Armee soll China als Leitbild dienen
Streitkräfte begehen ihren 85. Jahrestag
Von Werner Birnstiel *
Gibt es tatsächlich eine wachsende
militärische Bedrohung durch China?
Entsprechende Warnungen kommen
vor allem aus Washington. Chinas
Führung reagiert gelassen.
Chinas Volksbefreiungsarmee
(VBA) begeht am 1. August ihren
85. Jahrestag. Sie ist mit einer
Truppenstärke von 2,3 Millionen
Soldaten nach wie vor die größte
der Welt. Durchaus gewaltig muten
auch die Aufwendungen für
ihren Unterhalt und ihre Modernisierung
an: Chinas Verteidigungshaushalt
belief sich 2011 auf
601 Milliarden Yuan (etwa 73 Milliarden
Euro), in diesem Jahr wird
er um 11,1 Prozent zulegen – auf
umgerechnet 80,7 Milliarden Euro.
Damit beläuft sich der Anteil
des offiziellen Militärhaushalts am
Bruttoinlandsprodukt Chinas auf
1,4 Prozent. Im Vergleich dazu geben
die USA allerdings 4,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für ihr
Militär aus, die anderen ständigen
Mitglieder des UN-Sicherheitsrats
liegen zwischen 2,3 und 3,5 Prozent.
Aber zweifellos hat die Armee
in jüngster Zeit militärtechnisch
aufgerüstet. Begonnen wurde mit
dem Aufbau von Abwehrraketensystemen,
die an Chinas Küste stationiert
werden und mit Hilfe eines
dazugehörigen Satellitensystems
Ziele erfassen und feindliche
Flugzeugträger außer Gefecht setzen
können. Der erste eigene
Flugzeugträger Chinas – 1998 von
der Ukraine gekauft – ging im August
2011 auf Testfahrt. Und nur
Stunden vor dem Treffen des damaligen
US-Verteidigungsministers
Robert Gates mit Präsident Hu
Jintao im Januar 2011 hob das
erste Tarnkappen-Kampfflugzeug
der Volksbefreiungsarmee zum
Testflug ab. Sicherlich wurden
auch Vorbereitungen zur elektronischen
Kriegführung zur Abwehr
von Cyberattacken getroffen.
Parallel zur militärischen wurde
die politische Stärkung der Armee
auf die Tagesordnung gesetzt.
Kurz vor dem 18. Parteitag der KP
Chinas im Oktober äußert sich das
in der Propagierung zweier »Erziehungsbewegungen
«. Die eine
steht unter der Parole »die Politik
erläutern, die gesamte Situation im
Auge haben, Disziplin bewahren«,
die andere heißt »die Errungenschaften
der wissenschaftlichen
Entwicklung hochschätzen, der
historischen Mission treu ergeben
sein«. Was für deutsche Ohren
sprichwörtlich chinesisch klingt,
widerspiegelt das Streben der
Führung nach einer Armee, die der
gesamten Gesellschaft in vielen
Belangen ein Leitbild zu vermitteln
vermag – hoch qualifiziert,
leistungsbereit, diszipliniert und
bescheiden. Das sind schließlich
Eigenschaften, die bei der Gestaltung
der »sozialistischen Marktwirtschaft
« chinesischer Prägung
oft genug unter die Räder kommen,
was die viel zitierte innere
Stabilität ernsthaft gefährdet.
Namentlich der mächtige Militärisch-
Industrielle Komplex der
USA mitsamt seiner Rüstungslobby
versucht aus dieser Entwicklung
eine »chinesische Gefahr« im
Westpazifik und im Fernen Osten
abzuleiten. Dies nicht zuletzt, um
Abstriche am ruinös hohen Militäretat
der USA zu verhindern.
Auch hier reagiert Peking gelassen
und friedfertig. Chinas Beziehungen
zu Russland waren – bei aller
Rivalität – selten so gut wie derzeit,
die Shanghaier Organisation
für Zusammenarbeit (SCO) dient
beiden als wichtiger Stabilitätsanker
in Mittel- und Zentralasien,
zumal Indien mit Beobachterstatus
dazugehört. Zwar kochen gegenwärtig
die Kontroversen um
Inseln und Riffe im Südchinesischen
Meer, auf die China ebenso
wie Vietnam, die Philippinen und
Malaysia Anspruch erheben, wieder
hoch, doch geht es allen beteiligten
Seiten darum, den übergeordneten
Interessen an effizienten
Beziehungen zwischen China
und den Mitgliedern des südostasiatischen
Staatenbundes
ASEAN nicht zu schaden. Die
Volksbefreiungsarmee wird sich
daher weiter auf die Erhöhung ihrer
Verteidigungskraft konzentrieren
können. Zugleich erwartet
die internationale Öffentlichkeit
allerdings, dass auch China künftig
die Bemühungen um eine Begrenzung
des Waffenhandels unterstützt.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 1. August 2012
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