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Bulgarien wurde kalt erwischt

2,5 Millionen Verbraucher und die Industrie sind vom russisch-ukrainischen Gasstreit betroffen / Regierung sucht nach Alternativen

Von Thomas Frahm, Sofia *

Seit vierzehn Tagen leidet Bulgarien nun unter dem russisch-ukrainischen Gasstreit. Das Schwarzmeerland ist zu 95 Prozent abhängig von russischem Erdgas, das ausschließlich durch ukrainische Pipelines ins Land gelangt. Doch das Balkanland zeigt ein erstaunlich gutes Krisenmanagement.

Die ersten Tage waren die schlimmsten. In der Nacht zum 6. Januar versiegten plötzlich die Gasströme, und dies bei winterlichen Temperaturen von unter -15 Grad. Energieminister Peter Dimitrow rief sofort seinen Krisenstab zusammen. In den Morgenstunden wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, dass ab sofort nur noch eine Notversorgung aus dem Gasdepot in Tschiren erfolge, das jedoch nicht die täglich erforderlichen 12 Millionen Kubikmeter, sondern maximal 4,5 Millionen Kubikmeter abgeben könne, und auch das nur für begrenzte Zeit. Praktisch bedeutete dies, dass in allen an die Fernwärme angeschlossenen Haushalten die Zimmertemperatur auf ca. 10 bis 15 Grad fiel; aber die Bulgaren haben im Jahrzehnt nach der Wende Schlimmeres gesehen, nämlich den totalen Ausfall der Wärmeversorgung. Sie schalteten ihre Öfchen ein und nahmen es gelassen.

Schlimmer war die Lage für öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser. Während man aus den ersten beiden die Kinder wieder nach Hause schicken konnte, so war dies bei den Kranken, die stationär behandelt werden mussten, nicht möglich. Also wurden die regionalen Fernwärmeversorger, die Toplofikatsii, mit der Umstellung auf den Brennstoff Masut, einen Erdölrückstand, beauftragt, was etwa vier Tage in Anspruch nahm. Im Rahmen der Umstellung kam es zu kurzzeitig dramatischen Störungen wie etwa in der Hafenstadt Burgas, wo zwei Tage lang bei klirrender Kälte 30 000 Wohnungen völlig unbeheizt blieben.

Doch am einschneidendsten war die Lage für die bulgarische Industrie, die seit dem Beginn der Finanzkrise ohnehin mit Absatzeinbußen von etwa acht Prozent zu kämpfen hat. Den Betrieben, die keine Waren des täglichen Bedarfes herstellen, wurde die Wärme teilweise völlig abgedreht, so dass die Produktion zum Erliegen kam. Auf der Basis der 350 Betriebe, die das bulgarische Wirtschaftsministerium ständig beobachtet, wurde errechnet, dass die Produktionsausfälle sich täglich auf 13 Millionen Lewa (ca. 6,7 Mio. Euro) belaufen, kein geringer Betrag für eine Volkswirtschaft, deren Bruttosozialprodukt mit 25 Milliarden Euro nicht einmal die Hälfte der Schuldenhöhe Berlins erreicht.

Ministerpräsident Sergej Stanischew hatte sich am 6. Januar mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin darüber verständigt, dass Bulgarien bei einem Wiederaufdrehen der Gashähne als erstes wieder versorgt werden müsse, und war mit einer Delegation anschließend auch nach Moskau und Kiew geflogen. Doch als klar wurde, dass sich das Tauziehen zwischen Putin und seiner ukrainischen Amtskollegin Julia Timoschenko auf unbestimmte Zeit hinziehen würde, nahm die bulgarische Regierung beim Krisengipfel in Moskau am 17. Januar zunächst Kontakt zu Kostas Karamanlis, dem griechischen Premier, auf, und erreichte, dass Griechenland vermutlich noch in dieser Woche zwei Millionen Kubikmeter Gas nach Bulgarien liefern wird, so dass wenigstens die Hälfte der Versorgung von vor Beginn der Krise erreicht werden wird. Auch mit dem türkischen Energieminister Hilmi Gülers sind die Bulgaren im Gespräch. Die Türken beziehen ihr Gas aus Iran und Aserbaidshan und verfügen über freie Kapazitäten für den bulgarischen Nachbarn am Bosporus.

Es blieb natürlich nicht aus, dass im Jahr der Parlamentswahlen auch versucht wurde, politisch Kapital aus der Krise zu schlagen. Das neue Parteienbündnis »Napred« (Vorwärts), das maßgeblich von einem der großen Privateigentümer im Energiegeschäft finanziert wird, demonstrierte in Sofia und überreichte der Regierung und der bulgarischen Vertretung der EU-Kommission eine Deklaration, in der es eine neue Energiepolitik verlangte, die mehr auf landeseigene Energieträger, sprich: Kohle, setze. Diese Variante, die dem Eigentümer der Fernwärmezentralen von Warna, Burgas und Plewen sehr entgegenkäme, wird vom Energieministerium wegen der Kosten und der Umweltschäden nicht favorisiert.

Ein weiteres Thema, das gleich zu Beginn der Krise von Staatspräsident Georgi Parwanow wieder im eilends zusammengerufenen Nationalen Sicherheitsrat aufgeworfen wurde, war das Kernkraftwerk von Kosloduj, dessen Blöcke 3 und 4 im Rahmen des EU-Beitritts Ende 2006 hatten abgeschaltet werden müssen, obwohl sie nach Expertenmeinung keineswegs Teile eines »Schrott- AKW« sind, sondern allen Sicherheitsauflagen der EU entsprechen. Ein apartes Detail ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass die Lagerung der bulgarischen Kernbrennstoffe in der Ukraine erfolgt. Das Gute am Schlechten der Krise ist, dass der Gas-Konflikt Bulgarien dazu zwingt, seine Energiepolitik wirklich winterfest zu machen.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2009


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