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Mapuche rehabilitiert

Chile: Interamerikanischer Gerichtshof kippt Urteile gegen Indígena-Aktivisten

Von Benjamin Beutler *

Es ist eine schallende Ohrfeige, die der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof (CIDH) in der vergangenen Woche ausgeteilt hat. Die Richter des juristischen Organs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatten den Fall von acht in Chile verurteilten Mapuche-Aktivisten verhandelt, die seit Jahrzehnten für die Rückgabe ihrer Ländereien kämpfen. Sie waren 2003 und 2004 wegen »terroristischer Brandanschläge« oder deren Androhung nach dem chilenischen »Antiterrorgesetz« verurteilt worden. Dieses »Gesetz 18314« war 1984 unter der Pinochet-Diktatur erlassen worden und ist bis heute in Kraft. Mit den Verfahren gegen die Mapuche habe Chile »gegen das Prinzip der Legalität und das Recht auf Unschuldsvermutung verstoßen«, erklärten das CIDH. Die Urteile seien ungültig. Durch »Stereotype und Vorurteile in den Urteilssprüchen« seien die Indigenen benachteiligt worden, es habe ein klarer »Verstoß gegen das Prinzip der Gleichheit und Nichtdiskriminierung« vorgelegen.

Chiles Justizminister José Antonio Gómez kündigte an, die Regierung werde das Urteil befolgen. »Ich stelle fest, daß das Antiterrorgesetz ausgehend von den Zielen, die mit ihm verfolgt wurden, nutzlos war. Deshalb haben wir so klar und deutlich gesagt, daß die Anwendung des Antiterrorgesetzes manchmal nicht die Lösung des Problems sein kann«, so der Minister. Der Jurist weiß, wovon er redet. Bereits unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Ricardo Lagos Anfang der 1990er Jahre hatte Gómez das Justizministerium geleitet. In diesen Jahren des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie schaffte er die Todesstrafe ab und führte das Recht auf Ehescheidung ein. Andere Gesetze der Diktatur konnte er damals nicht abschaffen, dafür hatte Pinochet vor seinem Abtritt gesorgt, indem er unter anderem durch die Ernennung von Senatoren auf Lebenszeit die Mehrheitsverhältnisse im chilenischen Parlament zugunsten der Rechten festzurrte. Nun aber will die Regierung von Präsidentin Michelle Bachelet mit dem Urteil des CIDH im Rücken das »Antiterrorgesetz« erneut auf den Prüfstand stellen.

»Das ist ein historisches Ereignis für die Mapuche-Völker«, freute sich Juan Pichún, Sohn des Aktivisten Pichún Paillalao, nach dem Urteil. Schon wegen der Androhung eines Brandanschlages hatten sein Vater, ein 2007 nach Herzinfarkt gestorbener Lonco-Gemeindeführer aus Temulemu, und ein Mitaktivist vier Jahre im Gefängnis gesessen. Zehn Jahre Haft hatten fünf Mapuche dafür bekommen, tatsächlich einen Brand gelegt zu haben. Ein anderer saß wegen eines Brandanschlags auf den Lastwagen eines Forstunternehmens ein. Seit Kolonialzeiten ist das Gebiet der Mapuche in der südlichen Region Araucanía Schauplatz von Kämpfen zwischen den Ureinwohnern und europäischen Einwanderern. Chiles Medienhäuser hetzen dabei bis heute gegen die Mapuche und ihre Forderungen. Bedient werden alte, rassistische Bilder vom »unzivilisierten Wilden«, die Indígenas werden als brandschatzende, gewalttätige Staatsfeinde beschrieben. Schlagzeilen wie »Terrorismus in der Araucanía« oder »Gefängnis für Lonco-Terroristen« sollen bei Landbesitzern und deren Angestellten in der Region, bei Investoren und Betreibern von Wasserkraftwerken Angst vor »Terror und Gewalt« schüren, beklagt der Soziologe Millaleo Hernández. Mit dem Gefühl von »Unordnung und Unsicherheit«, der Diffamierung der Mapuche als Hindernis für Chiles »Wohlstand und Entwicklung« und der Parole vom »gefährdeten Rechtsstaat« würde das Durchgreifen der Staatsmacht gegen »Störer« entschuldigt.

* Aus: junge Welt, Montag 4. August 2014


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