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Dollars, Dürre, Dilemma

Auch wer nicht schuld ist an der Erderwärmung, hat mit den Folgen zu kämpfen: In China kommt der Umweltschutz auf die Agenda

Von Antoaneta Beslowa/IPS *

Chinas Wirtschaft boomt zu Lasten der Umwelt. Das bis 2012 geltende erste Kioto-Protokoll zum Klimawandel nimmt das Land zwar noch nicht in die Pflicht. Die Erderwärmung aber hat auch im Reich der Mitte Konsequenzen.

Steigende Emissionen

Auch die Forschergruppe des International Panel on Clima Change (IPCC) hat China in ihrem jüngsten Klimabericht aufgerufen, etwas gegen die mit dem Wirtschaftsboom ansteigenden CO2-Emissionen zu unternehmen. In der Volksrepublik lebt ein Sechstel der Weltbevölkerung. Die Wirtschaft legt jährlich um knapp zehn Prozent zu. Falls China die Umwelt in gleichem Maße belastet, wie dies westliche Länder im Verlauf ihrer Industrialisierung getan haben, ist fest mit einer Umweltkatastrophe zu rechnen.

Damit steht das Wirtschaftswunderland vor einem kaum lösbaren Dilemma. Die Kohle ist derzeit wichtigster Energielieferant. Sie deckt mehr als 70 Prozent des Bedarfs, belastet das Land mit horrenden Emissionen. Zahlreiche Industrieanlagen werden ohne amtliche Erlaubnis mit Kohle befeuert. Nach Angaben der Regierung liegen Chinas CO2-Emissionen dennoch unter dem globalen Durchschnitt. Ende Januar betonte Cheng Siwei, stellvertretender Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, daß die US-Amerikaner im Jahr durchschnittlich pro Kopf 28 Barrel Erdöl verbrauchen, die Chinesen nur zwei Barrel. »Wenn man sich die Zunahme der Emissionen zwischen 1950 und 2002 ansieht, liegt unser Anteil bei zehn Prozent. Wer will uns für den Anstieg verantwortlich machen?«

Die Angaben sind korrekt. Der chinesische Einfluß auf den Klimawandel ist gering, doch er wächst vergleichsweise schnell. Von 1992 bis 2002 stieg der Ausstoß an sogenannten Treib­hausgase um 33 Prozent. Seit etwa 25 Jahren setzt Peking auf ein schnelles Wirtschaftswachstum zur Hebung des Lebensstandards. Für die ökologischen Folgeschäden, die bislang keine Rolle spielten, machen die Behörden jetzt die weltweite Erwärmung verantwortlich.

Im vergangenen Sommer kam es in China zur schlimmsten Dürre seit 50 Jahren. Offizielle Stellen wiesen jeglichen Zusammenhang mit der Fertigstellung des gigantischen Drei-Schluchten-Staudamms am Jangtse-Fluß zurück. »Der Klimawandel ist Schuld an der beispiellosen Trockenheit«, versicherte Dong Wenjie, Direktor des nationalen Zentrums für Wetterprognosen. »Der Drei-Schluchten-Staudamm hat damit nichts zu tun.« Dagegen spricht: Der Pegelstand des Jangtse war 2006 so niedrig wie seit 140 Jahren nicht.

Ohne Wasser

In Chinas Norden sind viele Flüsse an ihrem Unterlauf Monate lang ausgetrocknet. Der mächtige Gelbe Fluß, einst für Überschwemmungen gefürchtet, führt heute an 226 Tagen kein Wasser mehr. »Wir haben diese Wasserkrise selbst verschuldet, weil wir die Wälder abgeholzt und unsere Wasserressourcen zu rücksichtslos ausgebeutet haben«, meinte Wang Yongchen im eingangs erwähnten Zeitungskommentar. Am Ende ist diese Klärung der Schuldfrage müßig. Über den eigenen Beitrag zum Klimawandel läßt sich nur spekulieren. Fest steht: Er macht dem Land zu schaffen. »In Nordchina etwa können sich nur noch die Alten an die kalten Winter früherer Zeiten erinnern«, berichtet Zhao Zongci vom Nationalen Klimazentrum, das Chinas Wetteramt untersteht.

Auch das Abschmelzen der Gletscher auf dem »Dach der Welt«, dem Quinhai-Plateau in Tibet, wird auf den Temperaturanstieg zurückgeführt. Wissenschaftler vom chinesischen »Zentrum für Fernerkundung und geophysikalische Beobachtungen aus der Luft« messen seit 30 Jahren, wieviel Eis schmilzt: Im Jahresdurchschnitt sind es 131,4 Quadratkilometer. Ihre Prognose: Bis 2050 ist ein Drittel der Gletscher verschwunden. Flüsse wie der Jangtse, die im tibetischen Hochgebirge entspringen, führen entsprechend weniger Wasser.

Welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen eine anhaltende, schwere Dürre für China haben könnte, hat das Potsdamer Geoforschungszentrum am Beispiel des Untergangs der Tang-Dynastie (618–907) dargelegt. Die Studie, erstellt unter Leitung des Klimaforschers Gerald Haug (Leibnitz-Preisträger 2007), wurde in der Januarausgabe der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Ihr zufolge führte die jahreszeitliche Verschiebung des Monsuns im 8. und 9. Jahrhundert in vielen Regionen zu schweren Dürren und Hungersnöten. Ganze Gesellschaftssysteme wie das der Tang wurden ausgelöscht.

* Aus: junge Welt, 22. Februar 2007


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