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Mit Importzöllen gegen die Krise

Brasilien setzt angesichts schwächeren Wachstums auf Sparen und Protektionismus

Von Andreas Knobloch *

Brasilien verzeichnet weiter ein hohes Wachstum. Doch auch im größten lateinamerikanischen Land profitieren nicht alle vom Boom.

2011 war ein gutes Jahr für die brasilianische Wirtschaft. Kein herausragendes wie das Jahr davor, als das Wachstum mit 7,5 Prozent so stark ausfiel wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, aber Finanzminister Guido Mantega spricht von immerhin drei Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2011.

Bisher haben die weltwirtschaftlichen Turbulenzen Brasilien wenig anhaben können. Aber das dürfte nicht so bleiben. Bereits im letzten Jahresdrittel hat sich das Wachstum verlangsamt. Brasilien steht gleichzeitig vor der Herausforderung einer hohen Inflation, einer überbewerteten Währung und eines Industriesektors, der angesichts billiger chinesischer Importe an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt.

Dennoch: Die brasilianische Wirtschaft wird weiter angetrieben von hohen Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt, von starker Nachfrage vor allem aus China und dem starken einheimischen Konsum. Auch ist die geldpolitische Strategie bisher aufgegangen. Davon ausgehend, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr nicht mehr stark wachsen wird, setzte die Zentralbank auf Risiko und senkte Ende August überraschend den Leitzins. Man vertraute darauf, dass die schon hohe Inflation nicht weiter steigen wird. Der Schritt zeigte schnell Erfolg. Die Aufwertung der brasilianischen Währung wurde gestoppt, der Real verlor gegenüber dem US-Dollar wieder an Wert. Die starke einheimische Währung hatte zwar den Konsum im Inneren angekurbelt, aber eben auch die Exporte brasilianischer Waren verteuert.

Für das kommende Jahr sehen Ökonomen die steigenden Staatsausgaben als Problem an. Mittel in Milliardenhöhe werden in Sozialprogramme, die Anhebung des Mindestlohns und Infrastrukturprojekte für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 sowie Olympia 2016 fließen. Auf der anderen Seite hat die seit Januar amtierende Präsidentin Dilma Rousseff deutlich gemacht, dass sie durchaus gewillt ist, die unternehmerfreundliche Wirtschaftspolitik ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva fortzusetzen und zu sparen. Ihre Regierung hat Haushaltskürzungen von umgerechnet 28 Milliarden Dollar auf den Weg gebracht und damit begonnen, Flughäfen zu privatisieren – was einige Ökonomen und Politberater schon länger gefordert hatten. Zudem setzte sich Rousseff gegen die Forderungen der Gewerkschaften nach einem noch höheren Mindestlohn durch.

Darüber hinaus hat die Regierung angefangen, aggressiv die einheimische Industrie zu schützen. Im September wurden Importzölle für ausländische Autos und Lkw um bis zu 30 Prozent erhöht. Ausgenommen sind Importe aus Mexiko und den Mercosur- Partnern Argentinien, Paraguay und Uruguay. Zwar sei diese Regelung nicht ohne Weiteres auf andere Sektoren anzuwenden, so Finanzminister Mantega in einem Interview mit der Tageszeitung »O Globo«, der sich aber gleichzeitig für spezielle Maßnahmen aussprach, die nicht die Normen der Welthandelsorganisation (WTO) verletzen. Tatsächlich einigten sich die Mercosur-Staaten erst vor wenigen Tagen bei einem Treffen in Montevideo auf einen Mechanismus, der es jedem Land erlaubt, die Importzölle für einzelne Produkte etwa der Textil- und Chemieindustrie innerhalb der von der WTO erlaubten Grenzen zu erhöhen, um die jeweiligen heimischen Unternehmen zu schützen.

Auch nannte Mantega weitere Zinssenkungen und Finanzhilfen für einheimische Unternehmen als mögliche Maßnahmen zur Stimulierung des Wachstums. Der Erfolg einer Regierung dürfe aber nicht nur am BIP gemessen werden. »Wir müssen uns die Dynamik der Wirtschaft als Ganzes anschauen «, erklärte der Minister. Das Lohnniveau sei gestiegen, ebenso die Zahl der Arbeitsplätze.

Das berührt die Frage, wer vom Wachstumsboom eigentlich profitiert hat. Denn auch wenn unter Lula Millionen armer Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen sind, bleibt Brasilien eines der Länder mit der ungleichesten Reichtums- und Landverteilung.

* Aus: neues deutschland, 28. Dezember 2011


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