Burkiner begehren gegen Compaoré auf
Eine umstrittene Verfassungsänderung soll Burkina Fasos Präsident zusätzliche 15 Jahre an der Macht schenken
Von Stefan Lombé, Ouagadougou *
Demonstrationen, Straßensperren, Tränengas: In Burkina Faso herrscht plötzlich wieder Unruhe. Die Gefahr, dass sich die Lage in einem der ärmsten Länder der Welt weiter verschärft, ist groß.
Die Friedhofsruhe in Burkina Faso ist vorbei. Anlass für die Unruhen auf den Straßen ist nicht etwa der erste Fall von Ebola – die Seuche hat den westafrikanischen Staat bislang verschont. Vielmehr sorgt ein Gesetzesvorhaben für Aufruhr. Ein außerordentlicher Ministerrat hat vorige Woche beschlossen, Artikel 37 der Verfassung zu ändern. Dieser legt fest, dass der Präsident des Landes nur einmal wiedergewählt werden darf. Für den aktuellen Amtsinhaber Blaise Compaoré würde das bedeuten, dass er bei den Wahlen in gut einem Jahr nicht mehr antreten dürfte.
Der Stein des Anstoßes ist der Beschluss des Ministerrates, mit dem der Artikel 37 jetzt so geändert werden soll, dass Compaoré wieder Kandidat sein darf. Nicht nur einmal, sondern zweimal soll ein Präsident wiederwählbar sein. Abstimmen darüber soll das Volk in einem Referendum. Compaoré selbst hatte diese Idee dem Ministerrat vorgelegt.
Allein dieser Schritt ist Kritikern und Opposition zu viel. Denn der 63-Jährige steht schon seit 27 Jahren an der Spitze von Burkina Faso. Seit sein charismatischer Vorgänger Thomas Sankara 1987 bei einem Attentat erschossen wurde, hinter dem viele Compaoré als Auftraggeber sehen, ist er selbst Staatschef. Zunächst als »Notlösung«, später mittels einer neuen Verfassung bestätigt. Als diese eine Wiederwahl 2005 nicht mehr ermöglichte, wurden die Texte geändert. Die Amtszeit wurde von zweimal sieben auf höchstens zweimal fünf Jahre verkürzt. Weil die Verfassung neu war, durfte Compaoré auch wieder antreten. Die Uhren wurden quasi auf Null gestellt.
Compaorés Gegner befürchten nun ein vergleichbares Manöver. In der Praxis könnte das seine Präsidentschaft bis 2030 verlängern. »Dann sind Compaorés Söhne alt genug, um die Dynastie fortzuführen«, so mit bitterer Ironie die oppositionsnahe Wochenzeitung »L’Evennement«. Mit Demokratie, die sich der Präsident gerne auf die Fahne schreibt, habe das nichts zu tun. Ein Wechsel an der Staatsspitze werde bewusst verhindert, um persönliche Interessen zu verfolgen.
Compaoré weist das zurück. Er selbst beruft sich auf die Verfassung, die ihm das Initiativrecht zur Verfassungsänderung einräumt. »Diese Reform geschieht nicht für mich«, sagte er am Wochenende in einem Interview mit BBC Afrika.
Compaoré weiß, dass er sich ein solches Verhalten erlauben kann. Von außen hat er wenig zu befürchten. Für westliche Mächte wie Frankreich und die USA ist er ein Stabilisator in der Region. Compaoré ist als erfolgreicher Vermittler in innerafrikanischen Konflikten geschätzt. Die Unsicherheit, wer nach ihm kommen würde, wäre groß.
Überdies fehlt es an Alternativen. Weder in Compaorés eigener Partei noch in der Opposition gibt es eine Person, die sich als natürlicher Nachfolger anbietet. Außer dem Zorn seiner Gegner steht dem Präsidenten, der bei den Wahlen immer mit über 80 Prozent der Stimmen gewählt wurde, nichts im Weg.
Trotzdem könnte die Volksbefragung ausfallen. Denn zuvor muss der Vorschlag zur Verfassungsänderung vom Parlament gebilligt werden. Sollten drei Viertel der Abgeordneten für die Änderung stimmen, wäre das Referendum nicht mehr nötig, die Neuerung sofort angenommen. Compaorés eigene Partei verfügt nicht über diese Dreiviertelmehrheit. Doch überraschend verkündete am Wochenende eine Oppositionspartei, den Vorschlag des Präsidenten zu unterstützen. Mit ihrer Hilfe wäre die Änderung beschlossen.
Sollte es bei der Abstimmung am Donnerstag tatsächlich dazu kommen, droht Gewalt. Schon am Dienstag lieferten sich vor und nach einer friedlichen Großdemonstration der Opposition in der Hauptstadt Ouagadougou Compaoré-Gegner Scharmützel mit der Polizei. Dabei flogen Steine auf Polizisten, die ihrerseits mit Tränengas gegen die vorwiegend jugendlichen Demonstranten vorgingen. Oppositionsführer Zéphirin Diabré nannte die Kundgebung einen »enormen, phänomenalen Erfolg«. Dies sei die »letzte Warnung«, damit der Präsident die geplante Verfassungsänderung zurückziehe. In Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, stürzten Demonstranten eine Präsidentenstatue. Noch reagieren die Ordnungskräfte gemäßigt auf diese Angriffe. Noch.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Oktober 2014
Militär kontrolliert Burkina Faso **
Armee übernimmt Herrschaft. Regierung und Parlament aufgelöst. Staatschef offenbar noch im Amt **
Nach tagelangen Protesten gegen die Regierung von Burkina Faso und blutigen Unruhen hat das Militär am späten Donnerstag abend die Kontrolle über das westafrikanische Land übernommen. Kurz zuvor hatte Präsident Blaise Compaoré die Regierung und das Parlament aufgelöst und den Notstand im Land ausgerufen, berichteten der britische Rundfunk BBC und afrikanische Medien. Zugleich wurde landesweit eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
In der Hauptstadt Ouagadougou waren am Donnerstag erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen eine geplante Wiederwahl des Staatschefs zu protestieren. Dabei kam es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Demonstranten besetzten das staatliche Fernsehen, das den Sendebetrieb einstellte, und setzten das Parlamentsgebäude in Brand. Die Abgeordneten hatten eine Verfassungsänderung geplant, nach der Compaoré, der seit 1987 an der Macht ist, eine weitere Amtszeit anstreben könnte. Nach Regierungsangaben wurde die Gesetzesänderung inzwischen aufgegeben.
Trotz der Machtübernahme durch das Militär gingen die Proteste in Ouagadougou zunächst offenbar weiter. Die Demonstranten fordern nun den Rücktritt Compaorés. Erst am Abend beruhigte sich die Lage etwas. Bislang wurden nach Informationen der BBC mindestens fünf Menschen getötet. In der Hauptstadt sind Korrespondentenberichten zufolge schwere Schäden zu sehen.
Der als wichtigster Kopf der Opposition geltende Zephirin Diabre, ein in Frankreich und Großbritannien ausgebildeter ehemaliger UN-Diplomat, sagte einem örtlichen Rundfunksender, die Verhängung des Ausnahmezustands sei inakzeptabel. »Wir rufen die Menschen auf, zu zeigen, dass sie dagegen sind. Das einzige, was dem Land Frieden bringen kann, ist der Rücktritt von Präsident Blaise Compaoré«, erklärte er. Europäische Mächte versuchen offenbar bereits, sich Einfluss auf die weiteren Ereignisse zu sichern. Berichten zufolge besuchte der französische Botschafter in Burkina Faso am Donnerstag abend das Hauptquartier der Opposition. Über die Inhalte seiner Gespräche dort wurde zunächst nichts bekannt.
Compaoré hatte 1987 gegen den sozialistischen Präsidenten Thomas Sankara geputscht und das Land lange diktatorisch regiert. Er gilt als Verbündeter der USA und Frankreichs. In den vergangenen Jahren geriet er jedoch aus den eigenen Reihen sowie aus den Streitkräften zunehmend unter Druck. Auch die EU und Frankreich hatten sich gegen eine weitere Amtszeit Compaorés ausgesprochen.
** Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Oktober 2014
Blaise Compaoré ***
Semiautoritärer des Tages
Vor 30 Jahren ersetzte die sozialistische Revolutionsregierung von Thomas Sankara das koloniale »Obervolta« durch »Burkina Faso«, was »Land der Aufrichtigen« bedeutet. Es gehört mit heute 17 Millionen Einwohnern (davon 60 Prozent unter 25 Jahren) zu den ärmsten Ländern der Welt, in Westafrika aber zu den stabilsten. Bisher. Am Dienstag gingen nach Angaben der Opposition in der Hauptstadt Ouagadougou eine Million Menschen aus Protest gegen Präsident Blaise Compaoré auf die Straße. Der kam 1987 im Verlauf eines Putsches, bei dem der bis heute in Afrika verehrte Sankara ermordet wurde, an die Macht und erfreut sich seither der Förderung durch stets die Demokratie stützende Staaten wie Frankreich oder die USA. Compaoré ließ dementsprechend regelmäßig einige Leute erschießen und sich viermal seit 1991 wählen. Wikipedia nennt das »semiautoritär«. Am Donnerstag soll das Parlament über eine Verfassungsänderung beschließen, die es ihm erlaubt, weitere 15 Jahre im scheußlich gigantischen Präsidentenpalast gleich neben der scheußlich gigantischen US-Botschaft in der Einöde des Neubaugebiets »Ouaga 2000« zu verbringen. Die bisherigen Amtszeiten würden bei Annahme der Novelle einfach nicht mehr gezählt. Dagegen hatte die Opposition zu einer Woche des Protests aufgerufen, was die Regierung veranlasste, alle Bildungseinrichtungen für diesen Zeitraum zu schließen. Zu Beginn demonstrierten am Montag abend Hunderte Frauen, in der Nacht zum Dienstag versuchten Jugendliche, eine Hauptstraße zu blockieren, was die Polizei mit Tränengas beantwortete. Ein Oppositionsführer nannte den Protest einen »phänomenalen Erfolg«, es sei die »letzte Warnung«, damit Compaoré die Verfassungsänderung sofort zurückziehe. Die Zeit für den Wechsel sei »jetzt oder nie« – vielleicht auch für die Mehr-Verantwortung-Übernehmer in Paris, Washington, Berlin etc. (asc)
*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Oktober 2014
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