Vertreibung in einen Naturpark
Brasilien: Biografie eines Stammesgebiets der Xavante von Marãiwatsede
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *
Der organisierte Raub des Territoriums
der Xavante – eines Volkes im
brasilianischen Bundesstaat Mato
Grosso – begann 1960. 1998 erkannte
die Zentralregierung zwar die
Landrechte der Indigenen an, doch
nun sollen sie weiterziehen – in einen
Naturpark.
Damião Paridzane ist Häuptling
der Xavante, geboren 1954 in
Marãiwatsede im Norden Mato
Grossos, wo der Cerrado in den
Amazonasregenwald übergeht.
Marãiwatsede bedeutet dichter
Wald. In den 60er Jahren wurden
Damião und sein Stamm von dort
vertrieben. Seit 2003 kämpft der
Xavante um die Rückgabe des
Landes und die Rückkehr seines
Stammes. Doch obwohl Brasiliens
Regierung Marãiwatsede 1998 als
Indianerterritorium anerkannte,
sind weiterhin etwa 80 Prozent des
Xavante-Reservats in der Hand
von Großgrundbesitzern. Nun
entschied die Regierung Mato
Grossos, dass es dabei auch bleibt,
während die Ureinwohner in einen
Naturpark umsiedeln müssen.
Die Vorgeschichte: 1960 kaufte
Ariosto da Riva aus São Paulo im
Norden Mato Grossos 418 000
Hektar Land und bekommt weitere
400 000 Hektar von der
Staatsregierung geschenkt, obwohl
das artenreiche Busch- und
Regenwaldgebiet Xavante-Land
ist. Riva will dort auf 500 000 Hektar
Rinder halten. Doch zuerst gilt
es das »Indianer-Problem« zu lösen.
Die Taktik: Per Flugzeug werden
dazu zunächst kontinuierlich
Nahrungsmittel über Marãiwatsede
abgeworfen und so die Xavante
angelockt. So befriedet,
werden sie dann als billige Arbeitskräfte
zur Rodung ihres eigenen
Waldes ausgenutzt. »Wir
arbeiteten wie Sklaven. Viele von
uns starben«, erinnert sich der
heutige Kazike Damião Paridzane.
Während die überlebenden
Xavante von Marãiwatsede in eine
Mission des Salesianer-Ordens in
São Marcos umgesiedelt wurden,
verkauft Riva die nun »indianerfreie
« Fazenda 1971 gewinnbringend
an das italienische Unternehmen
Liquifarm, das 1980 wiederum
an Italiens halbstaatlichen
Ölkonzern Agip geht. Dank des
Drucks der italienischen Campagna
Nord-Sud gibt Agip schließlich
während des ersten Erdgipfels
der Vereinten Nationen (UNCED)
1992 in Rio de Janeiro die
inzwischen auf weniger als
200 000 Hektar geschrumpfte Fazenda
an die vertriebenen Xavante
zurück. Doch die Rechnung
wird ohne den neuen Wirt gemacht.
Anstatt umgehend das wiedergewonnene
Land als Indianerterritorium
anzuerkennen und
die Xavante in ihre – zu diesem
Zeitpunkt größtenteils noch nicht
abgeholzte Heimat – zurückzufliegen,
geriet die verschenkte
Agip-Fazenda in die Mühlen der
brasilianischen Bürokratie. Es
dauert skandalöse sechs Jahre, bis
die Regierung Brasiliens schließlich
das den Xavante zurückgegebene
Land mit einer Fläche von
165 241 Hektar als Indianerreservat
anerkennt. Doch längst haben
sich unter den Augen der Behörden
Großgrundbesitzer und
Lokalpolitiker die ehemalige Agip-
Fazenda unter den Nagel gerissen,
abgeholzt und gewinnbringend
weiterverkauft.
Enttäuscht von der Justiz
machte sich Häuptling Damião im
Oktober 2003 mit über 200 seiner
Xavante auf, um sein Territorium
auf eigene Faust zurückzuerobern.
Doch bewaffnete Großgrundbesitzer
und Kleinbauern
stoppen sie an der an der Grenze
zu ihrem Land. Unbeirrt von den
Drohungen der »Weißen«, schlagen
die Ureinwohner ein Protestcamp
auf. Der Protest zeitigt 2004
einen Teilerfolg. 2010 weist das
Landesgericht von Mato Grosso
endgültig die Besitzansprüche von
Farmern zurück. Doch statt das
Gebiet zu räumen, beschließt im
Juni 2011 der Staat Mato Grosso
einen Landtausch. Das Indianerterritorium
verbleibt in den Händen
seiner Räuber, während die
Ureinwohner in den Naturschutzpark
von Araguaia umsiedeln sollen.
Für Häuptling Damião allerdings
ist der drohende neuerliche
Exodus inakzeptabel. Eine Heimat
lasse sich nicht wie ein Stück
Ackerland eintauschen. Damião:
»Wir wollen nicht ein zweites Mal
von unserem Land vertrieben
werden. Dieses Gesetz (zum Landtausch)
verletzt die in der Verfassung
verankerten Rechte der Indios.
Wir bleiben standhaft. Wir
Indios haben Land. Wir überfallen
niemanden und rauben nichts. Wir
wurden überfallen und beraubt.«
* Aus: neues deutschland, 18. Oktober 2011
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