Aufatmen in Chile
Regierung weist Staudammprojekt in der Region Aysén zurück
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
Umweltschäden und Umsiedlungen
– viele Chilenen fürchteten die Folgen
des HidroAysén-Projekts. Die
Regierung stoppte es nun.
Türkisblau ziehen sich die Flüsse
durch die patagonisch-chilenische
Provinz Aysén. Rau ist das Klima, Hitze
im kurzen Sommer, bittere Kälte
im langen Winter. Die Landwirtschaft
ist Knochenarbeit, Industrie
Fehlanzeige, die Abhängigkeit von
den staatlichen Arbeitsplätzen ist
groß. Verlockend waren das Angebot
neuer Jobs beim Staudammbau und
das Versprechen vom billigen Strom.
Doch die Mehrheit von Ayséns Bevölkerung
wollte trotzdem nie, dass
ihre Flüsse gestaut und ihre Täler
überflutet werden.
Jahrelang währte der Kampf gegen
das Megaprojekt. Bis am Dienstag
Chiles Umweltminister Pablo Badenier
die gute Nachricht verkündete:
»Das Wasserkraftprojekt Hidro-
Aysén ist hiermit zurückgewiesen.«
Zuvor hatten die sechs zuständigen
Minister die bereits ausgestellte Umweltverträglichkeitsbescheinigung
für das geplante Großprojekt im Süden
des Landes einstimmig zurückgezogen.
Stattdessen gaben sie den 35 Beschwerden
von Einzelpersonen und
Umweltorganisationen gegen das
Vorhaben statt.
Vor dem Sitzungsgebäude in Chiles
Hauptstadt Santiago lagen sich die
ProjektgegnerInnen vor Freude jubelnd
und weinend in den Armen,
ganz Aysén atmete erleichtert auf.
Kein Vorhaben hatte das Umweltbewusstsein
der chilenischen Bevölkerung
und den Umgang mit den natürlichen
Ressourcen in den vergangenen
vier Jahren so stark verändert
und geprägt wie »HidroAysén«. Im
Mai 2011 kam es zur ersten großen
Umweltdemonstration des Landes,
bei der rund 100 000 Teilnehmer in
der Hauptstadt Santiago das Ende der
Planungen für das Projekt sowie den
Erhalt von Natur und Wasser einforderten.
Das Projekt »HidroAysén« sah den
Bau von insgesamt fünf Staudämmen
und ebenso vielen Wasserkraftwerken
vor. Durch die Aufstauung der
Flüsse Baker und Pascua wären knapp
6000 Hektar Land überflutet worden.
Mit einer 2000 Kilometer langen
Hochspannungstrasse sollte der
Strom aus dem Süden in die dicht besiedelte
Landesmitte geleitet werden.
»HidroAysén« sollte mit einer
Leistung von 2750 Megawatt 20 Prozent
des geschätzten zukünftigen
Strombedarfs des Landes decken. Der
Bauherr, das spanisch-chilenische
Konsortium Endesa-Colbún hatte die
Kosten zunächst auf 3,2 Milliarden
US-Dollar veranschlagt. Ab 2019 sollte
der erste Strom geliefert werden,
2025 sollte das letzte der fünf Kraftwerke
ans Netz gehen.
Die Umweltverträglichkeit des
Projekts war Endesa-Colbún in einer
mehr als umstrittenen Entscheidung
der Umweltkommission der Provinzhauptstadt
Coyhaique im Mai 2011
bescheinigt worden. Die Entscheidung
versetzte wenig später die gesamte
Region in Aufruhr und mündete
schließlich in ein zähes juristisches
und politisches Tauziehen.
Die Aysén-Region ist eines der
wasserreichsten Gebiete im südamerikanischen
Patagonien. Chiles neoliberales
Wasserrecht erlaubt privaten
Unternehmen den Besitz und die
Nutzung von Wasser in Bächen und
Flüssen, auch ohne Eigentümer des
Bodens zu sein, durch den dieses
Wasser fließt. In Patagonien befinden
sich die Nutzungsrechte für Wasser
in den Händen privater Großunternehmen.
Das Betreiberkonsortiums hat nun
30 Tage Zeit, um beim Umweltgericht
in Valdivia Berufung gegen die
Entscheidung einzulegen, in letzter
Instanz kann es den Obersten Gerichtshof
anrufen. Dennoch wird das
Projekt mit der jetzigen Regierung
wohl nicht zu machen sein: Präsidentin
Michelle Bachelet hatte bereits
vor ihren Amtsantritt im März 2014
angemahnt, dass das Projekt in der geplanten
Weise nicht umsetzbar sei.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag 12. Juni 2014
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