Orescharski oder Oligarch-ski?
Bulgariens neue Regierung rückt von Wahlversprechen der Sozialisten ab
Von Tina Schiwatschewa, Sofia *
Das neue bulgarische Kabinett unter Plamen Orescharski, eine Programmregierung gut vernetzter Technokraten, ist seit einer Woche im Amt. Enthusiasmus hat das in der Öffentlichkeit allerdings nicht ausgelöst.
Immer noch stehen die Zelte eines kleinen Protestlagers in der Nähe des Parlaments. Vor dem Gebäude ziehen hin und wieder kleinere Demonstrationen auf. Der Soziologe Andrej Raitschew erklärt die »postsozialistischen« Bulgaren zur besonders glücklosen politischen Art. Seine Begründung: »Sie glauben, nicht der Kapitalismus an sich, sondern die Abweichungen vom Kapitalismus seien das Problem.« Hat die Regierung Orescharski dafür eine Lösung?
Die kritische Presse spricht vom »Kabinett befreundeter Kreise«, seit sie die engen freundschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen einiger Kabinettsmitglieder enthüllt hat. Auch vom »Kabinett Oligarch-ski« ist die Rede.
Der parteilose Finanztechnokrat Plamen Orescharski, einst Führungsmitglied der bedeutendsten Rechtspartei Bulgariens und 1997 bis 2001 Vizefinanzminister einer Mitte-Rechts-Regierung, sprang 2005 auf einen anderen Dampfer, als er in der Koalitionsregierung unter Sergej Stanischew Finanzminister wurde. Stanischew ist Vorsitzender der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP). Im jüngsten Wahlkampf wurde Orescharski für die BSP zum »Mann mit dem Plan«. Seine rechte Herkunft und sein Ruf als Verfechter strenger Finanzdisziplin machen ihn für die Sozialisten zum bulgarischen Mario Monti, der wie Italiens früherer ungewählter Premier für »Stabilität, Wachstum, hohe Einkommen und gutes Geschäftsklima« sorgen soll.
Sein Plan, so betont der neue Premier, diene vor allem der Stabilisierung der Staatsfinanzen. Das Wort »Armut« taucht im Regierungsprogramm des ärmsten EU-Mitgliedstaates nicht auf. Auch Begriffe wie »sozio-ökonomische Ungleichheit« und »soziale Gerechtigkeit« fehlen. Massenproteste gegen Monopole, die verschiedene bulgarische Märkte beherrschen, bewirkten den Fall der vorangegangenen Mitte-Rechts-Regierung unter Boiko Borissow. Doch einen Hinweis auf die Monopole und die Beschränkung ihrer Macht enthält der Plan des neuen Regierungschefs nicht.
Freilich versucht Orescharski, das »soziale Gesicht« zu wahren. Zu seinen Sofortmaßnahmen gehören staatliche Zuschüsse zu den Stromkosten für Geringverdiener, Arzneimittelzuschüsse für Ältere und die Erhöhung der Einmalhilfen für Schulanfänger. Aber das sind keine Sozialprogramme, sondern befristete Einzelmaßnahmen für bestimmte soziale Gruppen. Einmalaktionen für ein Volk, das an chronischer Armut und Arbeitslosigkeit leidet. Statt Strukturreformen enthält der Plan »Stabilisierungsmaßnahmen« und verspricht, einen »weiteren Anstieg der Strompreise nicht zu erlauben«, sie »später« vielleicht sogar zu senken. Neue Gesetze für den Energiesektor würden erarbeitet, eine staatliche Regulierungskommission soll zu »effektiverer Kontrolle« befähigt werden. Das akute Problem der übermächtigen Energiemonopole lässt die »Reform« jedoch unberührt.
»Verbesserung des Geschäftsklimas« ist ein weiteres Mantra des Programms, das darauf zielt, die Hürden für die Erteilung von Geschäftslizenzen zu senken. Orescharskis Schöpfung, die neoliberale Einheitssteuer (flat tax), wird beibehalten. Versprochen wird die Erhöhung des Mindestlohns (derzeit umgerechnet 158 Euro im Monat) – für das kommende Jahr. Allerdings sollen per Gesetz auch »flexible« Anstellungsverträge und Arbeitszeiten ermöglicht werden.
Rechte Medien und Analytiker sind angetan davon, dass dieses Programm von den »populistischen Wahlkampfversprechen der Sozialisten« abrückt, die unter anderem die Ablösung der Einheitssteuer durch eine Progressivsteuer zugesagt hatten, die die Reichen träfe. Kaum war der neue Regierungschef im Amt, wurde ein weiteres Wahlversprechen der BSP zu Staub: Die Sozialisten hatten Offshore-Gesellschaften von öffentlichen Ausschreibungen ausschließen wollen. Für Orescharski dagegen ist es nur »logisch, dass Gesellschaften mit spezifischem Ruf auf ihrem Geschäftsfeld an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen können«. Das garantiere schließlich sorgsamen Umgang mit dem Geld des Steuerzahlers. Der frühere Regierungschef Boiko Borissow nennt die BSP zwar stets »die ehemaligen Kommunisten«, doch beim Blick auf die Regierung Orescharski muss er die Rückkehr zu irgendeiner Form des Sozialstaats gewiss nicht befürchten.
»Schlimme Zeiten stehen uns bevor«, klagt der Soziologe Andrej Raitschew. »Wir haben in Bulgarien den klassischen, frühen, brutalen Kapitalismus, nicht gebändigt durch lange Kämpfe gegen dessen Konsequenzen.« Rechte Entwürfe könnten das Land nicht retten, der Ausweg sei nur ein linker. Aber das scheint Zukunftsmusik zu sein. Gegenwart ist das Kabinett, das Bulgariens Mario Monti führt, das »Kabinett Oligarch-ski«.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. Juni 2013
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