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"Die Aufwertung war ein kluger Schachzug"

China macht sich vom Dollar unabhängiger und stellt die Weichen in Richtung mehr Produktivität. Ein Gespräch mit Rudolf Hickel

Rudolf Hickel ist Professor für Finanzwirtschaft und Forschungsleiter Finanzpolitik am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen



Die VR China ist dem Drängen der USA und anderer westlicher Staaten nachgekommen und hat den Yuan aufgewertet - um stolze 0,42 Prozent. Welche Auswirkungen hat das auf die Weltwirtschaft?

Es wird von den USA als Triumph gefeiert, daß China jetzt ein wenig aufwertet - aber eigentlich hat das Land etwas ganz anderes gemacht: Es hat sich vom US-Dollar gelöst und als Bezugsgröße auf einen allgemeinen Devisenkorb umgestellt, in dem all die Währungen vertreten sind, mit denen China die meisten Geschäfte macht. Und das ist vor allem der Euro. Die jetzt verkündete Aufwertung ist daher in erster Linie auf die Schwäche der europäischen Währung zurückzuführen.

Die USA behaupten zwar, sie hätten diesen Schritt erzwungen - es wurde aber lediglich ein anderes Berechnungsschema eingeführt, woraus sich erstens diese Aufwertung ergibt. Die führt - zweitens! -in folgende Richtung: Exporte werden für China ein klein wenig teurer, die Importe entsprechend billiger. Eine grundsätzliche Veränderung der Handelsströme ergibt sich daraus nicht.

Also kann man sagen, daß die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft kaum meßbar sind? Und auch nicht für die deutsche Wirtschaft?

Dieser Schritt der chinesischen Notenbank wirkt sich kaum aus - erst wenn sich aus der Umstellung auf den Devisenkorb eine nachhaltige weitere Aufwertung ergeben sollte, wird das auch Einfluß auf die Handelsströme haben. Dann wird es schwieriger, die westlichen Märkte mit chinesischen Waren zu überfluten. Die Chinesen sind ja nicht blöd - sie wissen genau, daß sie mit der Strategie des billigen Jakob auf Dauer nicht weiterkommen. Erstens ist der weltweite Widerstand dagegen zu groß, zweitens wird die eigene Volkswirtschaft jetzt gezwungen, konkurrenzfähiger zu werden. China weiß, daß es seine Konkurrenzvorteile auf dem Weltmarkt auf Dauer nicht vom Wechselkurs abhängig machen kann - die chinesische Volkswirtschaft muß anders strukturiert werden.

Es ändert sich also zunächst gar nichts?

Erst mal nicht. Aber wenn es zu einer weiteren Aufwertung des Yuan kommt, die in den nächsten Wochen allerdings nicht zu erwarten ist, wird sich das deutlich auf den Welthandel auswirken.

Es gibt in China offenbar auch einen zunehmenden Druck auf die Lohnkosten - immer häufiger hört man von Streiks.

Es kommen zwei Bewegungen zusammen: China muß sich auf höhere Löhne einstellen und verliert damit tendenziell seinen relativen Lohnkostenvorteil. Lohndumping bringt nur eine gewisse Zeit lang Vorteile. Zweitens kommt der Druck durch die Aufwertung hinzu. Mit der Öffnung des Wechselkurses soll eine Produktivitätssteigerung der chinesischen Wirtschaft vorangetrieben werden. Diese beiden Faktoren führen dazu, daß der Druck auf China zunimmt, den technologischen Fortschritt zu forcieren - womit das Land auf dem Weltmarkt auf Dauer noch mehr Bedeutung gewinnt.

Am Wochenende findet in Toronto das G-20-Treffen statt. Ist die Aufwertung in erster Linie als beruhigendes Signal an die führenden Wirtschaftsmächte gedacht?

Ich glaube schon, daß diese Maßnahme der chinesischen Notenbank auch mit Toronto zu tun hat - China gibt das Signal: Seht her, wir machen unser Wirtschaftssystem jetzt rationaler. Bisher hat die Volksrepublik ja eine rein protektionistische Politik betrieben.

Die USA machen jetzt einen schweren Fehler, wenn sie diese Aufwertung als Sieg feiern. Im Grunde genommen ist es nämlich eine Niederlage, daß die Koppelung des Yuan an den Dollar aufgegeben und daß statt dessen die Bindung an den Euro gestärkt wird.

Die Aufwertung um 0,42 Prozent war also nur der Anfang?

Das läßt sich auch rechnerisch belegen: Wenn der Euro im Vergleich zum Dollar weiter an Wert verliert, führt das automatisch dazu, daß der Yuan aufgewertet wird - d. h.: die chinesische Währung wird insgesamt teurer. Die chinesischen Exporteure bekommen für ihre Waren weniger Devisen, also weniger Euros oder Dollar. Und für den chinesischen Markt selbst heißt das, daß man mit dem Yuan mehr ausländische Währung kaufen kann. In dem ganzen Konflikt zeigt sich auch ein Streit um die Hegemonie auf den Weltmärkten - mit dieser Maßnahme hat China einen klugen Schachzug gemacht.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 23. Juni 2010


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