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Frauenduell ums Präsidentenamt in Chile

Beide Kandidatinnen sind Generalstöchter, doch ihre Wege unterscheiden sich deutlich voneinander

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

In Chile kommt es bei der Präsidentschaftswahl im November zu einem Frauenduell. Am vergangenen Sonnabend wurde Arbeitsministerin Evelyn Matthei von der rechten Unabhängigen Demokratischen Union (UDI) zur Spitzenkandidatin des Regierungslagers ernannt. Sie tritt gegen die frühere Staatspräsidentin Michelle Bachelet von den Sozialisten an.

»Bachelet ist nicht unschlagbar«, sagte Evelyn Matthei mit Blick auf die in den Umfragen weit vorn liegende Kontrahentin. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Frauen sind indessen mindestens so erstaunlich wie die Unterschiede auf den Wegen, die sie gegangen sind. Beide sind nämlich Töchter von Generälen der Luftwaffe und sie besuchten die gleiche Schule, als ihre Familien in der Luftwaffenbasis Cerro Moreno lebten. Doch spätestens mit dem Putsch gegen die Volksfrontregierung unter Salvador Allende am 11. September 1973 trennten sich die Wege.

Im Dezember 1973 wurde der heute 88-jährige Fernando Matthei von Putschgeneral Augusto Pinochet zum Leiter der Kriegsakademie der Luftwaffe ernannt, in der auch ein geheimes Gefangenenlager eingerichtet worden war. 1976 wurde Matthei zum Gesundheitsminister ernannt, 1978 berief ihn der Diktator zum Chef der Luftwaffe und zum Mitglied der Militärjunta.

Alberto Bachelet dagegen war in der Regierung des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung zuständig. Am 14. September 1973, drei Tage nach Pinochets Militärputsch, wurde er verhaftet und dem Kriegsrat unterstellt. Bachelet wurde in eben jenem Gefangenenlager in der Luftwaffenakademie eingesperrt, dessen Leitung Fernando Matthei wenige Monate später übernehmen sollte. Der General wurde wegen Landesverrats angeklagt und während der Haft mehrfach gefoltert. Er starb am 12. März 1974 im Alter von 51 Jahren in einem Gefängnis in der Hauptstadt Santiago de Chile. Ehefrau Angela und Tochter Michelle wurden 1974 verhaftet und gingen 1975 ins Exil – über Australien in die DDR.

Evelyn Matthei hatte eigentlich bereits ihren Abschied aus der Politik verkündet. Im März 2014 sei Schluss, »beschlossen und besiegelt«, sagte sie noch vor wenigen Monaten. Dann endet nämlich die Amtszeit des gegenwärtigen Staatspräsidenten Sebastián Piñera. Der hatte Matthei im Januar 2011 überraschend in sein Kabinett geholt. Überrascht war man deshalb, weil es 1992 zwischen beiden zum Bruch gekommen war, in Chile bekannt als »Piñeragate«. Bis dahin hatten Piñera, Andrés Allamand und eben auch Evelyn Matthei als »junge Patrouille« die konservative Partei Nationale Erneuerung (RN) aufzumischen versucht. Bis der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Piñera und einem Parteifreund veröffentlicht wurde. In dem Gespräch berieten beide, wie Mattheis politischer Aufstieg gebremst werden könnte.

Matthei verließ daraufhin die RN und trat sieben Jahre später der »Unión Demócrata Independiente« (UDI) bei. Wahlkampferfahrung hat die 59-Jährige: Je zweimal setzte sie sich bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zum Senat durch. Nachdem ihre Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur für die Rechte jedoch als gering eingeschätzt worden waren, reifte ihr Entschluss zum Ausstieg. »In der UDI mögen sie mich nicht«, resignierte sie.

Umso überraschender kommt jetzt ihre Nominierung. Die Rechte suchte einen neuen Bewerber. Zwar hatte sich bei den Vorwahlen des rechten Regierungsbündnisses Allianz für Chile am 30. Juni der ehemalige Wirtschaftsminister Pablo Longueira (UDI) gegen den RN-Bewerber Andrés Allamand knapp durchgesetzt, doch erklärte Longueira in der vergangenen Woche aus gesundheitlichen Gründen seinen Verzicht auf die Kandidatur. Weil Staatspräsident Sebastián Piñera schon zuvor ein gutes Wort für Matthei eingelegt hatte, wird erwartet, dass auch die RN ihre Kandidatur nun unterstützen wird.

Wahlfavoritin Michelle Bachelet, die für das Mitte-Links-Wahlbündnis »Nueva Mayoría« (Neue Mehrheit) antritt, war von März 2006 bis März 2010 die erste Frau im chilenischen Präsidentenamt. Eine unmittelbare Wiederwahl lässt die chilenische Verfassung seit 1990 nicht mehr zu, weshalb auch Amtsinhaber Piñera im November nicht wieder kandidieren darf. Bachelet war im Anschluss an ihre Präsidentschaft von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Exekutivdirektorin von UN Women ernannt worden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


Schatten der Geschichte

In Chile kämpfen erstmals zwei Frauen um das Präsidentenamt

Von André Scheer **


Zum ersten Mal in der Geschichte Chiles treten bei einer Präsidentschaftswahl zwei Frauen im Kampf um das höchste Staatsamt an. Nachdem die Opposition aus linken und zentristischen Parteien Ende Juni die frühere Präsidentin Michelle Bachelet für die Wahl am 17. November nominiert hat, geht für das Regierungslager nun Evelyn Matthei ins Rennen.

Eigentlich hatten sich die Rechtsparteien UDI und RN, deren Wurzeln bis in die Zeit der Pinochet-Diktatur zurückreichen, bei einer Vorwahl für Pablo Longueira als Kandidaten für die Nachfolge von Staatschef Sebastián Piñera, der nicht wieder antreten darf, entschieden. Dieser trat jedoch am 17. Juli aus Gesundheitsgründen von der Kandidatur zurück und löste damit ein »Erdbeben« in seinem Lager aus. Zwar nominierte die UDI umgehend die bisherige Arbeitsministerin Matthei als neue Kandidatin, doch die RN stellte sich zunächst quer und favorisierte den früheren Verteidigungsminister Andrés Allamand. Dieser erklärte am Dienstag jedoch seinen Verzicht auf ein Antreten, woraufhin sich die RN notgedrungen auf eine Unterstützung Mattheis verständigte, um gegen Bachelet überhaupt noch eine Chance wahren zu können. Diese liegt in den Umfragen weit vorn, ihre Zustimmungswerte betragen einem Bericht der Nachrichtenagentur Europa Press zufolge 75 Prozent, während Matthei nur auf 34 Prozent kommt. Zum Zeitpunkt der Befragung war von einer Kandidatur der Ministerin jedoch noch nicht die Rede gewesen.

Das Duell Bachelet gegen Matthei wird wieder zu einer Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Anhängern der Militärdiktatur werden. Der Putsch gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende jährt sich im September zum 40. Mal. Und das chilenische Drama spiegelt sich in der Familiengeschichte beider Kandidatinnen, die sich schon als Kinder gekannt hatten, unmittelbar wieder. Die Väter von beiden waren Generäle der chilenischen Luftwaffe. Bachelets Vater Alberto blieb aber während des Putsches loyal zu Allende und wurde deswegen nach dem Staatsstreich von den Schergen der Diktatur verhaftet und gefoltert. Er starb wenige Monate später im Gefängnis an den Folgen der Mißhandlungen. Die damals 22jährige Michelle Bachelet mußte gemeinsam mit ihrer Mutter Ángela Jeria in den Untergrund gehen. 1975 wurden beide verhaftet und gefoltert, durften schließlich aber Chile verlassen. Über Australien führte sie der Weg in die DDR, wo Michelle an der Berliner Humboldt-Universität ihr Medizinstudium abschließen konnte.

Der Lebensweg von Evelyn Matthei verlief völlig anders. Als Tochter des Generals Fernando Matthei, der sich auf die Seite der Putschisten gestellt hatte, dafür von Pinochet 1976 mit einem Ministerposten belohnt wurde und ab 1978 als Oberkommandierender der Luftwaffe selbst Mitglied der Junta war, lebte sie ein sorgloses Leben in Chile. Anfang Juli holte die Vergangenheit ihren längst pensionierten Vater ein. Aufgrund einer Anklage, er sei direkt an den Folterungen Alberto Bachelets beteiligt gewesen, mußte sich der General einer Gegenüberstellung mit der früheren politischen Gefangenen Carmen Gloria Díaz und ehemaligen Offizieren stellen. Während Bachelet in der Akademie der Luftwaffe gefangengehalten und mißhandelt wurde, war Matthei deren Direktor. Er könne deshalb seine direkte Verantwortung nicht abstreiten, erklärte Klägeranwalt Eduardo Contreras gegenüber dem Sender Radio Cooperativa.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 25. Juli 2013


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