Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Etappensieg für Opfer der Colonia Dignidad

Urteile gegen Täter aus deutscher Sektensiedlung in Chile

Von Harald Neuber *

Langsam kommt sie voran: die Aufklärung der Verbrechen in der Colonia Dignidad, der 1961 von Paul Schäfer in Chile gegründeten deutschen Sektensiedlung. Ende Januar hat der Oberste Gerichtshof des südamerikanischen Landes sechs Vertreter des inzwischen aufgelösten Sektenregimes zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. In 15 Fällen verhängten die Richter der Zweiten Kammer Bewährungsstrafen. Die Opfer von Folter und Missbrauch fordern nun weitere Urteile und eine Anerkennung des Unrechts in Chile - und in Deutschland.

Auf die Urteile der fünf Vertreter der Kammer hatten die Opfer lange gewartet. Gut 19 Monate hatte das Richtergremium die Fälle geprüft. Am Ende wurden vier Funktionäre wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu gut fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Zwei weitere Vertraute des 2010 verstorbenen Sektenchefs Paul Schäfer - Gerhard Mücke und Günther Schaffrik - müssen für gut elf Jahre ins Gefängnis. Zu den nun Verurteilten gehört auch der ehemalige Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, der im Sommer 2011 nach Deutschland geflüchtet ist und seither in Krefeld lebt.

In einem offenen Brief an die deutsche und die chilenische Regierung forderten mehrere Opfer der Colonia nun eine rasche Aufarbeitung der Verbrechen in der Siedlung, die in den ersten Jahren der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990) zudem ein Folterlager der berüchtigten Geheimpolizei DINA beherbergte.

Auf heftige Kritik der Unterzeichner, die ihren Brief in Santiago de Chile an die deutsche Botschaft und den Regierungspalast La Moneda öffentlich übergaben, stößt auch der Umgang mit dem Fall Hartmut Hopp. Nach dessen gut organisierter Flucht vor eineinhalb Jahren müssten die deutschen Behörden die Strafverfolgung vorantreiben.

Von Chile und Deutschland forderten die Opfer, die Verbrechen durch Erinnerungs- und Gedenkmaßnahmen anzuerkennen. Es sei für die Leidtragenden unerträglich, wenn heute mit Staatsgeldern Tourismusprojekte in der inzwischen umbenannten Siedlung unterstützt werden, »während die dort begangenen grausamen Folterungen und Morde totgeschwiegen werden«, klagte Adriana Bórquez, die 1975 in der Colonia Dignidad gefangen gehalten und gequält wurde.

Ein weiterer Unterzeichner des offenen Briefes, Erick Zott, äußerte sich im Gespräch mit »nd« ähnlich. Den Opfern der Colonia Dignidad sei jede noch so geringe Maßnahme der Justiz gegen die Täter willkommen, weil dies zugleich eine lange verwehrte Anerkennung der Verbrechen durch den chilenischen Staat bedeute. »Andererseits besteht seit fast 40 Jahren Straffreiheit für zahlreiche schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und viele Verfahren sind noch anhängig«, sagte Zott, der inzwischen in Wien lebt. Er selbst sei seit 1990 in mehreren Strafverfahren als Zeuge aufgetreten, »bis jetzt wurde aber in keinem dieser Fälle ein Urteil gesprochen«. Dabei seien selbst die jüngeren Opfer des Sektenregimes inzwischen um die 60 Jahre alt. »Deswegen appelliere ich an den politischen Willen der Regierungen Chiles und Deutschlands und an die internationale Gemeinschaft, den notwendigen Druck auf die verantwortlichen Stellen auszuüben, damit sie diese schweren Menschenrechtsverbrechen nach fast 40 Jahren endlich ahnden«, erklärte Zott weiter. Im Fall des Justizflüchtlings Hartmut Hopp gestaltet sich das weiterhin schwierig. Auch nach einer Verurteilung zu gut fünf Jahren Haft in Chile verbietet das deutsche Grundgesetz seine Auslieferung in das südamerikanische Land.

* Aus: neues deutschland, Samstag 9. Februar 2013


Zurück zur Chile-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage