Ausnahmezustand im Süden Chiles
Generalstreik gegen Gaspreiserhöhung in der Region Magallanes
Von Tom Mustroph, Santiago de Chile *
Seit Anfang Januar legt ein Generalstreik die chilenische Region Magallanes lahm. Grund sind die
von der Zentralregierung angekündigten Gaspreiserhöhungen von knapp 20 Prozen, die die
Bewohner der kältesten Region Chiles empfindlich treffen. Präsident Sebastian Piñera will bislang
nicht nachgeben, entließ aber schon vier Minister.
In Südchile geht nicht mehr viel. Zufahrtstraßen zu den wichtigsten Orten, Flughäfen und
Nationalparks sind versperrt. Geschäfte bleiben geschlossen. Auch die Kommunen stellen aus
Protest die Arbeit ein. Ein Truck, ein Kleintransporter, etwas Holz für ein Feuer, Benzin darüber –
und fertig ist die Straßensperre.
»Ein paar Leute müssen noch mitmachen, denn ein Einzelner kann vielleicht eine Barrikade
aufbauen. Es braucht aber die Zustimmung eines größeren Teils der Bevölkerung, damit alle
anderen die Straßensperre auch respekierten«, erklärt José. Er ist mit seiner Frau und einer
Nationalflagge in der Hand vom nahen Puerto Natales zur Grenze zwischen Chile und Argentinien
herübergekommen, wo seit der Nacht zum 12. Januar eine Straßensperre den Zugang behindert.
Kein Fahrzeug darf passieren. Touristen müssen aus ihren Bussen aussteigen, ihr Gepäck in die
Hand nehmen und zur anderen Seite laufen, wo sie andere Busse erwarten.
»Das richtet sich nicht gegen euch«, versichert José den Reisenden. »Aber der Kampf ist
notwendig«, schickt er hinterher und schwenkt zur Bekräftigung die Staatsfahne, so dass selbst der
Polizist, der neben ihm das Treiben beobachtet, zustimmend nickt.
Eine ganze Region befindet sich in Aufruhr, seit Präsident Sebastian Piñera beschloss, ab 1.
Februar die Gaspreise für die Region Magallanes um 16,8 Prozent zu erhöhen. Hintergrund sind
Schulden der staatlichen Energiegesellschaft ENAP. Die Bewohner der südlichsten Region Chiles,
die oft auch im Sommer heizen müssen, beziehen den Brennstoff traditionell verbilligt. Und als
Wahlkämpfer hatte Piñera im vergangenen Jahr versichert: »Die Bevölkerung der Region
Magallanes muss nicht befürchten, dass sich an ihrer Sonderbehandlung und an dem Gaspreis
etwas ändern wird.«
Der Bruch dieses Versprechens hat enorme Auswirkungen. »Die ENAP besitzt eine Monopolstellung
in der Region. Es gibt keinen anderen Anbieter. Auch Strom wird zu 100 Prozent auf der Basis von
Gas erzeugt, so dass sich die Strompreise ebenfalls erhöhen. Betroffen wären überdies der gesamte
Transport und die Industrie«, erklärt Carlos Bianchi, Senator der Region. Laut Bianchi hat die
Weltbank bereits im vergangenen Jahr um 30 Prozent höhere Lebenshaltungskosten für die
Bewohner des chilenischen Südens errechnet. Die Aussicht auf eine weitere allgemeine Erhöhung
um knapp 20 Prozent treibt daher auch die Bürgermeister auf die Straße. »Wir geben nicht nach. Wir
werden kämpfen, damit die Erhöhung zurückgenommen wird«, erklärte der Bürgermeister von Punta
Arenas, Vladimiro Mimica.
Aber Chiles Präsident blieb bisher hart. »Die Erhöhungen stellen nur eine Angleichung an die
üblichen Tarife dar«, verteidigte er seinen Beschluss. Auch auf einen Kompromiss – eine Erhöhung
um drei Prozent für die kommenden zehn Monate und die Einrichtung einer Schlichtungskommission
– will er sich nicht einlassen. Innenminister Rodrigo Hinzpeter verhängte inzwischen den
Ausnahmezustand über die Region. Er tat dies nicht etwa unmittelbar nach zwei Todesfällen zu
Beginn der Proteste, als ein Lastwagen eine Straßensperre in Punta Arenas durchbrach und dabei
zwei Frauen und ein Mädchen überfuhr. Erst als sich alle Hoffnungen auf ein Abflauen des
Widerstands zerstreuten, griff er zu diesem Mittel.
Die Kastanien für Piñera soll nun Bergbauminister Laurence Golborne aus dem Feuer holen. Der
seit der spektakulären Rettung der 33 Bergleute im Vorjahr sehr beliebte Politiker übernahm nach
einer Regierungsumbildung das Energieministerium und verhandelt derzeit mit Lokalpolitikern in
Punta Arenas. Von seinem Geschick hängt es ab, ob sich die Gasproteste zu einer Dauerkrise
ausweiten.
Mittlerweile äußert sich auch die argentinische Regierung. »Wir sind sehr besorgt darüber, dass der
Zugang zum argentinischen Teil Feuerlands unterbrochen ist«, meldete das Büro von Präsidentin
Cristina Kirchner. 130 argentinische Staatsbürger wurden von der Luftwaffe ausgeflogen, rund 250
auf dem Landweg evakuiert.
Internationale Touristen in der Region trifft es noch härter. Sie können nicht auf Soforthilfe ihrer
Länder hoffen. Mehrere Hundert waren laut chilenischen Medien im Nationalpark Torres del Paine
eingeschlossen, etwa 2000 sitzen insgesamt in Feuerland und im südlichen Teil Patagoniens fest.
Einige demonstrierten inmitten des Aufruhrs für »freien Zugang zu den Nationalparks«. »Wir wollen
nur wandern«, stand auf einem Transparent in Punta Arenas. Selten prallten Vertreter der globalen
Vergnügungsgesellschaft und protestierende Bürger so unmittelbar aufeinander.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2011
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