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Mauer aus Pappe

Bulgariens politisches System, dominiert von rivalisierenden Klans, in der Legitimitätskrise

Von Tomasz Konicz *

Auch mehr als vier Wochen nach ihrem Beginn scheint die Protestwelle gegen die neu gewählte bulgarische Regierung nicht abzuebben. Allabendlich versammeln sich Tausende Demonstranten im Zentrum Sofias, um gegen die allgegenwärtige Korruption und Klanwirtschaft in dem südosteuropäischen Land zu protestieren. Die zentrale Triebfeder dieses Protestmarathons besteht in der Forderung nach dem sofortigen Rücktritt des Kabinetts von Premier Plamen Orescharski. Der formell parteilose Ministerpräsident steht einer Koalitionsregierung zwischen der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Partei der türkischen Minderheit (DPS) vor, die aber nur die Hälfte der 240 Sitze im bulgarischen Parlament kontrolliert – und deswegen auf die Tolerierung durch die rechtsextreme Partei Ataka angewiesen ist.

Die Proteste entzündeten sich Mitte Juni an der Ernennung des umtriebigen Medienunternehmers Deljan Peewski zum Chef des mächtigen bulgarischen Geheimdienstes DANS. Irena Krastewa, die Mutter des 32jährigen Peewski, gebietet über ein Medienimperium, das mehrere Zeitungen und einen Fernsehsender umfaßt. Der Oligarchensprößling war in seiner jungen Karriere 2005 schon mal stellvertretender Minister für Katastrophenhilfe, doch mußte er dieses Amt nach nur zwei Jahren wegen Korruptionsvorwürfen aufgeben. Hiernach bewarb sich Peewski erfolglos für einen Posten in der bulgarischen Antikorruptionsbehörde. Seinen Anstellung als Geheimdienstchef verlor Peewski aufgrund der sofort einsetzenden Proteste hingegen binnen weniger Tage.

Der geschaßte Geheimdienstchef stellt dabei das Paradebeispiel für einen Vertreter des oligarchischen Systems Bulgariens dar. Die politischen Frontstellungen in Bulgarien sind maßgeblich durch die Auseinandersetzungen einflußreicher Wirtschaftsgruppen geprägt, die politische oder wirtschaftliche Machtpositionen ausnutzen, um weitere Vorteile zu erringen und unliebsame Konkurrenten auszuschalten. Laut der New York Times sind Peewski und seine Mutter Teil eines oligarchischen Netzwerkes rund um die Corporate Commercial Bank, die über Aktiva in Höhe von fünf Milliarden Euro verfügt.

Insofern verwundert es nicht, daß die neue »sozialistische« Regierung sich schon bei Amtsantritt mit einer ähnlichen Protestwelle konfrontiert sieht wie das rechte Kabinett von Premier Bojko Borissow, das im Februar nach anhaltenden Protesten gegen Kürzungsmaßnahmen und Strompreiserhöhungen zurücktreten mußte. Borissow wurde übrigens ebenfalls von Ataka toleriert. Offensichtlich befindet sich das gesamte politisch-oligarchische System Bulgariens in einer tiefen Legitimitätskrise, wobei es durchaus Unterschiede zwischen den gegenwärtigen Protesten und den Unruhen vom Februar dieses Jahres gibt. Derzeit protestiert vor allem die Mittelklasse, im Winter waren es die verarmten Bevölkerungsschichten, heißt es bei der BBC: »Im Februar waren die Armen und eher Verzweifelten auf der Straße. Jetzt sind es die Bessergestellten und eher Zuversichtlichen.«

Diesmal erklärten auch die europäischen Hegemonialmächte ihre »Unterstützung« für die Protestbewegung, was zu einem diplomatischen Eklat führte. Der bulgarische Außenminister Kristian Wigenin ließ die Botschafter Deutschlands und Frankreichs einbestellen, nachdem diese öffentlich scharfe Kritik an der neuen Regierung übten. In einem Beitrag für die Zeitung 24 Chassa hatten die beiden Diplomaten unter anderem erklärt, daß es in der politischen Kultur der Europäischen Union keinen Platz für oligarchische Strukturen gebe. Tatsächlich erlebt Bulgarien aufgrund seiner oligarchischen Klanwirtschaft bislang keinen so umfangreichen Ausverkauf der heimischen Wirtschaft an westliche Konzerne wie etwa Rumänien. Die Demonstranten dankten dem deutschen Botschafter übrigens auf ihre ganz eigene Weise für seine Intervention: Sie errichteten vor der deutschen Botschaft eine »Berliner Mauer« aus Pappkartons, auf die sie das Wort »Mafia« schrieben, um sie anschließend zu zertrampeln.

* Aus: junge Welt, Dienstag. 23. Juli 2013


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