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Tödlicher Anschlag in Bulgarien

Trauer um getötete Israelis / Israel vermutet Iran als Drahtzieher

Von Thomas Frahm, Sofia *

Durch den Anschlag auf israelische Touristen am Flughafen der bulgarischen Schwarzmeerstadt Burgas wurden acht Menschenleben ausgelöscht. Das Attentat am Mittwoch um 17.25 Uhr Ortszeit wurde nach Angaben von Innenminister Zwetan Zwetanow von einem Selbstmordattentäter verübt.

Sechs israelische Touristen, der bulgarische Busfahrer und der Attentäter starben durch die Explosion einer Bombe im Gepäckraum des Busses, der die Touristen an den Sonnenstrand fahren sollte. Der Täter soll ein gefälschtes US-amerikanisches Dokument benutzt haben, um sich unter die Passagiere einer Maschine aus Tel Aviv zu mischen. 31 verletzte Israelis sollen so rasch wie möglich in die Heimat gebracht werden.

Die erste Amtshandlung des bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissow war ein Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Benjamin Netanjahu. Er versicherte, es würden alle Maßnahmen ergriffen, um den oder die Schuldigen dingfest zu machen und zu bestrafen. Borissow beteuerte, durch diesen Vorfall würden Bulgarien und Israel, die ohnehin gute Beziehungen unterhielten, noch enger zusammenrücken. Spontan hatten sich blutspendewillige Bulgaren bei dem Krankenhaus in Burgas gemeldet, das die Verletzten vorläufig aufnahm.

Bürgermeister Dimiter Nikolow ließ in der Stadt halbmast flaggen. Jordanka Fandakowa, seine Amtskollegin aus Sofia, wo die meisten der knapp 5000 bulgarischen Juden leben, ordnete verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für alle Punkte an, die mit dem jüdischen Leben der Hauptstadt in Verbindung stehen. »Shalom«, die Organisation der bulgarischen Juden, bezeichnete das Bombenattentat als »terroristischen Akt gegen die bulgarische Gesellschaft«, deren untrennbarer Bestandteil die Juden seien. Und die Zentralstelle der bulgarischen Muslime verlautbarte: »Terror, der ein so heiliges Gut wie das menschliche Leben verletzt und die öffentliche Sicherheit gefährdet, ist ein barbarischer Akt, den keine Religion gutheißen kann!«

Innenminister Zwetanow sagte laut »Radio Fokus«, es habe keinerlei Signale für ein Attentat auf bulgarischem Boden gegeben. Iwan Bojadschiew, der Sicherheitsbeauftragte der bulgarischen Hauptstadt, berichtete dagegen von israelischen Hinweisen auf ein geplantes Attentat bereits im Januar. Daraufhin seien an allen Flughäfen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden. Die Busfirma, die die Reisenden zu ihrem Urlaubsziel fahren sollte, sei darin jedoch nicht eingeschlossen worden.

Israels Premier Netanjahu sprach sofort, ohne Beweise anzuführen, von einer »iranischen terroristischen Offensive«. Sicherheitsminister Izchak Aharonowitsch drohte, man werde mit den Verantwortlichen »die Rechnung begleichen«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Juli 2012


Netanjahu droht Iran und Hisbollah

Israels Premier legt jedoch keine Beweise für Autorenschaft des Anschlags in Bulgarien vor

Von Oliver Eberhardt **


Nach dem Anschlag auf israelische Touristen in Bulgarien hat Israels Premierminister Netanjahu die Vermutung geäußert, dass Iran oder die libanesische Hisbollah oder beide gemeinsam hinter dem Anschlag stecken. Er droht mit »Vergeltung«.

Fernab der Heimat hat der Anschlag Israel mitten ins Herz getroffen: Man fliegt in den Urlaub, um dem zu entfliehen, was in Israel allgemein nur als »die Situation« bezeichnet wird. Nun hat die »Situation« die Menschen eingeholt. »Der schwarze, ausgebrannte Bus, Israels schlimmster Albtraum, ist zurück«, kommentiert Chemi Schalew in der Zeitung »HaAretz« in Anspielung auf die bis vor einigen Jahren ziemlich häufigen Attentate auf Linienbusse in Israel: »Er ist den Menschen in den Urlaub nachgereist.«

Und er hat Politik und Sicherheitsapparat in Erklärungsnot gebracht: Man habe im Laufe der vergangenen Monate »Dutzende von Anschlagsplänen« an vielen verschiedenen Orten auf der Welt vereitelt, erklärte ein Sprecher von Premierminister Benjamin Netanjahu am Mittwochabend; die Geheimdienste könnten schlicht nicht jeden Urlaubsort auf der Welt im Auge behalten. Auf eine Bedrohung auf bulgarischem Boden habe es »keinerlei« Hinweise gegeben - aus gutem Grund, wie am Donnerstag morgen klar wurde: Man hatte keine Hinweise, weil der Sicherheitsapparat Bulgarien nicht nur nicht im Auge gehabt, sondern schlicht gar nicht beobachtet hat, gestand derselbe Sprecher am Donnerstagmorgen ein.

Womit er auch Regierungschef Netanjahu und dessen Verteidigungsminister Ehud Barak in Bedrängnis gebracht hat: Beide hatten bereits kurz nach dem Anschlag erklärt, »mit großer Wahrscheinlichkeit« (Netanjahu) seien Iran, die libanesische Partei Gottes - Hisbollah - oder beide verantwortlich, und »Vergeltung« angekündigt. »Heute muss man die Frage stellen, was genau zu dieser Sicherheit geführt hat«, hieß es am Donnerstag im Radio: »Hatten die beiden Informationen, die sie nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben haben? Oder ist es einfach nur eine Vermutung?«

Die Hisbollah wies ebenso wie die palästinensische Hamas eine Verantwortung bereits am Mittwochabend von sich; die iranische Regierung ließ am Donnerstag im iranischen Fernsehen dementieren. Israels Regierung scheint die Dementis allerdings nicht zu glauben: Man habe »handfeste Beweise« gegen Iran, sagte Außenminister Avigdor Lieberman am Donnerstagnachmittag. Immer wieder wird in den Medien die Befürchtung geäußert, der durch das monatelange Gezerre um das Wehrdienstgesetz angeschlagene Netanjahu könnte den Anschlag als Vorwand für einen Militärschlag gegen Iran nutzen« (»HaAretz«), während die Zeitung »Jedioth Ahronoth« es für wahrscheinlicher hält, dass der Premier Militäreinrichtungen in Syrien angreifen lässt: »Die Gefahr, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Syrien Chemiewaffen in die Hände der Rebellen oder gar der Hisbollah fallen, ist groß.«

Ein Szenario, dass auch die USA-Regierung für möglich hält: So rief Präsident Barack Obama noch in der Nacht zum Donnerstag in Jerusalem an. Ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte, man baue darauf, dass Israel keine »weiteren Schritte« einleitet, bevor die Urheberschaft geklärt ist. Washington sagt, dass ein Schlag gegen Militärbasen in Syrien dessen Präsidenten Baschar al-Assad stärken könnte, heißt es in der »New York Times« - und im Hinblick auf Iran sei die Haltung der USA-Regierung nach wie vor dieselbe: »Die Folgen eines Militärschlages wären unkalkulierbar.«

** Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Juli 2012


"Rechnung begleichen"

Schnelle Beschuldigungen gegen Iran nach Anschlag auf israelische Urlauber

Von Knut Mellenthin ***


Nach dem tödlichen Anschlag auf israelische Touristen in Burgas hat der bulgarische Außenminister vor voreiligen Schlußfolgerungen gewarnt. »Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen«, sagte Nikolai Mladenow am Donnerstag. Es sei falsch, jetzt schon irgendwelche Länder oder Organisationen zu beschuldigen.

Die Kritik richtete sich unausgesprochen, aber klar erkennbar gegen Benjamin Netanjahu, der schon 20 Minuten nach dem Attentat Vergeltungsschläge gegen Iran angekündigt hatte. »Alle Zeichen deuten auf den Iran«, hieß es in einer am Mittwoch verbreiteten Stellungnahme des israelischen Premierministers. »Der todbringende iranische Terrorismus setzt seine Angriffe gegen unschuldige Menschen fort. Es handelt sich um eine iranische Terroroffensive, die sich über die gesamte Welt ausbreitet. Israel wird kraftvoll zurückschlagen.«

Geringfügig von der Linie seines Regierungschefs abweichend verkündete Verteidigungsminister Ehud Barak am Donnerstag: »Unmittelbar Ausführende waren die Hisbollah-Leute, die aber natürlich ständig vom Iran unterstützt werden.« Israel werde »die Rechnung begleichen«. Da verschiedenste israelische Stellen beteuern, es habe keinerlei Hinweise auf eine bevorstehende Terroraktion in Bulgarien gegeben, und da bisher offenbar weder über den Täter noch über seinen Hintergrund Erkenntnisse vorliegen, verblüfft die Schnelligkeit und Bestimmtheit der Schuldzuweisungen aus Jerusalem.

Bei dem Anschlag im Schwarzmeer-Urlaubsort Burgas waren am Mittwoch fünf israelische Touristen, ein bulgarischer Busfahrer und der mutmaßliche Attentäter ums Leben gekommen. 34 Verletzte wurden am Donnerstag nach Israel ausgeflogen. Die Urlauber waren kurz vor dem Anschlag mit dem Flugzeug angekommen und sollten mit dem Bus zu ihren Hotels gebracht werden. Der Anschlag ereignete sich noch auf dem Parkplatz des Flughafens. Ungewiß ist, ob der Attentäter den Bus bestieg und einen Rucksack mit Sprengstoff im hinteren Gepäckteil verstaute, wie die bulgarischen Behörden vermuten, oder ob er sich außerhalb des Busses in die Luft sprengte, wie israelische Überlebende aussagten. Angeblich soll er einen gefälschten US-amerikanischen Führerschein mitgeführt haben, der in Michigan ausgestellt war.

Die meisten iranischen Medien meldeten den Anschlag nur kurz. In einem Kommentar des Fernsehsenders PressTV wurden die Anschuldigungen gegen Iran ohne weitere Begründung als »lächerlich« zurückgewiesen. Tatsächlich ist jedoch die Abfolge von Anschlägen oder Anschlagversuchen in diesem Jahr, in die Iraner mutmaßlich verwickelt waren, unübersehbar. Im Februar wurden am selben Tag Bombenanschläge gegen israelische Diplomaten im georgischen Tbilissi und im indischen Delhi unternommen. Einen Tag später wurden in der thailändischen Hauptstadt Bangkok mehrere in einem Haus zusammenlebende Iraner verhaftet, nachdem einer von ihnen durch die Explosion seiner eigenen Bombe schwer verletzt worden war. Im März meldete Aserbaidschan die Festnahme von 22 Personen, die angeblich im iranischen Auftrag Anschläge gegen israelische, jüdische und US-amerikanische Personen und Einrichtungen geplant hatten. Am 2. Juli gaben die kenianischen Behörden die Festnahme von zwei Iranern bekannt, die angeblich Sprengstoffanschläge gegen israelische, US-amerikanische, britische »oder« saudi-arabische Einrichtungen geplant hatten. Jüngster Vorfall in dieser Kette war die Festnahme eines Schweden libanesischer Abstammung im zypriotischen Limassol am 7. Juli. Angeblich hatte er Urlaubsziele israelischer Touristen ausgekundschaftet.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 20. Juli 2012


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