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These von Salvador Allendes Suizid gestützt

Internationales Expertenteam untersuchte die Leiche des sozialistischen Präsidenten Chiles

Von Harald Neuber *

Um den Tod des chilenischen Präsidenten Salvador Allendes ranken sich bis heute Mythen. Nun hat ein internationales Expertenteam seine Leiche nochmals untersucht. Die Obduktion bestätigt die These eines Suizids. Unterdessen wurden weitere 400 Personenakten zu politischen Morden zwischen 1973 und 1990 zur Untersuchung eingereicht.

Am 11. September 1973 sollte Chiles Präsident Salvador Allende eine Ausstellung antifaschistischer Plakate eröffnen. »Por la vida – siempre« (Stets für das Leben), hieß die Kunstschau in der Technischen Universität, die hunderte Arbeiten unter anderem aus dem spanischen Bürgerkrieg enthielt. Allende konnte den Termin nicht mehr wahrnehmen. In den frühen Morgenstunden erhoben sich Teile der Armee gegen seine sozialistische Regierung, Allende starb wenige Stunden später nach erbitterten Kämpfen im »Saal der Freiheit« des Präsidentenpalastes La Moneda. Die Angreifer hatten seinen Mitarbeitern zuvor freies Geleit zugesichert. Der Präsident verabschiedete er sich von seinen Getreuen. »Allende ergibt sich nicht, verdammt«, seien seine letzten Worte gewesen, gab später ein Leibwächter zu Protokoll.

Der Tod des Sozialisten bildet bis heute Stoff für Mythen. Hat sich Allende im Inneren des bombardierten und brennenden Präsidentenpalastes selbst das Leben genommen? Oder wurde er ermordet? Nun hat ein internationales Expertenteam erneut die Leiche des Staatschefs untersucht – und die These eines Suizids bestätigt. Rund 500 Seiten fasst der Untersuchungsbericht einer Kommission aus chilenischen Gerichtsmedizinern, der Kriminalpolizei und internationalen Experten.

In Auftrag gegeben hatte die inzwischen dritte Untersuchung der Untersuchungsrichter Mario Carroza Mitte April dieses Jahres. Die erste Autopsie fand unmittelbar nach dem Putsch unter Aufsicht der Militärs statt, die zweite bei der Umbettung der Leiche Allendes 1990.

Carroza, ein Jurist mit Sonderbefugnissen bei der Staatsanwaltschaft, untersucht derzeit 726 Fälle politischer Morde während der Gewaltherrschaft zwischen 1973 und 1990. Angehörige von Opfern des Pinochet-Regimes und Menschenrechtsorganisationen haben 400 weitere Personenakten zur Untersuchung eingereicht. Der Fall Allende ist einer der exponierten und zugleich Teil der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Chiles.

Nach dem Ergebnis der jüngsten Untersuchung starb Allende durch zwei Kugeln seines Sturmgewehrs AK-47. Die beiden aufgesetzten Schüsse seien am Unterkiefer eingedrungen und hätten den sofortigen Tod verursacht, erklärt der Ermittlungsleiter und Forensiker Patricio Bustos am Dienstagnachmittag auf einer Pressekonferenz in Santiago de Chile. Der britische Ballistiker David Prayer erklärte, warum sich Allende mit zwei Kugeln das Leben nehmen konnte. Seine Waffe sei auf Dauerfeuer eingestellt gewesen und konnte im Schnitt zehn Schuss pro Sekunde abgeben. »Wir haben damit technische Sicherheit über eine Hypothese, die nie belegt worden ist«, resümierte Chefanalytiker Bustos.

Die Reaktionen auf das Ergebnis fielen unterschiedlich aus. Allendes Hinterbliebene begrüßten das Resultat. In der Familie habe man nie an der Darstellung der Leibärzte Arturo Jirón und Patricio Guijón gezweifelt, die vom Suizid Allendes ausgingen, erklärte Isabel Allende, Tochter des ehemaligen Präsidenten, heute sozialdemokratische Senatorin. Auch der Rechtsanwalt der KP Chiles, Eduardo Contreras, sah die »Zweifel geklärt«. Zugleich übte er Kritik am Widerstand der Familie gegen eine Untersuchung. Das Erbe des Anführers der Unidad Popular gehöre nicht allein den Hinterbliebenen, sagte Contreras, der das Ergebnis der Untersuchung interpretierte. »Die Würde von Präsident Salvador Allende war nie Teil der Diskussion«, erklärte der Kommunist, »er hat sein Wort gehalten und sich den Verrätern nicht ergeben.«

Die Untersuchung der Morde während der Militärdiktatur steht erst am Anfang. Carroza ist nun damit befasst, hunderte weitere Fälle aufzuarbeiten. Nach Erkenntnissen der nach 1990 eingesetzten Wahrheitskommission wurden seinerzeit mindestens 3197 Menschen ermordet. Die Aufklärung dieser Verbrechen ist Voraussetzung für die Heilung vieler Wunden Chiles. Das historische Gedächtnis wird auch auf andere Weise gewahrt. Seit Anfang Juni ist im Museum für Erinnerung und Menschenrechte in Santiago die Ausstellung zu sehen, die Allende am 11. September 1973 eröffnen sollte.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2011


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