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Bulgaren kämpfen für "guten Kapitalismus"

Expremier Borissow will zeigen, »wie man eine Regierung zum Rücktritt demonstriert

Von Tina Schiwatschewa, Sofia *

Bulgariens »Fassadendemokratie« wird erneut von einer Protestwelle erschüttert. Studenten besetzten die Sofioter Universität und versuchten, auch die Nationalversammlung zu okkupieren.

»Wir verfolgen keine politischen Ziele, uns geht es nur um die Moral«, versicherte einer der studentischen Aktivisten zu Beginn der Proteste. Anlass war diesmal die Unfähigkeit des bulgarischen Verfassungsgerichts, den skandalumwitterten, in Korruptionsaffären verwickelten Abgeordneten Deljan Peewski seines Mandats zu entheben. Einige Studenten hatten daraufhin den Campus der Sofioter Universität besetzt. Aus der Empörung über das Gericht erwuchs indes sehr bald die Forderung nach Rücktritt der Mitte-Links-Regierung, einer Koalition der Sozialistischen Partei Bulgariens (BSP) und der Bewegung für Rechte und Freiheiten, der Partei der türkischen Minderheit, für die auch Peewski in der Nationalversammlung sitzt. Beim Sofioter »Marsch der Gerechtigkeit« am 11. November wurde das Porträt des parteilosen Regierungschefs Plamen Orescharski verbrannt.

An die Spitze der Proteste hat sich inzwischen die in die Opposition gedrängte ehemalige Regierungspartei GERB gesetzt. Ihr Chef, Expremier Boiko Borissow, will allen im Lande zeigen, »wie man eine Regierung zum Rücktritt demonstriert«. Angeschlossen haben sich andere rechte Formationen wie der neue Reformblock, dessen prominenteste Figur die ehemalige EU-Kommissarin Meglena Kunewa ist. Unter der Überschrift »Unterstützung« berichtete das rechtsliberale Blatt »Capital«, dass Vertreter der protestierenden Studenten vom deutschen Botschafter in Sofia empfangen wurden, der seine »Unterstützung für das Streben nach Demokratisierung Bulgariens« zum Ausdruck gebracht hätte. Der ehemalige USA-Botschafter James Pardew besuchte die Besetzer sogar in der Universität und drückte »sein Interesse für die Ziele und Forderungen der Protestierenden« aus.

Der Aufstand der Studenten wird also von rechts getragen und unterstützt. Nach Angaben des gewerkschaftlichen Instituts für Sozialstudien gibt es im Lande derzeit knapp 1,7 Millionen Haushalte, die mit weniger als 200 Euro pro Person im Monat auskommen müssen. Und diese Zahl wächst. Die Interessen der Betroffenen dürften allerdings kaum von rechten Politikern vertreten werden. Also stellt sich die Frage, woher die Stärke der bulgarischen Rechten rührt.

Die derzeit regierende BSP ist – zumindest theoretisch – eine Mitte-Links-Partei, die in der Praxis allerdings einen Mitte-Rechts-Kurs verfolgt. Die Partei ist die reformierte Erbin der BKP. Darauf anspielend, tragen die Protestierenden Transparente mit antikommunistischen Losungen und schimpfen auf den »Roten Müll«. Der Rundfunkjournalist Petar Wolgin erklärt diesen anachronistischen Antikommunismus so: »In Bulgarien ist es heute schick, den Kommunismus zu bekämpfen. Nahezu jeder, der seine moralische Sauberkeit beweisen will, ob 80 oder 20 Jahre alt, fühlt sich verpflichtet, sich als Kämpfer gegen den Kommunismus auszugeben.« Wer nicht genügend deutlich mache, wie sehr er »die Kommunisten« hasst, werde selbst als heimlicher Kommunist enttarnt und verdammt.

Linke Kritiker der Zustände in Bulgarien betonen, dass die Ursachen der Krise nicht durch einen »Elitenwechsel«, sondern nur durch einen Systemwechsel beseitigt werden können. Wolgin selbst aber diagnostiziert, dass »aktive Bürgerbeteiligung und moralische Sauberkeit« für viele in seinem Lande gleichbedeutend sind mit Widerstand gegen einen mythischen Kommunismus und nicht mit Opposition zum »real existierenden bulgarischen Kapitalismus«. Der Politologe Andrej Raitschew schließt sich dieser Analyse an: »Wir haben einen wilden Kapitalismus und es gäbe eine Menge, wofür der Bürger in Bulgarien kämpfen könnte. Aber dem Protest wird eine rechte Rhetorik aufgedrängt. Die Unzufriedenen fordern: ›Gebt uns einen guten Kapitalismus!‹ Aber einen guten Kapitalismus gibt es nicht«, warnt Raitschew.

Bulgarien fehlt eine glaubwürdige linke Alternative. So wenden sich viele Wähler radikal rechten Formationen zu. Im ärmsten Land der EU bleibt die Linke in der Defensive. Niemand äußert moralische Empörung über die Armut, niemand protestiert dagegen. Offenbar ist Armut in Bulgarien moralisch.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 16. November 2013


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