes als Äquivalent für den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Austausch: ‚Du hast mir heute einen Gefallen getan; ich schulde Dir einen Gefallen, den ich Dir morgen zurückgebe.’ Dabei spielt der Geldwert des Gefallens eine untergeordnete oder gar keine Rolle.[1] Geldverkehr hat nur Teile des gesellschaftlichen Lebens erfaßt.

Für China beschreibt die in den USA lebende chinesische Soziologin May-fair Mei-hui-Yang in ihrem 1994 veröffentlichten Buch „Gifts, favors and banquets: the art of social relationships in China“ unter dem Stichwort „Guanxixue“ eine vergleichbare Realität: „Guanxixue beinhaltet den Austausch von Geschenken, Gefallen und Gastmählern; die Kultivierung persönlicher Beziehungen und Netzwerke gegenseitiger Abhängigkeiten; die Herstellung von gegenseitigen Verpflichtungen und Schulden. Was diese Praktiken und ihr einheimisches Verständnis ausmacht, ist die Konzeption der Priorität und der bindenden Kraft persönlicher Beziehungen und deren Bedeutung, die Nöte und Wünsche des Alltagslebens zu befriedigen.“[2] Auch „Guanxixue“ wurzelte in selbstversorgerischer agrarischer, teils auch nomadischer Lebensweise, von wo aus es die gesamte chinesische Gesellschaft durchdrang.

So wie „Blat“ in die sowjetische, so wurde „Guanxixue“ nach der Revolution in die Gesellschaft der VR-Chinas als „2. Gesellschaft“, als Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft integriert. Der Westen konnte diese Strukturen, in denen das Private als Gunstwirtschaft, als familiäre Zusatzwirtschaft, also gewissermaßen als privates Rückzugsgebiet unter dem Diktat und im Rahmen der Kollektivierung überlebte, und nicht nur überlebte, sondern die Gesellschaft lebendig erhielt, nur als Korruption wahrnehmen. Zur Korruption werden „blat“ und „Guanxixue“, sowie andere Formen der Selbstversorgung aber erst, wenn die definierten staatlichen Strukturen durch die privaten unterlaufen oder beherrscht, das heißt, für persönliche Zwecke und Karrieren mißbraucht werden. Die Übergänge sind selbstverständlich fließend – wichtig ist jedoch zu verstehen, daß sowohl „Blat“ als auch „Guanxixue“ und die damit verbundenen Selbstversorgungsnetze eine von der Tradition getragene und tief im Volkskörper verwurzelte Realität des Lebens sind. Das gilt für China nicht anders als für Rußland. Mehr noch – angestoßen durch den Blick auf „Blat“ und „Guanxixue“ wird auch die glatte Oberfläche westlicher kapitalistischer Gesellschaften transparent für die ihnen unterliegenden Realitäten informeller Gunstbeziehungen, auch wenn diese hier inzwischen den substituierenden Charakter weitgehend verloren haben.

Kehren wir aber zurück auf die Hauptspur unseres Vergleiches: Rußland wie auch China, also Lenin/Stalin ebenso wie dem Beispiel der Sowjetunion folgend Mao-Tse-Tung unterwarfen ihre agrarischen, teils auch nomadischen Gesellschaften einer gewaltsamen, an westlichen Vorbildern orientierten nachholenden Industrialisierung. Sie brachte eine staatlich gelenkte Schwerindustrie und die Kollektivierung einer mechanisierten Landwirtschaft hervor. Die Bedürfnisse und Wünsche des Alltags wurden der Industrialisierung, wurden dem „sozialistischen Fortschritt“ untergeordnet, „Blat“, nicht viel anders als „Guanxixue“ blieben dabei aber substituierende Elemente der volkswirtschaftlichen Versorgung, noch klarer gesprochen, Rückversicherung des Überlebens auch unter krisenhaften Bedingungen.

In ihren Phasen, Tempi und einzelnen Abläufen unterscheiden sich der russische und der chinesische Ablauf von Revolution sowie gegenwärtiger Transformation selbstverständlich voneinander: Rußland mußte keinen langen Befreiungskrieg führen; der Zarismus war selbst imperiale Macht; die Sowjetunion war der VR-China mit der Gründung eines sozialistischen Staates gut dreißig Jahre voraus; 1956 trennten die chinesischen Kommunisten sich sogar von ihrem sowjetischen Vorbild, nachdem Nikita Chruschtschow erklärt hatte, daß die Phase des „Sozialismus in einem Lande“ vorbei sei und künftig von einer der „Koexistenz“ abgelöst werden müsse. Mao dagegen blies zur selben Zeit zum „Großen Sprung“, der China ganz und gar auf seine eigene revolutionäre Entwicklung fokussieren sollte. Dem folgte 1966 – 1977 die Kulturrevolution, die diese Orientierung noch einmal ins Extrem trieb, während die Sowjetunion unter Leonid Breschnew den Weg der Koexistenz praktisch erprobte.

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Dynamiken aber baute sich gegen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in China wie auch in der Sowjetunion ein Entwicklungsstau auf, der nach grundlegenden Reformen verlangte. In der Sowjetunion verstrickte sich die überalterte Partei seit 1979 im Afghanistankrieg, der die schon Jahre zuvor erkennbare Modernisierungskrise soweit zuspitzte, daß ein weiteres Ausweichen nicht mehr möglich war. In China hinterließ der Tod Mao Tse Tungs 1976 zwar ein industriell, genauer schwerindustriell hochgerüstetes Land; dessen Gesellschaft war aber durch die Kulturrevolution zurückgeworfen, dessen Umwelt war verwüstet und es erzeugte pro Kopf nicht mehr Getreide als 1957 vor Beginn des „Großen Sprungs“.[3]

Aber wie unterschiedlich liefen die Reformen in Rußland und in China! Michael Gorbatschow schwebte ein schrittweiser ökonomischer Umbau vor, eine Reform des Sozialismus. Mit seinen Parolen von Glasnost und Perestroika öffnete er jedoch alle Schleusen der Kapitalisierung zugleich. Unter den Parolen „Nehmt Euch soviel Souveränität wie ihr wollt!“, „Bereichert Euch!“ und „Abschaffung des Monopols der KP als alleiniger Staatspartei “ beschleunigte Boris Jelzin diesen Ansatz 1990/91 zur „Schocktherapie“, die viele Menschen als Zwangsprivatisierung erlebten. Sie ging in die russische Sprache schlicht als „Prichwatisierung“ ein, Raub. „Das Alte wird zerstört, Neues wird nicht aufgebaut“, kommentierte der Volksmund. Ergebnis war die Bereicherung einiger Weniger, die das Volksvermögen an sich rissen – während die große Mehrheit der Bevölkerung verarmte. Salopp gesagt: Jelzins „Reform“ lebte vom Speck, den die Sowjetunion, konkret die Arbeitskollektive sich in den Jahren des „realen Sozialismus“ zugelegt hatten und in denen der Einzelne versorgt war. Es mußte ein Restaurator, Putin, kommen, um den Zerfall zu stoppen. Seitdem ächzt die russische Entwicklung im Korsett der Restauration, in dem sich die ständig wiederholten Modernisierungsaufrufe verfangen.

Wie anders in China! Deng Hsiao Ping, der Mao-Tse Tung nach dessen Tod 1976 in der Parteispitze folgte, hat Worte wie Glasnost, Perestroika, Privatisierung, Entkollektivierung, Souveränität, Abschaffung des Monopols der kommunistischen Partei und dergleichen nicht in den Mund genommen. Vor allem aber hat er es nicht zugelassen, die Partei, das heißt., die zu der Zeit einzige organisierende Struktur des Landes, aufzulösen. Statt dessen hat er das Experimentierfeld einer schrittweisen Zulassung privater Interessiertheit geöffnet, beginnend mit dem Zugeständnis an einige Bauernkollektive einer abgelegenen Provinz, ihr gemeinsames Land in eigener Regie zu bebauen. Die Bauern nutzten das Zugeständnis, das nach wie vor im Gemeinschaftsbesitz verbleibende Land individuell zu bearbeiten. Als die Produktivität in diesen Kollektiven auf diese Weise erkennbar stieg, gab die Partei Grünes Licht, diesem Modell im ganzen Lande zu folgen.

Und so ging es Schritt für Schritt: Die Landwirtschaft boomte, die Bauern kamen zu bescheidenem Wohlstand. Sie brauchten Landmaschinen, Geräte und Maschinen für Haus und Hof. Es entstanden kleine Produktionsbetriebe auf dem Lande, Dienstleistungsangebote. Jetzt gab die Partei weiteres grünes Licht für die Gründung von Betrieben auf dem Lande. Vom Land sprang die Bewegung auf die Städte über: Die Partei erlaubte dort zunächst kleine Betriebe mit sieben Beschäftigten, wenig später wurde auch diese Beschränkung aufgehoben. Staatlicher und privater Sektor entwickelten sich nebeneinander. Sonderwirtschaftszonen wurden eingerichtet, in denen privates Wirtschaften in Konkurrenz zu den Staatsbetrieben erprobt wurde. Inzwischen ist der staatliche Sektor zugunsten des privaten bis auf die strategischen Betriebe abgespeckt usw. usf. Weitere Details sollen hier nicht aufgezählt werden. Ein Blick auf die Chronologie der letzten Jahre zeigt, daß dieser Prozeß sich bis heute Schritt für Schritt fortsetzt. Alles dies geschah und geschieht unter Aufsicht der Partei. Sie legalisierte die „Experimente“ zunächst als „sozialistische Marktwirtschaft“, erweiterte ihre Definition dann auf das „Anfangsstadium des Sozialismus“. Wer zu weit aus der Reihe tanzte, wurde abgestraft. Opposition war und ist nur innerhalb der Partei, nicht außerhalb möglich. Aber Schritt für Schritt erweiterte sich der individuelle Spielraum für eigene, selbst verantwortete und selbst organisierte wirtschaftliche Tätigkeit und mit ihm, wenn auch zögernd und widerständig, der individuelle Rechtsraum. Neuere Beispiele dafür sind die Parteitagsbeschlüsse zum Schutz des Privateigentums 2006, die Einführung eines allgemeinen Arbeitsvertragsrechtes 2008, die Kodifizierung einer erneuerten Sozialgesetzgebung, selbst Ansätze zur Reform des Strafrechts, welche die sog. „administrativen Maßnahmen“, d.h., Verhaftungen und Verurteilungen ohne gerichtliche Verfahren abschaffen sollen. Interessanterweise geschieht dieser Ausbau des Rechtsraumes in intensiver Zusammenarbeit mit deutschen Beratern.

Der Unterschied zwischen dem chinesischen und dem russischen Transformationsprozeß könnte krasser kaum sein und er wirft prinzipielle Fragen auf: Glasnost und Perestroika gaben Freiheit, ja! Selten konnte man sich in der Welt so unbehelligt bewegen wie im Rußland Jelzins. Aber was für eine Freiheit war das, die zugleich alle sozialen Sicherungssysteme auflöste und so die Bewegungsfreiheit der Mehrheit der Bevölkerung ökonomisch drastisch einengte? Im Ergebnis hat diese Freiheit zur Verelendung der Mehrheit der russischen Bevölkerung geführt, was nur deshalb nicht zu Hungereinbrüchen führte, weil die Menschen sich auf die Netzwerke der familiären Zusatzwirtschaft, Datscha, und ihre Gunstbeziehungen stützen konnten. Viele ältere Menschen können heute nicht einmal mehr den Bus zur Datscha bezahlen. Freiheit ist zu einer leeren Vokabel geworden. Putins restaurative Notbremse hat diesen Prozeß nur bedingt stoppen können, mehr noch, der Einschränkung, die die Bevölkerung durch den Verlust ihrer gemeinschaftlichen Sicherungssysteme erlitt, hat er im Bestreben, die Staatsmacht zu restaurieren, noch die Abschaffung der Basisorgane der örtlichen und regionalen Selbstverwaltung hinzugefügt und sie durch das System, der „gelenkten Demokratie“ ersetzt, die Initiativen von unten nach oben kaum durchläßt.

Deng Hsiao Ping und seine Nachfolger dagegen schafften es, das Niveau persönlicher Interessiertheit und Produktivität wie auch der sozialen und rechtliche Absicherung Schritt für Schritt zu heben, indem sie die Erweiterung ökonomischer Spielräume davon abhängig machten, ob sie zur Anhebung der gemeinschaftlichen Versorgungsmöglichkeiten beizutragen geeignet wären.[4] Freiheit ist in China erkennbar kein Wert an sich, der individuell definiert wird, sondern eine Funktion des allgemeinen Volkswohlstandes, der Stabilität, Motto: Je höher das allgemeine Versorgungsniveau, desto größer die Bewegungsfreiheit für die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft. Die Partei kontrolliert diesen Prozeß, in dem sie sich auch selbst verändert, das heißt, in dem sie um die Zulassung dieser oder jener Neuerungen, die Lösung dieses oder jenes Problems wie etwa das der Wanderarbeiter interne Richtungskämpfe austrägt. Opposition findet innerhalb der Partei statt; sie repräsentiert das Ganze. Wer die Partei in Frage stellt, stellt China in Frage.

Extremer könnten sich zwei unterschiedliche Verständnisse von Freiheit nicht gegenüberstehen: In Rußland verfassungsrechtlich garantierte individuelle Freiheit, die sich unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse für die Mehrheit der Bevölkerung jedoch in Abhängigkeit verwandelt, in China Parteidiktatur, unter deren Kontrolle sich an der Basis der Bevölkerung zunehmende individuelle Selbstständigkeit im Rahmen eines allgemein wachsenden Wohlstandes entwickelt. Angesichts dieser Tatsachen sagen heute nicht wenige Menschen in Rußland: ‚Ach, wären wir doch auch den chinesischen Weg gegangen!“ Auch aus dem Westen sind solche Stimmen zu hören. Aber ist dies wirklich eine Option?

Drei Fragen müssen dafür noch genauer betrachtet werden:
  1. Was ist der Kern des Unterschiedes zwischen dem chinesischen und dem russischem Weg? Wo liegen seine kulturellen Wurzeln?
  2. Hätte Rußland den chinesischen Weg gehen können? Kann es das jetzt?
  3. Ist der chinesische Weg – auch mit Blick auf die heutigen globalen Probleme – der richtigere, oder gar einer, der die Zukunft bestimmt?
Um mit der Frage nach dem Kern zu beginnen: Er liegt im unterschiedlichen Verständnis von der Rolle des Staates. Im traditionellen Denken Chinas ist der Mensch Teil eines ganzheitlichen Kosmos, dazu berufen, die Beziehungen zwischen Himmel und Erde als harmonische Ordnung zu erkennen und diese Harmonie in seinem sittlichen Handeln zu fördern. Ein Jenseits hinter dieser Harmonie gibt es nicht, also auch keine Hoffnungen auf eine Erlösung aus dem diesseitigen „Jammertal“ in ein jenseitiges Paradies. Die Erfüllung des Lebens findet hier und jetzt statt. Der Staat ist dann gut, wenn er diesen Zielen dient. Und viele chinesische Kaiser haben versucht so zu handeln.

Rußland steht, obwohl auch durch Asien stark beeinflußt, eher in der Tradition orthodoxer christlicher Jenseitigkeit, in der das leibliche Wohl dem geistigen, das Diesseits dem Jenseits untergeordnet wurde. Scharf gesprochen: Die Kirche kümmerte sich um die „Seelen“, die Körper blieben staatlicher Willkür überlassen. Die Frage einer allgemeinen Wohlfahrt im Diesseits wurde erst von der Oktoberrevolution auf die Tagesordnung gebracht, erwies sich aber mit deren Orientierung auf den kommenden Kommunismus, in dem es keinen Staat, keine Ausbeutung und keine Unterdrückung mehr geben werde, als Fortsetzung der traditionellen Vertröstungen auf das bessere Jenseits.

Zur Verdeutlichung des chinesischen Verständnisses der Beziehung von Mensch, Staat und Welt sei hier zitiert, wie der Religionsforscher Helmuth von Glasenapp die „Grundgedanken der chinesischen Weltanschauung“ beschreibt. Unter dem Stichwort „Universalismus“ heißt es bei ihm: „Nach diesem bilden Himmel, Erde und Mensch die drei Komponenten des einheitlichen Alls, sie stehen in innigen Wechselbeziehungen zueinander und werden von einem allumfassenden Gesetz regiert. Alle Erscheinungen des Makrokosmos haben im physischen, geistigen und sittlichen Leben des Menschen ihre Entsprechung, andererseits aber ist auch das, was die Ordnung in der menschlichen Gesellschaft aufrechterhält, die Richtschnur für das Weltgebäude. So heißt es im Buch der Sitte: ‚Die Kraft der Sitte ist es, durch die Himmel und Erde zusammenwirken, durch die die vier Jahreszeiten in Harmonie kommen, durch die Sonne und Mond scheinen, durch die die Sterne ihre Bahnen ziehen, durch die Gut und Böse geschieden wird, durch die Freude und Zorn den rechten Ausdruck finden, durch die die Unteren gehorchen, durch die die Oberen erleuchtet sind, durch die alle Dinge trotz ihrer Veränderungen nicht in Verwirrung kommen.’ In einem der ältesten Stücke des ‚Shu-ching’ heißt es:’ Es ist ein innerster Zusammenhang zwischen dem Himmel oben und dem Volke unten, und wer das im tiefsten Grunde erkennt, der ist der wahre Weise.“[5]

Der Mensch dürfe sich aber nicht damit begnügen, den Kreislauf der Natur zu beobachten, schreibt Glasenapp weiter, er müsse vielmehr „auch bestrebt sein, durch seine ethische Gesinnung das erhabene Beispiel des Himmels nachzuahmen. Was für das Individuum gilt, gilt aber auch für die Gemeinschaft. Denn die Ordnung (tao) in der Natur, im Reich, in der Gesellschaft und im Leben des einzelnen sind auf innigste miteinander verflochten: das eine bedingt das andere, und eine Störung in dem einen Teil des Universums hat auch Disharmonien in den anderen zur Folge.“ Für das chinesische Staatsverständnis bedeute das: „Der Herrscher des Reiches der Mitte galt ihnen daher als der alleinige und rechtmäßige Vertreter des Himmels auf Erden. Nach dem erhabenen Vorbild des Himmels hatte er das Weltreich zu regieren; dem Himmel war er für die Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich.“[6]

Bei Laotse, mit Konfuzius einer der bekanntesten Philosophen des chinesischen Altertums, aber im Unterschied zu diesem keineswegs ein Freund übertriebener staatlicher Kontrolle, nimmt dieses Denken in der Strophe 3 seines „Tao-Te-King“ folgende Form an:

Die Tüchtigen nicht bevorzugen,
so macht man, daß das Volk nicht streitet.
Kostbarkeiten nicht schätzen, so macht man, daß das Volk nicht stielt.
Nichts Begehrenswertes zeigen,
so macht man, daß des Volkes Herz nicht wirr wird.

Darum regiert der Berufene also:
Er leert ihre Herzen und füllt ihren Leib.
Er schwächt ihren Willen und stärkt ihre Knochen
Und macht, daß das Volk ohne Wissen
Und ohne Wünsche bleibt,
und sorgt dafür,
daß jene Wissenden nicht zu handeln wagen.
Er macht das Nichtmachen. So kommt alles in Ordnung.“
[7]

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei gleich erklärt: Das „Herz“ ist im Chinesischen der Sitz der Begierden; „Wille“ ist im Sinne von Willkür und Ehrgeiz zu verstehen; „Wissen“ ist gleichbedeutend mit überflüssiger Information, inhaltslosem Intellektualismus; „jene Wissenden“ sind diejenigen, die das Volk mit falscher Gelehrsamkeit oder sinnlosen Informationen in die Irre führen oder gar betrügen. Der „Berufene“ ist der Erkennende, im Idealfall die höchste Kraft im Staate, der Kaiser, der dafür zu sorgen hat, daß die Ordnung des Himmels (und der Erde) nicht gestört, sondern durch kluges „Nichtmachen“ gewahrt und gefördert wird. „Nichtmachen“ bedeutet aber nicht etwa nichts zu tun, sondern sich entsprechend der dem Kosmos immanenten Gesetze zu bewegen. Das setzt ein Studium dieser Gesetze und den Willen voraus, ihnen zur Geltung zu verhelfen. Ordnung, so faßte es Konfuzius, der in dieser Frage strenger war als Laotse, ist die Voraussetzung für Freiheit.

Durchaus zutreffend wird in dies in Wikipedia folgendermaßen beschrieben:

„Zentraler Gegenstand der Lehre des Konfuzius ist die (Gesellschafts-)Ordnung, also das Verhältnis zwischen Kind und Eltern, Vorgesetzten und Untergebenen, die Ahnenverehrung, Riten und Sitten. Konfuzius lehrte, daß erst durch die Ordnung sich überhaupt Freiheit für den Menschen eröffnet. So wie die Regeln eines Spiels Bedingung dafür sind, daß die Freiheit des Spielens entsteht, so bringt die wohlgeordnete Gesellschaft erst die Strukturen für ein freies Leben des Menschen hervor. Wie jeder Spieler aus Freiheit die Regeln akzeptiert, so akzeptiert auch der Edle Sittlichkeit und Pflichten. Ordnung unterdrückt also nicht die Freiheit, sondern eröffnet erst einen Handlungsraum, in dem menschliche Tätigkeiten einen Sinn bekommen ...“.[8]

Es darf nicht übersehen werden, daß die konfuzianische Ethik ein Ideal ist, das im tatsächlichen Verlauf der chinesischen Geschichte immer wieder auch zur Erstarrung neigte., besonders aber im späten Kaisertum. Als dogmatischer Ritualismus, der an seinen festgefahrenen Zeremonien erstickte, trug es nicht unwesentlich zu dessen Niedergang im 17. und 18. Jahrhundert bei. Der revolutionäre Aufbruch Mao Tse Tungs, der dem „Nichtmachen“ der chinesischen Traditionalisten den Kampf gegen „alte Zöpfe“, den nationalen Befreiungskampf für die Gründung der VR-China und die von ihm eingeleitete Industrialisierung entgegensetzte, riß China aus dieser Erstarrung. Die Kulturrevolution machte sich zur Aufgabe die Wurzeln des Traditionalismus für alle Ewigkeit auszureißen. Mit dem Pragmatiker Deng Hsiao Ping, der Demokratie als Funktion wirtschaftlicher Stabilität begriff, kehrte die alte chinesische Staatsweisheit, in deren Verständnis Entwicklungen nicht erzwungen, sondern nur zugelassen werden können und die Rechte des Einzelnen untrennbar an seine seinen Pflichten für das Wohlergehen der Gemeinschaft gebunden sind, in modernisierter Form an ihren angestammten Platz zurück.

Daß es auch in der heutigen Erneuerung des Verständnisses vom „guten Kaiser“ keineswegs alles „harmonisch“ verläuft, das sei hier noch einmal ausdrücklich betont, beweisen Ereignisse wie die am Platz des himmlischen Friedens, der Unterdrückung der Falun Gong Bewegung und auch die wachsende Spaltung der chinesischen Gesellschaft in Superreiche und das Heer der „Überflüssigen“, die keine Arbeit finden. Unübersehbar ist aber auch, daß die übergroße Mehrheit der chinesischen Bevölkerung der Partei heute vertraut und den von ihr vorgegebenen Rahmen sowie die darin geltenden Regeln als ihre eigenen akzeptiert, die man zwar um individuelle Spielräume erweitern möchte, die man aber nicht grundsätzlich in Frage stellt. Welche Verbindung dieses Verständnis mit der sich beschleunigenden Kapitalisierung Chinas in Zukunft eingehen wird, ist selbstverständlich eine offene Frage.

Ganz im Gegensatz dazu steht Rußland. Damit kommen wir zu der zweiten Frage, ob Rußland einen chinesischen Weg hätte gehen können, bzw. heute gehen könnte: Es sei gleich gesagt: Nein, konnte es nicht und könnte es nicht. Warum? Ausgehend von einem grundlegend anderen Staatsverständnis und entsprechenden historischen Erfahrungen, nämlich denen, daß der Staat seinen Zweck nicht darin sieht, dem Volk den ‚Leib zu füllen’ und die ‚Knochen zu stärken’, sondern im Gegenteil, sich am Volk zu bereichern, notfalls auch mit brutaler Gewalt, ist die russische, besser gesagt, die multi-ethnische russländische Bevölkerung von einem grundlegenden Mißtrauen gegenüber allem erfüllt, was mit dem Staat zu tun hat. Der Staat ist immer das Fremde, dem die eigene Welt, die eigene Gemeinschaft gegenübersteht. Freiheit, Vertrauen, Ethik liegen für die Mehrheit russländischer Menschen nicht innerhalb, sondern außerhalb staatlicher Ordnung. Der russische Begriff für dieses Verständnis von Freiheit lautet „volje“, was soviel wie Losgelassenheit, unbeschränkte Spontaneität, Regellosigkeit bedeutet, schließlich auch Wille, der in seinem Drang zur Selbstverwirklichung keine Rücksicht auf die bestehende Ordnung, ja nicht einmal auf das eigene Leben zu nehmen bereit ist. Damit geht „volje“ bereits in Willkür über. Dieses Verständnis von Freiheit ist tief in der russischen Kultur verankert, die in den schroffen Gegensätzen von derber, nicht selten brutaler Diesseitigkeit lebt und der extremen Sehnsucht ihr zu entkommen. Das Wesen dieser Sehnsucht ist eine irrationale Ungeduld, die auf Verwirklichung des Lebens hier und jetzt, auf Alles oder Nichts setzt – gleich, was es kostet. Dem gegenüber ist das modernere, gemäßigtere, eher westlich orientierte Verständnis eines weiteren Begriffes für Freiheit, „Swoboda“, als Freiheit von äußerem Zwang, von Bevormundung und individueller Unabhängigkeit in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft eher von ergänzender Bedeutung, ohne daß beide Elemente immer klar voneinander zu unterscheiden wären.

Im Ergebnis hat dieses in sich widersprüchliche Verständnis von Freiheit jedoch systemsprengende Kraft, die ihrerseits die Gewalt der Staatsmacht auf den Plan ruft. So eskalieren sich beide Seiten gegenseitig. Das galt schon für die Zeit des Zarismus. Das galt, um den Druck der gewaltsamen Industrialisierung verstärkt, auch für die Zeit nach der Revolution und die weiteren Jahre der Sowjetunion unter Stalin und danach: Der Staat blieb der Fremde, wurde geradezu zum Feind, dem eine Gegengesellschaft, genauer ein ganzes Netz von Gegengesellschaften entgegenwuchs.

Kurz gesagt: Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hatte sich ein Potential an Ungeduld in der Bevölkerung der Union angesammelt, das nicht mehr unter dem Deckel gehalten werden konnte – es sei denn durch eine Wiederholung von Repression stalinschen Ausmaßes. Gorbatschow und die hinter ihm stehenden Kräfte hatten, so gesehen, überhaupt keine Wahl. Eine andere Frage ist, ob Jelzins Beschleunigung der Perestroika zur „Schocktherapie“ unvermeidlich war. Tatsache ist, daß schon Jelzin mit der Beschießung des „weißen Hauses“ und der Eröffnung des Krieges gegen die Tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung den Rückwärtsgang einlegte, den Wladimir Putin dann mit voller Kraft fortsetzte. Das Grundproblem Rußlands, die tiefe Entfremdung der Bevölkerung vom Staat, der von der Bevölkerung immer noch, ja, durch den räuberischen Gang der Privatisierung erneut verstärkt, als Monster, als Betrüger, als Krake erlebt wird, die alle aussaugen will, ist auch nach zwölf Jahren Putinscher Restauration (Medwedew mit eingerechnet) nicht gelöst. Das reduziert die Chancen Rußlands, jetzt noch einen „chinesischen Weg“ einzuschlagen, das heißt, die Bevölkerung für einen dem chinesischen auch nur annähernd vergleichbaren nationalen Aufbruch zu stimulieren, in dem persönliche Freiheit als Funktion allgemeinen Wohlstands begriffen wird, ziemlich weit gegen Null – es sei denn, es gelänge einem zukünftigen Präsidenten Putin, der russischen Bevölkerung glaubhaft vorzuführen, daß das Ziel staatlichen Handelns darin läge, das Wohlergehen der Mehrheit der Bevölkerung mit allen Mitteln zu fördern. Dies müßte aber vor allem anderen heißen, das von Putin selbst installierte System der “gelenkten Demokratie“ in Frage zu stellen, ja, dessen Aufhebung zu fördern und die Modernisierung von oben, die der individuellen Bereicherung einiger Weniger nützt, durch eine Förderung von wirtschaftlichen Aktivitäten von unten abzulösen oder zumindest aktiv zu ergänzen, die den Wohlstand in Dörfern und Kommunen und Regionen höbe. Ob Putin dieses Kunststück einer Selbstdemontage aus eigener Kraft zustande bringt, muß bezweifelt werden.

Hilfe liegt vielleicht in einer engeren Kooperation Rußlands mit China – und damit sind wir bei der dritten Frage, nämlich, ob der chinesische Weg der richtigere, vielleicht gar ein die Zukunft bestimmender sein könnte. Auch diese Frage ist, so gestellt, zunächst klar mit Nein zu beantworten. Kein Land in der Welt kann wie China, auf eine so alte und so tief verankerte Tradition der Einordnung des Individuellen in ein kosmisch begründetes Allgemeininteresse zurückgreifen. Das gilt wie gezeigt auch für Rußland. Die traditionelle chinesische Ethik, so hoch sie steht, kann nicht einfach auf die Welt übertragen werden, nicht einmal auf das China von heute – dies um so weniger, als sie durch die Flecken aus der jüngsten Geschichte beschmutzt ist. Zudem ist offen, wie China zukünftig mit Opposition umgehen wird, wenn die weitere Kapitalisierung des Landes zu schärferen sozialen Spannungen führen sollte.

Nicht zu übersehen ist jedoch auch, daß die in der UNO vertretenen Völker, ungeachtet westlicher Kritik an der Verletzung der Menschenrechte durch China, sich immer wieder hinter die Position Chinas stellen, wonach Menschenrechte nicht nur individuell, sondern auch kollektiv zu verstehen und die Rechte auf Entwicklung, Nahrung und Arbeit als vollgültige Menschenrechte zu werten seien.[9] Nicht von der Hand zu weisen ist auch, daß chinesischer Pragmatismus, getragen von dem Wunsch, die „himmlische Ordnung“ im eigenen Interesse auch auf dem Feld der globalen Politik verwirklicht zu sehen, potentiellen Brandstiftern der Weltpolitik in den Arm fällt. Das könnte Rußland die notwendige Atempause, aber auch anderen „global playern“, sowie kleineren Völkern die notwendige Ruhe geben, am Übergang von einer aus dem Ruder laufenden globalen Finanzdiktatur, die Freiheit nur als Recht der individuellen Bereicherung kennt, zu einer internationalen Ordnung zu arbeiten, deren Freiheitsverständnis an der Entwicklung eines Wohlstands für alle Menschen, genauer, an einer Verbindung von individueller Freiheit und Gemeinwohl orientiert ist. In einer Welt der zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeiten stehen wir heute offensichtlich an der Schwelle, vom Entweder-Oder der Art: Schutz des Einzelnen vor der Gemeinschaft oder Schutz der Gemeinschaft vor dem Einzelnen in eine Welt des Sowohl-als-Auch überzugehen. Das bedeutet, die Wechselwirkung chinesischen und westlichen Verständnisses der Menschenrechte als Bereicherung für die Welt von morgen zu begreifen.

Fußnoten
  1. Mehr dazu in meinem Buch „Erotik des Informellen – Impulse für eine andere Globalisierung aus der russischen Welt jenseits des Kapitalismus. Von der Not der Selbstversorgung zur Tugend der Selbstorganisation,“ edition 8, Zürich, 2004
  2. May-fair Mei-hui Yang, „Gifts, favors and banquets: the art of social relationships in China“, 1994, Cornell University, USA
  3. Siehe dazu: Konrad Seitz, China im 21. Jahrhundert , Alfred Herrhausen Gesellschaf für den internationalen Dialog, März 2000
  4. Siehe dazu den nebenstehenden Kasten
  5. Helmuth Glasenapp, „Die fünf Weltreligionen“, Heyne, München, 2001, S. 142
  6. ebda S. 153
  7. Laotse, Tao-Te-King, Das Buch vom Sinn und Leben, in einer Übersetzung von Richard Wilhelm, 1910, Diederichs gelbe Reihe, München, 2004
  8. http://de.wikipedia.org/wiki/Konfuzius
  9. Siehe dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Volksrepublik_China, 15.10.2011
16.10.2010

*Kai Ehlers, Hamburg; www.kai-ehlers.de


Aktuelle Ergänzung: US-Amerikaner aermer als Chinesen

Gallup-Umfrage dokumentiert globale Verschiebung

Nach einer aktuellen Umfrage des amerikanischen Gallup-Instituts ist inzwischen die Armut in den USA sehr viel verbreiteter, als etwa in China. Damit widersprechen die Ergebnisse dieser Umfrage dem landläufig von den Medien gezeichneten Bild von unterversorgten Chinesen und vergleichsweise reichen Amerikanern. Den Teilnehmern der Umfrage zur Ermittlung des sogenannten "Well-Being-Index", die in insgesamt 27 Ländern durchgeführt wurde dabei unter anderem die Frage gestellt, ob sie im vergangenen Jahr Schwierigkeiten gehabt haetten, sich ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Daß dies so sei wurde von 19% der Amerikaner bestätigt, während es im Jahr 2008 noch 8% gewesen waren.

Gegenüber China haben sich damit die Verhältnisse umgekehrt: 2008 lag der Anteil der befragten Chinesen, die entsprechend ihre Unterversorgung zur Kenntnis gaben, bei 16%. Bei der aktuellen Umfrage erklärten dies nur noch 6%.

Von seiten des chinesischen Staates war die Behebung sozialer Notlagen in der Bevölkerung zum vorrangigen Ziel erklärt worden. Auch war ein neues Arbeitsrecht eingeführt worden, das Beschäftigten eine Reihe von neuen Rechten zusichert, wie das auf einen Arbeitsvertrag, Kündigungsschutz, Abfindungen usw.. Als Vorlage dieser Gesetzgebung diente das deutsche Arbeitsrecht. In den USA wurden Versuche, die Sozialleistungen für Arme und Arbeitslose zu verbessern, weitgehend blockiert, während die Steuerbefreiungen für reiche US-Bürger ausgedehnt wurden. Auch die Konsequenzen der Finanzkrise treffen in erster Linie die armen Amerikaner und die Mittelschicht, während die Finanzindustrie wieder Rekord-Boni ausschüttete.

Daß die Anklagen gegenüber dem einen Prozent der reichsten Amerikaner erheblich radikaler vorgetragen werden, als etwa in Deutschland, wo sich die Protestbewegung noch vergleichsweise zahm zu Wort meldet, daß offen von "Diebstahl" und kriminellem Verhalten der Reichen und Mächtigen gesprochen wird, ist nach der hier dokumentierten Entwicklung unschwer nachvollziehbar.

Quelle: Attac Info, gw@web.de, 16.10.2010




Zurück zur China-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage