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Klatsche für Piñera

Erfolg nach Protestwelle: Chiles Regierung nimmt Preiserhöhungen für Gas im Süden des Landes vorläufig zurück

Von Benjamin Beutler *

Die heftige Protestwelle im eisigen Südpatagonien hat die Rechtsregierung in Chile kalt erwischt. »Wir haben uns gegen eine arrogante Zentralregierung durchgesetzt, den Gaspreis um 16,8 Prozent zu erhöhen«, feierte die »Bürgerversammlung der Region Magallanes und Antarktis« am Mittwoch eine mit der Piñera-Administration unterzeichnete Vereinbarung. In der Regionalhauptstadt Punta Arenas, dem Epizentrum der Demonstrationen, wurde der »Sieg des Volkes« mit hupenden Autokorsos durch die Innenstadt gefeiert. Auch die Bewohner von Porvenir und Puerto Natales zeigten sich erleichtert über die abgewendete Streichung der staatlichen Energiesubventionen. »Der sozialen Bewegung ist es gelungen, Bedingungen und Lebensstil der Menschen in der südlichsten Region Amerikas in den Mittelpunkt der Diskussion zu bringen«, freute sich der Sprecher der Bürgerversammlung, José Hernández, nach neun Tagen Straßenblockaden, Flughafenbesetzung und Demonstrationen. Sogar ein Flugzeug war entführt worden, nachdem das staatliche nationale Erdölunternehmen ENAP angekündigt hatte, die Gaspreise ab dem 1. Februar massiv zu erhöhen.

Der »Puntarenazo« ist so doch noch zu einem friedlichen Ende gekommen, nachdem Innenminister Rodrigo Hinzpeter am vergangenen Wochenende gedroht hatte, die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammenden Staatssicherheitsgesetze anzuwenden und notfalls mit Hilfe des Militärs durchzusetzen. »Die Regierung will das Feuer mit Gas löschen«, warnte daraufhin der Präsident der Gewerkschaft öffentlicher Beschäftigter (ANEF), Raúl de la Puente. Sogar die katholische Kirche stellte sich hinter die Protestierenden. »Diese Maßnahme ist ohne Zweifel schlimm«, verurteilte Santiagos Erzbischof Ricardo Ezzati, der zuletzt bereits das brutale Vorgehen des Staates im Konflikt mit den Mapuche gebrandmarkt hatte, die Drohgebärden der Regierung.

Chiles Präsident Sebastián Piñera ließ diese breite Unterstützerfront letztlich wenig Spielraum. Zudem drohte sich die Protestflut im Laufe der Woche auch auf die Gebiete der Mapuche auszuweiten. Am Dienstag hatten sich außerdem Vertreter der Region Magallanes mit einer eiligst entsandten Delegation aus der 3000 Kilometer entfernten Hauptstadt an einen »Runden Tisch« gesetzt. Dem Minister für Bergbau und Energie, Laurence Goldborne, war dabei nichts anderes übriggeblieben, als zurückzurudern. 18000 Familien mit geringem Einkommen werden von jeglichen Preiserhöhungen verschont. Alle anderen Haushalte der rund 180000-Einwohner-Region müssen ab einem Verbrauch von 25000 Kubikmeter Gas zwischen drei und fünf Prozent mehr zahlen. Doch die eigentlich angekündigte Preiserhöhung um 16,8 Prozent ist noch nicht endgültig vom Tisch. In den kommenden acht Monaten sollen weitere Gespräche zwischen Santiago und Regionalvertretern geführt werden. Sollte dabei bis September keine »Gesamtlösung« erreicht werden, so Regierungskreise, trete die ursprüngliche Preiserhöhung »automatisch« voll in Kraft.

Chile ist extrem von Rohstoffen abhängig. Von 70 Milliarden US-Dollar Einnahmen im vergangenen Jahr stammten 40 Milliarden aus den Kupferexporten, der Rest aus der Ausfuhr von Zellulose, Wein und Obst. Von den »385000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen«, die die Regierung feiert, sind nur 25000 solche mit einem festen Vertrag. Bei mehr als 200000 Jobs handelt es sich hingegen um Scheinselbständigkeiten ohne Sozialversicherung. Die Proteste im Süden haben so Chiles Verwerfungen in Wirtschaft und Gesellschaft wieder zum Diskussionsthema gemacht.

* Aus: junge Welt, 22. Januar 2011


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