Mapuche greifen zum Hungerstreik als Waffe
23 Untersuchungshäftlinge wehren sich gegen das Anti-Terror-Gesetz aus der Pinochet-Diktatur
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
23 Angehörige des Mapuche-Stammes sind in Chile in einem unbefristeten
Hungerstreik getreten. 15 von ihnen sind im Gefängnis der Stadt
Concepción, gut 500 Kilometer südlich von Santiago, eingesperrt, die
übrigen acht in einer Haftanstalt in Temuco, 670 Kilometer südlich der
chilenischen Hauptstadt. Am Montag ging der Streik in die dritte Woche.
Den Mapuche geht es um Selbstbestimmung und das Recht auf ihr Land. Dem
chilenischen Staat, Teilen der Justiz und der mit ihnen verflochteten
Bergbaukonzerne und Holz- und Zellulosewirtschaft dagegen um den Zugriff
auf die Bodenschätze, das Holz und das Wasser. Das führt zu reichlich
Konfliktstoff.
Mit rund 650 000 Angehörigen sind die Mapuche der größte indigene Stamm
des Andenstaates. Das sind immerhin knapp sieben Prozent der rund 16
Millionen Chilenen. Der Großteil von ihnen lebt in der Hauptstadt. Von
einer homogenen Gemeinschaft, die an einem Strang zieht, ist sie weit
entfernt.
23 inhaftierte Angehörige des Mapuche-Stammes befinden sich derzeit in
einem unbefristeten Hungerstreik. Keiner der 23 Verhafteten ist
rechtskräftg verurteilt. Alle sitzen in Untersuchungshaft, einige seit
mehr als 18 Monaten. Die Vorwürfe sind unterschiedlich und reichen von
versuchtem Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Gewalt gegen die
Polizei, Brandstiftung bis hin zu Holzdiebstahl. Je nach Vorwurf droht
im Falle einer Verurteilung eine Haft bis zu 103 Jahren. Fast alle
mutmaßlichen Delikte ereigneten sich im Zusammenhang mit Protestaktionen.
Ein Anti-Terrorgesetz aus der Zeit der Militärdiktatur 1973 bis 1990
macht es möglich. Es erlaubt eine Untersuchungshaft von bis zu zwei
Jahren und verbietet den Verteidigungsanwälten den Zugang zu den
Ermittlungsakten. Der Protest der Hungerstreikenden richtet sich in
erster Linie gegen die Anwendung dieses Gesetzes.
Weltweit haben Menschenrechtsgruppen wiederholt gegen die Anwendung des
Anti-Terrorgesetzes protestiert. »Die Verfahren werden vor
Militärgerichten geführt und erlauben die Zulassung von anonymen so
genannten »gesichtslosen« Zeugen, was Denunzianten Tor und Tür öffnet
und die Verteidigung der Mapuche-Angeklagten enorm erschwert«,
kritisiert Yvonne Bangert, von der Gesellschaft für bedrohte Völker in
Göttingen.
Zudem droht im Fall einer Verurteilung ein weitaus höheres Strafmaß als
es nach der zivilen Gesetzgebung vorgesehen ist. Nationale und
internationale Kritik prallte jedoch sowohl an der Mitte-Links-Regierung
unter Ex-Präsidentin Michelle Bachelet ab, als auch jetzt, unter dem
neuen rechten Präsidenten Sebastián Piñera.
Zwar hat die staatliche Gesellschaft für indigene Entwicklung (CONADI)
in den letzten 15 Jahren rund 700 000 Hektar an indigene Gemeinschaften
rückübereignet. Doch viele Mapuche haben nicht vergessen, dass im Zuge
der Agrarreform der Regierung von Salvador Allende Anfang der 1970 Jahre
schon einmal rund 200 000 Hektar rückübertragen wurden. Dieser Prozess
aber wurde unter der Pinochet-Diktatur blutig umgekehrt, ihre
Stammesangehörigen verfolgt und ihnen bis zu 130 000 Hektar wieder
abgenommen wurden.
Den Startschuss für eine ähnliche Enwicklung sehen viele im Bau des
Staudamms für das Wasserkraftwerks Ralco am Bío-Bío-Fluss Mitte in der
zweiten Hälfte der 90er Jahre. Die Überflutungen durch den Stausee
setzte die Umsiedlung und notfalls Vertreibung der ansässigen indigenen
Gemeinschaften voraus. Seither hat sich der seit Jahrzehnten latent
schwelende Konflikt wieder verschärft.
Während sich seitdem der Widerstand bei einem Teil der Mapuche
radikalisiert, setzte der chilensiche Staat auf eine verschärfte
Repression. Die letzten traurigen Höhepunkte waren im Januar 2008 der
Tod des 22-jährige Student Matías Catrileo bei einer Landbesetzung durch
die Kugel aus einer Polizeiwaffe in den Rücken und im August 2009, als
der 24-jährige Mapuche Jaime Mendoza bei einer Polizeiaktion gegen eine
Besetzung ebenfalls durch einen Schuss in den Rücken ums Leben kam.
Bestraft wurde dafür bisher niemand.
Für die Mapuche ist die Anwendung des Anti-Terrorgesetzes Teil der
staatliche Repression. Nach Angaben von Rechtsanwalt José Aylwin von der
Menschenrechtsorgansation Observatorio Ciudadano (Bürgerliche
Beobachtungsstelle) wird derzeit gegen 58 Mapuche auf Grundlage des
Anti-Terrorgesetzes vorgegangen. Fünf davon sind bereits verurteilt, 42
befinden sich in Untersuchungshaft und elf sind Vorbeugemaßnahmen
unterworfen. »Die Hungerstreikenden bezeichnen sich selbst als
politische Gefangene. Zu Recht, denn die Anwendung des
Anti-Terrorgesetzes durch den Staat ist eine politische Entscheidung«,
so Aylwin.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2010
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