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Justizflüchtling Hartmut Hopp kommt in die Bredouille

Neue Anzeigen gegen den Arzt der deutsch-chilenischen Siedlung "Colonia Dignidad"

Von Harald Neuber *

Gegen das in Deutschland untergetauchte Führungsmitglied der berüchtigten Siedlung »Colonia Dignidad« in Chile, Hartmut Hopp, haben zwei Missbrauchsopfer Strafanzeige gestellt. Sie werfen dem heute 67-jährigen Arzt den jahrelangen Einsatz von Psychopharmaka zur Ruhigstellung und Disziplinierung vor.

Mit mehreren Strafanzeigen in Deutschland wollen juristische Vertreter von Opfern der Deutschensiedlung Colonia Dignidad in Chile juristische Schritte gegen den Justizflüchtling Hartmut Hopp erzwingen. Dem 67-Jährigen wird vorgeworfen, Bewohnern der Sektensiedlung über Jahre hinweg Psychopharmaka und andere Medikamente verabreicht zu haben, um sie gefügig zu machen. Zum anderen wird Hopp, der mit seiner Ehefrau vor wenigen Wochen aus Chile nach Deutschland geflohen ist, vorgeworfen, an der Ermordung von mindestens drei Widerstandskämpfern gegen die Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) beteiligt gewesen zu sein. »Alles deutet darauf hin, dass Hartmut Hopp als mittelbarer Täter für die Ermordung von Regimegegnern verantwortlich ist«, sagte der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck bei einer Pressekonferenz in Berlin.

Der von Interpol gesuchte Hopp hatte sich Anfang Mai nach Deutschland abgesetzt, um sich in dem südamerikanischen Land einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu entziehen. Nach der Flucht über Argentinien und Brasilien war der frühere Arzt über Frankfurt am Main nach Deutschland gekommen und lebt inzwischen in Krefeld. Die dortige Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen den Mediziner aufgenommen, der nach Zeugenangaben an Folter und Medizinversuchen beteiligt gewesen sein soll.

Bei der Pressekonferenz der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin berichtete die Anwältin Petra Schlagenhauf nun von Zeugenaussagen über Misshandlungen, Morde und sogar Massenexekutionen auf dem 33 000 Hektar großen Gelände der Colonia Dignidad. Dort unterhielt der gefürchtete Geheimdienst DINA seine einzige Basis außerhalb der Hauptstadt Santiago de Chile - ein Folterzentrum. In den nun zur Anzeige gebrachten drei Mordfällen konnten die Gewalttaten weitgehend nachgewiesen werden.

Dass viele Schicksale unaufgeklärt bleiben werden, liegt vor allem an der langjährigen Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden. »In Lateinamerika ist Straflosigkeit ja leider kein unbekanntes Phänomen«, sagte Kaleck, der zugleich auf jüngere Initiativen der chilenischen Justiz verwies. Schwere Vorwürfe erhob der Jurist aber vor allem gegen die Staatsanwaltschaft Bonn. Diese habe seit Mitte der 1980er Jahre Ermittlungen gegen Führungspersönlichkeiten der Colonia Dignidad geleitet, ohne dass dies Resultate gehabt hätte. »Wir wissen, ehrlich gesagt, bis heute nicht, was die Bonner Staatsanwaltschaft in all diesen Jahren eigentlich gemacht hat«, sagte Kaleck, der disziplinarische oder gar strafrechtliche Konsequenzen für die Behörde nicht ausschießen mochte. Dass sich nun die Staatsanwaltschaft Krefeld des Falls angenommen hat, sei gut, so Kaleck: »Allerdings hoffen wir auch darauf, dass sich das Justizministerium in dem von SPD und Grünen regierten Nordrhein-Westfalen aktiv um Aufklärung bemüht.«

Mit den Anzeigen wollen die Anwälte nun den Druck auf die deutschen Behörden erhöhen. Die ECCHR hat zu diesem Zweck zudem ein gut 30-seitiges Dossier über Hartmut Hopp und die Colonia Dignidad angefertigt. Auf der zweiten Seite: Ein Bild, das Hopp mit dem ehemaligen Diktator Augusto Pinochet in geselliger Runde zeigt. Das Dossier folgt auf eine erste Strafanzeige, die von der Juristen- und Menschenrechtsorganisation Ende August bei der Staatsanwaltschaft Krefeld eingereicht worden war. Die ECCHR-Autoren gehen darin eingehend auf die Führungsrolle Hopps und seine Verantwortung als Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad ab 1978 ein.

Nach jahrelanger Verschleppung eines Ermittlungsverfahrens bekommt die deutsche Justiz damit eine neue Chance. Wenig Vertrauen setzen darauf die Behörden in Santiago de Chile. Die mit dem Fall betrauten Ermittlungsrichter beantragten simultan beim Obersten Gerichtshof ein Auslieferungsgesuch.

* Aus: neues deutschland, 10. Oktober 2011


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