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Chinas Sorge ums friedliche Umfeld

Volksbefreiungsarmee ist und bleibt Objekt der "Vier Modernisierungen"

Von Werner Birnstiel *

Am 1. August begeht Chinas Volksbefreiungsarmee (VBA) traditionsgemäß den Jahrestag ihrer Gründung vor nunmehr 86 Jahren. Ausrüstung und Modernisierung der Armee erregen international immer wieder Aufsehen.

Vor wenigen Tagen – Anlass war der 60. Jahrestag des Waffenstillstandsabkommens für Korea – erklärte Chinas Vizepräsident Li Yuanchao in Pjöngjang, als Nachbar der Koreanischen Halbinsel bestehe die Volksrepublik auf deren Denuklearisierung und der Erhaltung von Frieden und Stabilität. Der Frieden in Nordostasien sei seinerzeit »hart erkämpft« worden und müsse »hoch und heilig« gehalten werden. Probleme sollten durch Verhandlungen gelöst werden, weshalb Peking die Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche – zwischen Nord- und Südkorea, Russland, den USA und China – befürworte.

Li beschrieb damit Chinas politisches Ziel im Allgemeinen und für die Region im Besonderen. Die im Westen auch heutzutage stets wiederholte Behauptung, Nordkorea sei für Peking ein politisch-militärischer »Puffer« gegenüber Südkorea, Japan und den dort stationierten USA-Truppen, trifft längst nicht mehr den Kern der chinesischen Politik. Vielmehr ist Nordkorea inzwischen zu einem Hindernis auf dem Weg zur »friedlichen Umgebung« geworden, wie sie China anstrebt.

Mitte April wurde im »Weißbuch Chinas Verteidigung 2013« die politisch-militärische Grundorientierung der seit November 2012 amtierenden »Fünften Führungsgeneration« unter Xi Jinping formuliert. Einer der Kernaussagen dieses Weißbuchs zufolge vertiefen sich die »Globalisierung der Wirtschaft und die Multipolarisierung der Welt«. Die gegenwärtige internationale Situation sei insgesamt »durch Frieden und Stabilität« gekennzeichnet, andererseits nähmen aber »Hegemoniestreben, Machtpolitik und Neo-Interventionismus« zu. Dabei werde der Asiatisch-Pazifische Raum für die Entwicklung der Weltwirtschaft und für die strategische Konkurrenz der Großmächte immer wichtiger. Entsprechend hätten die USA ihre Sicherheitsstrategie angepasst und die regionale Lage verändere sich tief greifend.

Auf diese Situation wird auch Chinas Armee ausgerichtet. Sie ist und bleibt einer der Bereiche, die den nach 1978 begonnenen »Vier Modernisierungen« (Industrie, Landwirtschaft, Verteidigung, Wissenschaft und Technik) unterliegt. Mit ihren 1,6 Millionen aktiven Soldaten (0,12 Prozent der Gesamtbevölkerung) verfolge sie »unbeirrbar eine militärische Strategie der aktiven Verteidigung«.

2012 belief sich Chinas Verteidigungshaushalt auf umgerechnet etwa 110 Milliarden Euro (USA: rund 524 Milliarden Euro). Darin enthalten ist auch ein Teil der Kosten für Katastrophenhilfe und Rettungseinsätze in China und im Ausland, den Begleitschutz zur See, für UN-Friedensmissionen und die Beteiligung an internationalen Aktionen zur Terrorismusbekämpfung. Ende 2012 waren beispielsweise 1764 Soldaten sowie 78 Militärbeobachter und Stabsoffiziere im UNO-Einsatz.

Spezialeinheiten der Armee werden beim Bau von Flughäfen, Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserbauprojekten eingesetzt, ebenso bei der Bewaldung von Ödland. Allein 2011/2012 wurden über 14 Millionen Bäume vor allem in Südwest- und Westchina gepflanzt. Immer wieder hervorgehoben werden Katastropheneinsätze von Soldaten bei Erdbeben, Erdrutschen, Taifunen, Dürren, Wald- und Steppenbränden und Überschwemmungen.

Zum differenzierten Bild der chinesischen Volksbefreiungsarmee gehört auch dies: An der Universität für Verteidigungstechnik wurde »Tianhe 2« (Milchstraße 2) entwickelt, der weltweit schnellste Großrechner. Ein lautes Echo löste 2012 die Indienststellung des ersten chinesischen Flugzeugträgers »Liaoning« aus, der 1998 von der Ukraine gekauft und anschließend modernisiert worden war. Bis 2020 will China eine eigene Raumstation aufbauen. Und die »Zweite Artillerie« der VBA als Kern der strategischen Abschreckung ist in der Lage, nukleare Gegenschläge und Präzisionsschläge mit konventionellen Raketen auszuführen.

Das übergreifende Problem für Chinas Führung ist indes politisch-historischer Natur: Es gibt in Ostasien kein mehrseitiges Vertragssystem, durch das bei Spannungen sofort Sicherheitsmechanismen in Gang gesetzt würden, die das Konfliktrisiko zumindest reduziere. Derartiges ist auch nicht in Sicht. Derweil können sich die USA für ihre verstärkte Konfrontationspolitik im Westpazifik keine bessere Argumentationshilfe wünschen als Nordkoreas militärische Drohgebärden. Und Japan folgt der US-Militärstrategie und rüstet unter Verweis auf die »Gefahr« aus Nordkorea ebenfalls auf – meint aber eigentlich China. Der Weg zu dauerhafter militärischer und politischer Entspannung in Ostasien bleibt lang und steinig.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 1. August 2013


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