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Polizei sucht nach dem wahren Motiv

Folterknecht und wichtiger Zeuge der brasilianischen Wahrheitskommission bei Wohnungsüberfall getötet

Von Andreas Knobloch *

Seit November 2011 untersucht eine brasilianische Wahrheitskommission die Verbrechen während der Militärdiktatur. Ein wichtiger Zeuge ist verstummt: Offizier Paulo Malhães wurde ermordet.

War es Rache oder wollte ihn jemand zum Schweigen bringen? Der frühere brasilianische Armeeoffizier Paulo Malhães und Folterknecht in der Militärdiktatur (1964-85) hat einen Überfall auf seine Wohnung vergangene Woche nicht überlebt.

Inzwischen wurde ein Hausangestellter des Ehepaars Malhães festgenommen und hat laut Polizei seine Beteiligung an dem Verbrechen gestanden. Der 28-jährige Rógerio Pires gab demnach zu, Informationen über die Abläufe in dem Haushalt an die drei mutmaßlichen Täter geliefert zu haben, darunter zwei Brüder von ihm, die sich noch auf der Flucht befinden.

Paulo Malhães war am 25. April in seinem Haus in Nova Iguaçu in Rio de Janeiro umgebracht worden. Nach Aussagen seiner Frau drangen drei Männer in das Haus ein und erstickten Malhães; sie selbst wurde geknebelt. Die Einbrecher sollen Geld und Schmuck, aber auch Computer und Waffen entwendet haben.

Der Fall hatte in den letzten Tagen für Schlagzeilen und viele Spekulationen gesorgt. Das hat vor allem mit der Vergangenheit von Malhães zu tun. Der frühere Oberstleutnant gehörte in der Zeit der Militärdiktatur in Brasilien (1964-85) zum Armeegeheimdienst Centro de Informações do Exército (CIE). In einem Verhörzentrum in Petrópolis unweit von Rio de Janeiro, das auch als »Haus des Todes« bekannt geworden ist, war er daran beteiligt, politische Gefangene zu foltern und zu töten.

Erst vor etwas mehr als einem Monat hatte Malhães darüber vor der Wahrheitskommission, die die Verbrechen während der Militärdiktatur aufklären soll, ausgesagt. In einer aufsehenerregenden und polemischen Vernehmung von mehr als zwei Stunden Länge, erkannte Malhães mit Eiseskälte seine Teilnahme an einer langen Liste von Tötungen, Folterungen und dem Verschwindenlassen von Oppositionellen des Militärregimes an. Auf die Frage, wie viele Menschen, er getötet habe, antwortete der frühere Armeeoffizier seelenruhig: »So viele, wie nötig waren.« »Bereuen Sie einige dieser Todesfälle?« »Nein.«

Von Anfang an hielten es die Untersuchungsbehörden für wahrscheinlich, dass der Tod mit Malhães' Vergangenheit zu tun haben könnte – ein Racheakt oder ein Auftragsmord von Personen, die sich von weiteren Enthüllungen des Ex-Militärs bedroht fühlten. Malhães war ein wichtiger Offizier während der Diktatur und besaß viele Informationen. Vermutet wurde, dass seine mutmaßlichen Mörder geheime Dateien gesucht haben, um diese zu vernichten.

Doch im Laufe der Ermittlungen verlor diese Annahme an Substanz. Nun gilt als wahrscheinlicher, dass drei Einbrecher in das Haus eingedrungen sind, um Wertsachen zu stehlen und Malhães – physisch und psychisch mit seinen 77 Jahren nicht mehr in bester Verfassung – erlitt einen Herzinfarkt. Die Polizei fahndet nun nach zwei Brüdern des Hausangestellten Pires und einem weiteren Tatbeteiligten.

In jedem Fall aber ist mit Malhães ein wichtiger Zeuge der Verbrechen der brasilianischen Militärdiktatur im Allgemeinen und im »Haus des Todes« im Besonderen verschwunden. Vermutet wird, dass allein in dem Folterzentrum in Petrópolis, einem von vielen während der Diktatur, mindestens zwanzig Menschen ermordet wurden. Insgesamt wurden zwischen 1964 und 1985 offiziell rund 500 Oppositionelle ermordet, Tausende verschwanden. Auch die heutige Präsidentin Dilma Rousseff war während der Diktatur eingesperrt und gefoltert worden. Am 1. April hatte sich der Militärputsch zum 50. Mal gejährt.

Kurz nach Bekanntwerden von Malhães' Tod hatte das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Genf von Brasilien eine »sofortige Untersuchung« zu den Umständen der Tat gefordert, um »die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen«. Der Fall könnte indes negative Auswirkungen auf die Arbeit der Wahrheitskommission in Brasilien haben; das befürchten Mitglieder der Kommission. Eine der führenden Köpfe des Gremiums, Rosa Cardoso, erklärte: »Einige Leute haben jetzt Angst, das wird unsere Arbeit zumindest für eine Weile schwieriger machen.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 5. Mai, 2014


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