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KP sorgt sich um Chinas Bauern

Soziale Stellung der Landbewohner soll verbessert werden

Von Anna Guhl, Peking *

Vor 30 Jahren führte Chinas Führung auf dem Land wieder die private Nutzung von Ackerböden ein. Die Bauern sollten vom eigenen Anbau leben und ihre Familien ernähren können.

Mit der Übertragung des Ackerlandes an die Bauernhaushalte zur eigenen Bewirtschaftung machten Chinas Reformpolitiker um Deng Xiaoping 1978 den Weg frei für eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik zunächst auf dem Land und dann in den Städten. Den Konzepten der Mao-Zeit wurde ein für allemal der Rücken gekehrt.

Seither hat sich in China viel, sehr viel verändert. Doch als Staats- und Parteichef Hu Jintao vor Kurzem in die zentralchinesische Provinz Anhui fuhr, dorthin, wo Ende der 70er Jahre der Umgestaltungsprozess begann, traf er auf dem Land auf nur wenig veränderte Verhältnisse. Während in den Städten Reform und Öffnung enorme Kräfte freisetzten und diese in moderne Metropolen verwandelten, blieben die Dörfer rundherum arm und rückständig und die Bauern können sich kaum von ihrem Pachtland ernähren. Der fehlende Fortschritt in Chinas Dörfern hemmt die weitere Sozial- und Wirtschaftsentwicklung. Daher standen Reformschritte auf dem Land ganz oben auf der Agenda der alljährlichen Plenartagung des ZK der KP Chinas, die bis Sonntag in Peking beriet.

Chinas Bauern waren stets arm dran in der Gesellschaft: verachtet, geknechtet, missbraucht und letztendlich immer wieder von der »großen« Politik vergessen. So war es in der Vergangenheit und auch der Wirtschaftsboom in den letzten Jahrzehnten hat den rund 750 Millionen Bauern nur zu wenig mehr Einkommen und neuen Lebenschancen verholfen.

Millionen sind in die Städte abgewandert, haben dort zum Aufschwung beigetragen und konnten endlich auch ihre Familien versorgen. Doch sind sie Menschen zweiter Klasse geblieben auf dem Land, wo sie herkommen, und ebenso in den Städten. Sie verfügen heute lediglich über knapp ein Drittel des Einkommens ihrer Landsleute in den Städten. Und berücksichtigt man die Infrastruktur, dann können die Menschen auf dem Land nur einen geringen Teil dessen genießen, was den Bewohnern in den Städten an Lebensqualität geboten wird.

Zwar hat das Familienpachtsystem den Landwirt wieder mit »seiner Scholle« verbunden und er kann selbst über deren Bewirtschaftung bestimmen. Doch die Zweiteilung in Land- und Stadtbewohner aufgrund des Meldesystems lässt ihn weiterhin macht- und rechtlos. Alleinherrschaft der lokalen Beamten in den Dörfern und marktwirtschaftliche Strukturen in den Städten -- Chinas Bauern sehen sich doppeltem Druck ausgesetzt. Lokale Machtwillkür gepaart mit privatem Interesse lassen den Bauern oftmals keinen Spielraum. Jederzeit kann ihnen der Pachtboden wegen »gemeinnütziger« Gründe einfach entzogen werden. Häufig trifft es nicht allein den Ackerboden, sondern sie verlieren auch das Land für Haus und Hof. Entschädigungen fallen, wenn sie überhaupt gezahlt werden, gering aus, sodass oft nur die Abwanderung in die Städte bleibt.

Wut und Empörung machen sich breit, Massenausschreitungen nehmen zu und bilden immer wieder neuen sozialen Sprengstoff. Chinesische Untersuchungen sprechen von 84 000 Zwischenfällen im letzten Jahr, wobei die Zahl der Beteiligten und deren Aggressivität rapide ansteigen soll. Peking macht sich aber auch Gedanken über den Bestand der landwirtschaftlichen Nutzflächen im Land und die Sicherung des Anbaus von Getreide. Denn volle Getreidespeicher waren schon immer ein Gradmesser für den sozialen Frieden im Land.

Chinesische Experten beraten daher seit Monaten über reformpolitische Maßnahmen, die vor allem zu mehr Rechts- und Interessensicherheit auf dem Land führen sollen. Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Li Yining forderte deshalb in Vorbereitung der ZK-Debatte in einem Interview mit Nachdruck die Aufhebung der sozialen wie rechtlichen Diskriminierung der Bauern. Darüber hinaus regte er die Einrichtung von Banken an, die unabhängig von lokalen Behörden sind, die Pachtböden der Bauern in Verwaltung nehmen, wenn diese in die Städte ziehen, sie aber auch mit »Kapital« versorgen für die moderne Bewirtschaftung oder ein eigenes Gewerbe im Heimatort.

Eine Privatisierung des Bodens lehnt Li ab, wie auch viele seiner Kollegen. Auch die chinesische Führung will am Familienpachtsystem festhalten. Aber die Fristen sollen verlängert werden von jetzt 30 auf mindestens 70 Jahre. Und die Bewirtschaftungs- und Übertragungsrechte will sie stärker abgesichert wissen.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2008


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