Peking bekämpft Burnout
Chinas Regierung beschließt Maßnahmen gegen nachlassende Wachstumsdynamik. Schwache Exporte und schleppende Umstellung Richtung Binnenkonjunktur
Von Tomasz Konicz *
Peking hat reagiert: Am Mittwoch abend gab die chinesische Regierung bekannt, daß sie die Wirtschaft wieder direkt unterstützen will: Ab kommenden Monat werden demnach für alle Kleinstunternehmen (Monatsumsatz unter umgerechnet 2500 Euro) Steuererleichterungen wirksam. Dies soll offenbar verhindern, daß diese mehr als sechs Millionen Unternehmen in der gegenwärtigen Phase verringerter Wirtschaftsdynamik aufgeben.
Auch beschloß der Staatsrat, vor allem kleinere exportorientierte Unternehmen zusätzlich zu unterstützen. Vorgesehen ist auch laut Nachrichtenagentur dpa eine Beschleunigung des Bahnausbaus im Reich der Mitte, einschließlich einer teilweisen Privatisierung bestimmter Bereiche. Zusätzlich wird ein Programm zum Kampf gegen Luftverschmutzung aufgelegt (umgerechnet rund 200 Milliarden Euro).
Angesichts der anhaltenden konjunkturellen Abkühlung in der Volksrepublik hatte die Führung bereits am Dienstag ein Stopsignal verkündet. Einem Bericht der Zeitung Xinjingbao zufolge benannte Ministerpräsident Li Keqiang ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent als »Untergrenze für wirtschaftliche Entwicklung«. Dieser »Mindestwert dürfe nicht unterschritten werden«, hieß es weiter. Chinesische und südostasiatische Aktienmärkte reagierten auf diese Nachrichten mit Kursgewinnen von bis zu 3,6 Prozent, da aufgrund dieser Aussagen eine langfristige Abkehr von der expansiven Geldpolitik Pekings unwahrscheinlich scheint.
Beunruhigende Nachrichten waren dann aber am Mittwoch gekommen: Der von der britischen Großbank HSBC erhobene Einkaufsmanagerindex für den Monat Juli sank auf nur noch 47,4 Punkte, deutlich weniger als der ohnehin schwache Wert vom Juni (48,2 Punkte). Der Indikator unterbot nicht nur die meisten Prognosen, sondern fiel zugleich auf den niedrigsten Stand seit elf Monaten. Ein Wert unterhalb von 50 Punkten signalisiert eine abnehmende Wachstumsdynamik. Ungeachtet aller Deklarationen Pekings kann die Konjunktur nicht an alte Stärke anknüpfen. Angesichts dieser Zahlen, die umgehend zu Kursabschlägen an den Aktienmärkten führten, wirken die Beteuerungen des Regierungschefs vom Vortag wie ein präventiver Beruhigungsversuch.
Die HSBC sprach angesichts der Zahlen auch von einer »anhaltenden Verlangsamung« der chinesischen Industrieproduktion. Die werde zusehends den Arbeitsmarkt unter Druck setzen und »zusätzliche Maßnahmen« zur Stabilisierung der Konjunkturentwicklung (wie die beschlossenen) erforderlich machen. Im zweiten Quartal dieses Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,5 Prozent gewachsen, nach 7,7 Prozent im Vorquartal. Damit hatte sich das Tempo zum neunten Mal binnen der vergangenen zehn Quartale etwas verlangsamt. Der Wirtschaftswissenschaftler Wang Jian vom Forschungsinstitut der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission warnte in dem staatsnahen China Securities Journal, daß die Wachstumsrate im vierten Quartal sogar unter sieben Prozent fallen, und 2014 »zeitweise unter sechs Prozent« liegen könnte.
Verstärkt wird diese Entwicklung einerseits durch die lahmende Exportwirtschaft, die im Juni mit einem Rückgang von 3,1 Prozent den stärksten Einbruch seit Oktober 2009 verzeichnete. Wieder einmal waren es die Ausfuhrrückgänge in die rezessionsgeplagte Euro-Zone, die mit einem Minus von 8,3 Prozent maßgeblich zu der Situation beitrugen. Die Warenverkäufe in die USA verringerten sich um 5,4 Prozent, während die in die ASEAN-Staaten um 10,4 Prozent zulegen konnten. Die chinesische Industrieproduktion war im Juni mit einem Plus von 8,9 auf den niedrigsten Zuwachswert seit 2009 gefallen. 2012 wuchs dieser Sektor um zehn Prozent.
Auch scheint die von Peking verkündete Umstellung des Wachstumsmodells auf den Binnenmarkt ebenfalls ins Stocken zu geraten. Zwar legten die Einzelhandelsumsätze in den ersten sechs Monaten um 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Doch 2012 lag dieser Wert mit 14,3 Prozent weitaus höher (jeweils inklusive PKW-Absatz). Angesichts des geringen Anteils des privaten Binnenkonsums am chinesischen BIP, der bei rund einem Drittel liegt (in den USA sind es zwei Drittel), reichen diese Zuwächse nicht aus, um die Exporteinbrüche zu kompensieren.
Inzwischen habe die Industrie mit ausgewachsenen Überkapazitäten zu kämpfen, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Verweis auf Erklärungen des chinesischen Wirtschaftsministeriums. Eine »fehlende effiziente Nachfrage, Überkapazitäten und Schwierigkeiten kleinerer Unternehmen mit Arbeitskosten und Finanzierung« würden das Wachstum belasten, erklärte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch. Auch Schwergewichte geraten in Schieflage: Die größte nichtstaatliche Schiffswerft, die China Rongsheng Heavy Industries Group, mußte jüngst angesichts leerer Auftragsbücher und massiver Überschuldung Staatshilfen beantragen. Peking kündigte unterdessen umfassende Umstrukturierungen und Fusionen in etlichen Industriebranchen an, bei denen unrentable »Zombie-Unternehmen sterben« sollen, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) formulierte. Vom drohenden Abbau von Überkapazitäten seien die »Stahl-, Zement- und Aluminiumbranche«, aber auch die »Glasindustrie und der Schiffbau« betroffen, so die FAZ weiter. Laut Financial Times sehen sich rund drei Viertel aller Unternehmen der Schwerindustrie mit »ernsthaften Überkapazitäten« konfrontiert, in der Leichtindustrie seinen es »nur« 40 Prozent.
* Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013
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