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Präsidentengesandter gesprächsunwillig

Chiles Regierung stellt auch weiterhin die Interessen der Forstwirtschaft über die der Mapuche

Von Benjamin Beutler *

Am Wochenende kam es erneut zu einem Zwischenfall, der den seit einigen Monaten wieder auflebenden Landkonflikt zwischen den aufständischen Mapuche-Gemeinden in der Region La Araucanía und der chilenischen Zentralregierung weiter anheizte.

Regelmäßige Landbesetzungen und gewalttätige Räumungsversuche der Carabinero-Spezialpolizei hatten das Regierungsbündnis Concertacíon unter Präsidentin Michelle Bachelet in den vergangenen Wochen unter Druck gesetzt. Mit José Antonio Viera Gallo wurde nun kurzfristig ein Staatsminister für die »Koordiantion indigener Angelegenheiten« ernannt. Unmittelbar nach seiner Amtseinführung Mitte letzter Woche war er nach La Araucanía aufgebrochen, um »direkten Kontakt« mit den Mapuche-Gemeinden aufzunehmen. Trotz der angekündigten Gesprächsbereitschaft kam es am Wochenende bei einem Treffen des Sonderbeauftragten mit Mapuche-Vertretern zum Eklat.

Den Argumenten der Anwesenden -- sie erinnerten ihn an von seinen Vorgängern nicht eingehaltene Versprechen wie die Errichtung von Gemeindezentren -- wußte Gallo wenig zu entgegnen. Schon nach 15 Minuten verließ er wütend die Versammlung. Dabei stieß er eine Mapuche-Frau brutal zu Boden, die sich ihm an der Ausgangstür in den Weg stellte. »Der Gesandte der Präsidentin hat gezeigt, daß seine Absicht nicht der Dialog und das Einhalten von Vereinbarungen ist. Wie in den Zeiten der Militärdiktatur soll uns alles aufgezwungen werden«, kommentierte die Mapuche-Organisation »Rat der Erde« (CCT) das Verhalten des Regierungsvertreters. CCT und die »Araukanische Koordinationsstelle Malleco« (CAM) fordern weiter direkte Verhandlungen mit Präsidentin Bachelet, die bisher abgelehnt wurden. Erst dann könne ein Stopp der fortgeführten Proteste erfolgen.

Auch nach dem Ende der Militärdiktatur im Jahre 1989 müssen Aktivisten sozialer Bewegungen in Chile noch immer mit Repression und Lebensgefahr rechnen. So wurde der 24jährige Jaime Mendoza Collío am 12. August bei einer polizeilichen Räumung eines von Mapuche-Aktivisten besetzten Grundstückes durch mehrere Schüsse in den Rücken getötet. Im Januar 2008 kam bei Auseinandersetzungen mit der Polizei der 23jährige Matías Catrileo ums Leben. Im November 2002 wurde der 18jährige Alex Lemún bei einer Räumungsaktion von Sicherheitskräften durch Kopfschuss getötet.

Im Streit um Land und Ressourcen steht viel auf dem Spiel. »Die Forstwirtschaft ist der Leuchtturm eines Ultra-Neoliberalismus des chilenischen Staates. Sie entstand während der Militärdiktatur und wurde von der Concertación-Regierung fortgeführt.« Für Alfredo Seguel vom Informationsnetzwerk Mapucheexpress ist die Interessenslage klar. »Die Besitzer der Forst-Multis gehören zu den reichsten Unternehmern Lateinamerikas.« Schon jetzt würden hier über drei Millionen Hektar exotischer Monokulturen wie Pinie und Eukalyptus angebaut, und die Bachelet-Regierung hat grünes Licht für deren radikale Ausweitung gegeben. Die Folgen dieser Politik für die lokale Bevölkerung sind katastrophal sein. 70 Prozent der Waldflächen Chiles werden von den beiden größten Forstunternehmen, der CMPC-Gruppe und dem Angelini-Konsortium, kontrolliert -- eine Machtbasis, die sie nicht aus der Hand geben wollen.

* Aus: junge Welt, 1. September 2009


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