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Zurück in die Moneda

Chiles Kommunisten unterstützen Michelle Bachelet beim Kampf um das höchste Staatsamt. Vorwahlen der Opposition am 30. Juni, Präsidentschaftswahl am 17. November

Von André Scheer *

Kehrt Michelle Bachelet in den chilenischen Präsidentenpalast La Moneda zurück? Die Politikerin der Sozialistischen Partei, die das höchste Staatsamt bereits von 2006 bis 2010 ausgeübt hatte, geht als Favoritin in die Vorwahlen des Mitte-Links-Bündnisses Concertación am 30. Juni. Um den Auftrag, bei den Wahlen am 17. November 2013 für die derzeitige Opposition die Rechte herauszufordern, bewerben sich auch José Antonio Gómez von der Radikalen Sozialdemokratischen Partei, der Christdemokrat Claudio Orrego sowie der als Unabhängiger antretende frühere Finanzminister Andrés Velasco.

Am Montag (Ortszeit) traf sich Bachelet im Hauptquartier ihres Wahlkampfstabes in Santiago mit einer Delegation der Kommunistischen Partei Chiles. Diese hatte am vergangenen Wochenende beschlossen, die Politikerin zu unterstützen. Sie sei die einzige, die das gesamte Oppositionslager um sich scharen und eine »neue Mehrheit« erreichen könne, um grundlegende Reformen in der chilenischen Politik durchzusetzen, erklärte KP-Chef Guillermo Teillier. Im Gespräch mit der Tageszeitung La Tercera dementierte er zudem, daß es in seiner Partei Streit um die Unterstützung Bachelets gegeben habe. »Dieser Prozeß war weniger schwer als frühere Präsidentschaftsentscheidungen«, sagte er und fügte mit Blick auf den 2000 bis 2006 regierenden Amtsvorgänger Bachelets hinzu: »Als wir Ricardo Lagos in der Stichwahl unterstützt haben, hat das zum Beispiel fast die Partei gespalten. Jetzt war es viel einfacher, denn das Szenarium hat sich geändert.« Während ihrer ersten Amtszeit habe man in Opposition zur Politik Bachelets gestanden, weil diese damals »Gefangene der Concertación« gewesen sei und vor allem im Bildungsbereich eine von den Kommunisten abgelehnte Politik betrieben habe. Heute wolle man hingegen zum Beispiel gemeinsam das undemokratische Wahlrecht, eine Hinterlassenschaft der Pinochet-Diktatur, überwinden.

Das in Chile herrschende »binomiale Wahlrecht« teilt das Land bei Parlamentswahlen in Kreise, in denen jeweils zwei Abgeordnete bestimmt werden. Ein Mandat bekommt die stärkste Liste, das zweite die zweitplatzierte. Nur wenn der Wahlgewinner mehr als doppelt so viele Stimmen erreicht wie die nachfolgende Liste, bekommt er auch das zweite Mandat. Dadurch wollte Pinochet einen Durchmarsch der demokratischen Parteien nach der Diktatur verhindern. Die rechten Parteien blieben so überproportional stark im Parlament vertreten und konnten zusammen mit den auf Lebenszeit ernannten Senatoren vor allem in den 90er Jahren die Demokratisierung Chiles bremsen. Eine dritte Kraft hat auch bei respektablen Ergebnissen praktisch keine Aussichten auf Mandate.

Das neue Bündnis der Kommunisten mit Bachelet hat in den Medien große Aufmerksamkeit gefunden. Spekuliert wird vor allem, ob der »Linksruck« der Kandidatin zu Stimmenverlusten am rechten Rand des Oppositionslagers führen könnte. In der Wirtschaftszeitung Diario Financiero kommentierte am Dienstag etwa Hernán Larraín Matte von dem sich selbst als »mitte-rechts« beschreibenden Think-Tank »Horizontal«, daß sich die Unterstützung der Kommunisten für Bachelet als »schlechtes Geschäft« erweisen könne, weil sie damit die politische »Mitte« freimache. Demgegenüber geht Bachelets Parteifreund Ricardo Solari davon aus, daß die Allianz größere Teile der bislang aus der politischen Landschaft Chiles ausgegrenzten Bevölkerungsschichten gewinnen könne. Auch daß das Bündnis nun von den Kommunisten bis zu den Christdemokraten reicht, sieht Solari nicht als problematisch an, denn es sei ja nicht das erste Mal: »Bei den Kommunalwahlen vor acht Monaten waren sie vollkommen kompatibel. Ich sehe nicht, warum es nicht möglich sein sollte, programmatische Abkommen zu erzielen.«

Bachelet selbst stritt eine Kursänderung ab. »Es gab weder einen Schwenk nach rechts noch einen nach links, sondern eine Hinwendung zu den Bürgern«, erklärte sie am Montag nach dem Treffen mit den Kommunisten. Demgegenüber wetterte Chiles rechter Staatschef Sebastián Piñera über den »jähen Linksruck der Concertación«. In einem Fernsehinterview warf er der KP vor »niemals irgendwo auf der Welt einen positiven Beitrag zum Wohlstand geleistet« zu haben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Mai 2013


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