Abschied von Don Lucho
Von André Scheer *
Luis Corvalán ist tot. Im Alter von 93 Jahren ist der frühere
Generalsekretär der chilenischen Kommunistischen Partei am Mittwoch in
seinem Haus in Santiago de Chile gestorben. Der Parlamentsabgeordnete
Hugo Gutiérrez würdigte den Verstorbenen: »Dies ist nicht nur für die
Kommunistische Partei ein Verlust, sondern auch für unser ganzes
Heimatland. Er war ein konsequenter Demokrat, der dafür gekämpft hat,
daß dieses Land allen gehört, und der sich sehr darüber gefreut hat, daß
die Ausgrenzung der Kommunistischen Partei im chilenischen Parlament
durchbrochen werden konnte«, sagte Gutiérrez. Trotz des noch aus der
Zeit der Diktatur stammenden Wahlgesetzes war es den Kommunisten im
vergangenen Dezember gelungen, wieder in das chilenische Parlament
einzuziehen. »Der Tod von 'Don Lucho' traf uns alle überraschend. Er war
eine große Persönlichkeit unserer Partei, denn er war eine moralische
Autorität. Die Kommunistische Partei und das Land werden ihm die
gebührende Ehre erweisen.« Das Datum der Beisetzung soll in den nächsten
Tagen bekanntgegeben werden.
Der am 14. September 1916 in Puerto Montt geborene Luis Corvalán trat im
Alter von 16 Jahren der Kommunistischen Partei Chiles bei. Der
ausgebildete Lehrer arbeitete hauptsächlich als Journalist für die
kommunistischen Zeitungen Frente Popular und El Siglo. Nach dem Verbot
der Partei 1947 durch den damaligen Staatschef Gabriel González Videla
wurde er für mehrere Jahre in die Gefangenenlager Pitrufquén und Pisagua
verschleppt. Trotzdem wählte ihn seine Partei 1950 in ihr
Zentralkomitee. 1958 wurde Corvalán Generalsekretär der damals stärksten
kommunistischen Partei des Kontinents. Er wurde für seine Partei in den
chilenischen Senat gewählt und gehörte zu den wichtigsten Mitbegründern
der Unidad Popular, die ab 1970 unter Salvador Allende einen friedlichen
Weg zum Sozialismus bestreiten wollte.
Am 11.September 1973 putschte das Militär mit Hilfe der CIA gegen den
demokratisch gewählten Präsidenten. Allende verteidigte mit der Waffe in
der Hand die Moncada, den chilenischen Präsidentenpalast. Victor Jara,
der Sänger der Revolution, wurde von den Faschisten im Stadion der
Hauptstadt zu Tode geprügelt. Viele tausend Menschen wurden ermordet.
Luis Corvalán wurde von den Putschisten in das Konzentrationslager
Pitroque verschleppt, bis eine riesige internationale
Solidaritätsbewegung ihn 1976 freikämpfte. Die Befreiung Luis Corvaláns,
die im Westen als »Austausch« mit einem schnell vergessenen sowjetischen
Dissidenten verkauft wurde, um die Kraft der Solidarität kleinzureden,
gehört zu größten Erfolgen der antikapitalistischen Bewegung im letzten
Viertel des 20. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der der Imperialismus in
verschiedenen Teilen der Welt daran ging, seine Vorherrschaft
zurückzuerobern, gelang es damals, Louis Corvalán der Gewalt der
faschistischen Generäle zu entreißen.
Nicht nur Chile, auch die internationale Solidaritätsbewegung gegen
Faschismus und Krieg hat mit Luis Corvalán einen Menschen verloren, der
bis zu seinem Tod für die Ideale der Menschheit kämpfte.
* Aus: junge Welt, 22. Juli 2010
Symbolfigur des Kampfes gegen Chiles Diktatur
In Santiago starb Luis Corvalán, langjähriger Generalsekretär der KP Chiles
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires **
Luis Corvalán ist tot. Der frühere Generalsekretär der Kommunistischen
Partei Chiles starb am Mittwoch (21. Juli im Alter von 93 Jahren in der
Hauptstadt Santiago. Der Lehrer, Journalist und Politiker arbeitete an
einem Buch über die Geschichte seiner Partei, deren Geschicke er von
1958 bis 1989 als Generalsekretär entscheidend mitlenkte und deren
Zentralkomitee er bis zuletzt angehörte.
Luis Alberto Corvalán Castillo wurde am 14. September 1916 in der
südchilenischen Stadt Puerto Montt geboren. Mit sechzehn tritt er in die
Kommunistischen Partei. Er arbeitet zunächst bei der kommunistischen
Zeitung »Frente Popular« und von 1940 an als stellvertretender
Chefredakteur des Zentralorgans der KP, »El Siglo«. Von 1946 bis 1948
ist er der Chefredakteur. Erste parlamentarische Erfahrung sammelt er
als Stadtrat in Concepción. 1961 wird er erstmals zum Senator gewählt,
1969 gelingt ihm die Wiederwahl. Im selben Jahr schließt sich die KP
Chiles als zweitstärkste Kraft dem linken Bündnis Unidad Popular an.
Dessen Kandidat Salvador Allende gewinnt im September 1970 die
Präsidentschaftswahl.
Wiederholt wurde Corvalán ins Gefängnis gesperrt. Erstmals 1947, als
unter Präsident Gabriel González Videla die Kommunistische Partei
verboten wurde. Während der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet
wurde er abermals verhaftet und auf die KZ-Insel Dawson deportiert,
später in die Gefangenenlager nach Ritoque und Tres Álamos.
Da sie den Vater zunächst nicht finden konnten, verhafteten sie 1973 den
Sohn Luis Alberto. Unter Folter sollte er den Aufenthaltsort des Vaters
preisgeben. Der 26-jährige hielt jedoch stand. Knapp ein Jahr später
wurde er aus der Haft entlassen und reiste mit seiner Familie nach
Sofia. Wenige Tage bevor sein Vater freikam, starb Alberto an den Folgen
der Haft.
Während seiner Gefangenschaft wurde Luis Corvalán 1974 von der UdSSR mit
dem Lenin-Friedenspreis ausgezeichnet. Nach langwierigen Verhandlungen
wurde er 1976 in der Schweiz gegen den sowjetischen Dissidenten Wladimir
Bukowski ausgetauscht. Mehrfach war er danach heimlich in Chile.
Hauptsächlich lebte er bis 1988 im sowjetischen Exil. Danach, zwei Jahre
vor dem Ende der Pinochet-Diktatur, kehrte er offiziell in sein
Heimatland zurück.
In der DDR hatte es nach dem Sieg der Unidad Popular 1969 nicht nur enge
staatliche Beziehungen zum Chile des sozialistischen Präsidenten Allende
gegeben. Es war auch eine starke emotionale Verbundenheit großer Teile
der Bevölkerung, besonders der Jugend, mit dem Schicksal der friedlichen
Revolution in Chile gewachsen. Der blutige Putsch vom 11. September
1973, verbunden mit dem Tod des Präsidenten Allende sowie der Ermordung
oder Einkerkerung Tausender Chilenen, führte deshalb zu einer der
größten Solidaritätsaktionen in der Geschichte der DDR.
In deren Zentrum stand der Kampf um die Freilassung Luis Corvaláns, des
prominentesten Gefangenen des Regimes. Ähnlich wie wenige Jahre zuvor
beim Kampf um die Befreiung der US-Bürgerrechtlerin Angela Davis
schickten Kinder und Jugendliche viele tausend Solidaritätspostkarten
mit dem Bild des Kommunisten und der Aufschrift »Freiheit für Luis
Corvalán« nach Chile.
Nach seiner Freilassung besuchte Corvalán von seinem Moskauer Exil aus
mehrfach die DDR. Obwohl die näheren Umstände des ominösen
Gefangenenaustausches zumindest in der DDR im wesentlichen unerklärt
blieben, tat das seiner Popularität hierzulande keinerlei Abbruch. Auch
auf politischen Großveranstaltungen, verbunden mit den entsprechenden
protokollarischen Regularien, ging Corvalán sein volksnahes Auftreten
nicht verloren.
Corvalán war auch aus diesem Grunde damals häufig zu Gast in den
sozialistischen Ländern Europas und deren Verbündeten in der Dritten
Welt. Vor allem aber galt er als Symbolfigur des Volkskampfes gegen die
in jener Zeit in Lateinamerika herrschenden, teilweise faschistischen
Regimes. Nach eigener Aussage hätte er den Kampf gegen die Diktatur
dennoch viel lieber zu Hause in Chile geführt.
Aus dem Exil heraus unterstützte Corvalán den bewaffneten Kampf gegen
das Pinochet-Regime. 1974 hatte die KP die Frente Patriótico Manuel
Rodríguez als ihren bewaffneten Arm ins Leben gerufen. Ihre
spektakulärste Aktion war ein gescheitertes Attentat auf die
Wagenkolonne von Pinochet, bei dem im September 1986 fünf Begleiter
getötet wurden, der Diktator aber mit leichten Verletzungen davonkam.
Am Donnerstag (22. Juli) wurde Corvaláns Leichnam im Sitz des Kongresses
in der chilenischen Hauptstadt Santiago aufgebahrt. Bis Sonnabend hat
die Bevölkerung Zeit, Abschied zu nehmen. Zu seiner Beisetzung auf dem
Hauptfriedhof wird eine große Trauergemeinde mit internationaler linker
Prominenz erwartet.
** Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2010
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