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Brasiliens Waldzerstörer werden belohnt

Umstrittene Novelle des Waldgesetzes passiert den Senat / Umweltschützer appellieren an Präsidentin Dilma Rousseff

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Brasiliens neues Waldgesetz hat eine wichtige Hürde genommen. In der Nacht zum Mittwoch verabschiedete der Senat mit 59 zu acht Stimmen jene Reform, gegen die Brasiliens Umweltbewegung seit Monaten Sturm läuft. Damit wird die Zerstörung hochsensibler ökologischer Schutzgebiete im ganzen Land legalisiert.

Nun muss das Abgeordnetenhaus, das bereits im Mai eine noch radikalere Novelle zugunsten großer Farmer verabschiedet hatte, erneut abstimmen. Vor der Unterzeichnung des Gesetzes hätte Präsidentin Dilma Rousseff allerdings noch die Möglichkeit, ihr Veto gegen umstrittene Passagen einzulegen. Im Wahlkampf 2010 hatte sie öffentlich gelobt, keinem Gesetz zuzustimmen, das eine Amnestie für Waldzerstörer enthalte.

Genau dies jedoch zeichnet sich jetzt ab: Die Novelle sieht Straffreiheit für jene Landbesitzer vor, die bis Juli 2008 die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzgebiete zerstört haben. Größere Grundstücke, im Amazonasgebiet fangen sie bei 440 Hektar an, müssen allerdings teilweise wieder aufgeforstet werden.

Ausgerechnet Senator Jorge Viana von Rousseffs Arbeiterpartei PT, ein früherer Mitstreiter der Umweltikonen Chico Mendes und Marina Silva, koordinierte jetzt die Senatsnovelle. Dank des neuen Gesetzes würden in den kommenden 20 Jahren je 20 000 Quadratkilometer wieder aufgeforstet, sagte Viana.

Die PT hat sich nahezu vollständig der Agrarlobby unterworfen. Rousseff schätzt die industrielle Landwirtschaft als Devisenbringer: Agrarprodukte, allen voran Soja und Rindfleisch, machen 37 Prozent von Brasiliens Exporten aus. Herausragende Vertreter des Agrobusiness wie »Sojakönig« Blairo Maggi oder Kátia Abreu vom Farmerverband CNA sitzen selbst im Senat. »Wir haben die Diktatur der Umweltschützer beendet«, jubelte Abreu. 2010 hatten rund 50 Parlamentarier üppige Wahlkampfspenden von solchen Firmen erhalten, die von der künftigen Amnestie profitieren werden.

Während der Debatte handelten rechte Parlamentarier Dutzende zusätzliche Gesetzesänderungen aus. Ohne dass die meisten Senatoren wussten, worum es im Einzelnen ging, stimmten sie spätabends en bloc darüber ab. Selbst zwölf Stunden nach dem Votum waren Details noch unklar. Auf der betreffenden Webseite des Senats waren die Gesetzesänderungen immer noch nicht eingestellt.

Für die armen Urwaldbewohner und die Umwelt setzten sich vor allem die beiden Senatoren der linksoppositionellen Partei für Sozialismus und Freiheit PSOL ein. Randolfe Rodrigues und Marinor Brito aus den Amazonas-Bundesstaaten Amapá und Pará stimmten gegen die Novelle, »im Namen all jener, die bei der Verteidigung des Urwalds ihr Leben gelassen haben«.

Die Aufweichung des Waldgesetzes betrifft aber nicht nur den Regenwald im Amazonasgebiet. Im ganzen Land sollen Schutzgebiete an Flussufern zum Teil erheblich verringert und die landwirtschaftliche Nutzung an Berghängen und Kuppen ausgeweitet werden. Schon jetzt kommt es bei heftigen Regenfällen in dicht besiedelten Gebieten regelmäßig zu großen Erdrutschen mit zahlreichen Todesopfern.

Im Hinblick auf internationale Klimaverhandlungen hatte sich Brasilien vor zwei Jahren verpflichtet, bis 2020 die Abholzung des Amazonasgebietes um 80 Prozent zu verringern. Auch weil im kommenden Juni der UN-Umweltgipfel »Rio+20« in Brasilien stattfindet, hoffen Umweltschützer nun auf das Veto der Präsidentin.

* Aus: neues deutschland, 8. Dezember 2011


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