Bitterer Beigeschmack der EU-Strafen
Bulgarien kämpft um Vertrauen und Aufhebung der "»Blockade" der Europäischen Union
Von Gabi Kotlenko *
Gerade mal ein Vierteljahr ist die derzeit wohl wichtigste Frau Bulgariens im Amt - im Mai kurzerhand von Regierungschef Sergej Stanischew vom Botschafterposten in Berlin nach Sofia zurückbeordert. Bulgarien war unter starken Beschuss der EU-Kommission geraten. Schlagzeilen über Korruption, Misswirtschaft, organisierte Kriminalität bis hin zu regelrechten Mafia-Skandalen prägten sein Bild.
Premier Stanischew reagierte damals mit dem eisernen Besen und entledigte sich seiner besonders in Verruf gekommenen Minister für Inneres, Verteidigung, Gesundheit und Landwirtschaft. Dazu erweiterte er die Zahl seiner Stellvertreter. Die neue Vizepremierministerin Meglena Plugtschiewa - verantwortlich für die Koordinierung und Kontrolle bei der Verwendung der EU-Gelder - soll es nun richten. Zeit zum Luftholen hatte die neue Frau in Stanischews Kabinett bisher nicht.
Als Meglena Plugtschiewa ihr Amt antrat, drohte die Europäische Union ihrem Neumitglied mit der Sperrung von EU-Fördermitteln. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Im Juli stoppte die EU Finanzhilfen für Bulgarien im Umfang von rund einer halben Milliarde Euro wegen des Verdachts auf anhaltende Korruption bei der Vergabe von Fördermitteln. Drastischer wurde in der Union noch kein Land bestraft. Obwohl Rumänien, wie Bulgarien seit dem 1. Januar 2007 Vollmitglied der EU - nicht minder schwere Probleme attestiert werden, blieb es gegenüber Bukarest beim erhobenen Zeigefinger. Es bleibt der bittere Beigeschmack, dass Brüssel hier mit zweierlei Maß misst. Doch Meglena Plugtschiewa ist entschlossen, verlorenes Vertrauen der EU in ihr Land zurückzuerkämpfen. Zu ihrer Mannschaft gehören in der Staatsadministration 2200 Leute. 18 von ihnen bilden ihr direktes Team - 16 Frauen und zwei Männer. »Wenn es heiß wird in der Arbeit, ziehen sich die Männer gern zurück«, meint sie augenzwinkernd.
Sie hat die Vollmacht des Ministerpräsidenten für all ihre Handlungen, sprich: sein vollstes Vertrauen. Jeden Donnerstag berichtet sie auf der Kabinettssitzung über die Fortschritte im Kampf gegen die Korruption, die gleichzeitig Erfolge im Ringen um das Zurückerkämpfen des Vertrauens der EU sind. Jeden Freitag stellt sie sich den Fragen der Presse. Meglena Plugtschiewa legt Wert auf Transparenz - und damit wiederum hofft sie auch, bei der EU zu »punkten«. Sie sieht bei der Erfüllung der EU-Vorgaben einen Verzug von acht bis zehn Monaten. Und Brüssel erwartet konkrete Ergebnisse.
Doch Frau Plugtschiewa bittet auch um die Fairness, Fortschritte objektiv und neutral zu bewerten. Probleme gebe es schließlich bei allen neuen Mitgliedstaaten. Die Vizeregierungschefin sieht ihre Aufgabe als nationale Mission, für die alle ins Boot geholt werden müssten, auch die Opposition. Die Koalitionsregierung, bestehend aus Sozialistischer Partei (BSP), der türkischen Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF) und der Partei des Expremiers und Exkönigs Simeon Sakskoburgotski Nationale Bewegung Simeon II., überstand erst vor Kurzem ein Misstrauensvotum wegen der eingestellten EU-Finanzhilfen. Dieser bislang sechste Vorstoß der rechten Opposition wurde von 150 Parlamentsabgeordneten abgelehnt, dafür stimmten nur 84.
Doch die Regierung Stanischew steht unter enormem Zeitdruck. Im Juni nächsten Jahres stehen Parlamentswahlen an. Und sie kämpft gegen eine »zweite Front«. Denn die rechte Opposition meint ihre Stunde kom- men zu sehen. Angesichts der Korruptionsvorwürfe aus Brüssel rufen die Rechten zu einem Boykott der Regierung auf. »Die Menschen sollen keine Steuern mehr zahlen«, so der Chef der Union der Demokratischen Kräfte Bulgariens (UDK), Plamen Jurukow, im Rundfunk. Dass genau diese Partei Mitte der 90er Jahre in der Regierungsverantwortung kläglich scheiterte, scheint er dabei zu verdrängen. Die Nationalisten der Ataka-Partei protestierten auf etwas unkonventionelle wie nutzlose Art. In einem Zelt vor dem Regierungssitz in Sofia »kämpften« sie für den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.
Wegen des Missbrauchs von EU-Geldern will die EU-Kommission in Bulgarien noch nie da gewesene Kontrollen einführen. Genau unter die Lupe genommen werden alle Behörden und Ministerien, die Gelder aus Brüssel verteilen. Die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Danuta Hübner, hat dafür eine Überwachungssoftware vorgestellt. Das System heißt »Lothar« und wird mit einem Sondersystem für Monitoring in der Europäischen Kommission verbunden sein. Auf diese Weise wird in Brüssel direkt verfolgt, wie die Umsetzung der Projekte läuft. Ähnliche Kontrollmechanismen hat es bislang in keinem anderen EU-Staat gegeben. Außerdem würden Mitarbeiter des EU-Betrugsbekämpfungsamtes OLAF künftig regelmäßig überprüfen, ob Mittel veruntreut werden, betonte Meglena Plugtschiewa. Die Zusammenarbeit mit dem Team von Danuta Hübner bewertet sie übrigens als vorbildlich.
Bei der bulgarischen Staatsanwaltschaft wurde unterdessen eine Stelle für den Missbrauch der EU-Gelder geschaffen. Die Vizeregierungschefin sieht in Unwissen und mangelnden Erfahrungen entscheidende Ursachen für die Situation Bulgariens. Der Zeitdruck ist ihr bewusst. Und sie baut auf mehr Hilfe von der EU-Kommission. »Wir brauchen Expertenhilfe und nicht nur Bemerkungen aus Brüssel, was wir nicht können.« Aus Deutschland wurde ihr diese Unterstützung bereits zugesichert. Erst vor wenigen Tagen weilte sie in Berlin zu Gesprächen im Auswärtigen Amt. In Staatsminister Gernot Erler, mit dem sie gemeinsam an der Spitze des Deutsch-Bulgarischen Forums stand, hat sie hier einen prominenten Fürsprecher. Auf Fragen, ob Bulgarien noch nicht reif für den EU-Beitritt war, reagiert Meglena Plugtschiewa gereizt, vor allem aber kämpferisch: »Wie reif waren damals zum Beispiel Griechenland und Spanien«, stellt sie die Gegenfrage. Und beklagt: »Bulgarien kämpft, aber die EU blockt.«
* Aus: Neues Deutschland, 22. August 2008
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