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Vetternwirtschaft

Brasiliens Tourismusminister tritt wegen Korruptionsvorwürfen zurück

Von Andreas Knobloch *

Seit Freitag ist Gastão Vieira von der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB) neuer Tourismusminister Brasiliens. Die Ernennung des 65jährigen wurde von Oppositionspolitikern und politischen Beobachtern allerdings mit Skepsis aufgenommen. Er stamme aus demselben Bundesstaat wie sein zurückgetretener Vorgänger im Amt und Parteikollege, Pedro Novais. Zudem sei er wie dieser ein Schützling des einflußreichen Senatspräsidenten José Sarney. Álvaro Dias, Fraktionsführer der sozialdemokratischen PSDB im Senat, forderte, der Vetternwirtschaft ein Ende zu bereiten. Das Tourismusministerium solle einen technischeren Zuschnitt erhalten und nicht nach politischen Erwägungen besetzt werden.

Angesichts des Ausbaus der touristischen Infrastruktur im Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele in Rio de Ja­neiro 2016 kommt dem Ministerium besondere Bedeutung zu. Dias kritisierte zudem, daß mit der Ernennung Vieiras das Modell, das Korruption begünstigt, unverändert bleibe.

Vieira seinerseits bemühte sich, die Kritik zu entkräften und einen sauberen Start hinzulegen. Seinen Beamtenapparat wolle er in erster Linie mit technischem und der Korruption unverdächtigem Personal besetzen. Die Initiative wurde vom Koalitionspartner PT (Arbeiterpartei) begrüßt. Gleichzeitig berichtete die Tageszeitung Folha de S. Paulo in ihrer Samstagsausgabe aber von Unregelmäßigkeiten beim Bau einer Freizeitanlage in Buriticupu in Vieiras Heimatprovinz Maranhão, für den er das Geld angewiesen hatte.

Der bisherige Tourismusminister Novais hatte in der vergangenen Woche seinen Rücktritt eingereicht, nachdem er das Vertrauen seiner Partei (PMDB), dem größten Koalitionspartner in der Regierung, verloren hatte. Gegen ihn waren Korruptionsvorwürfe laut geworden. Er soll jahrelang Hausangestellte aus öffentlichen Geldern bezahlt haben. Sein Dienstmädchen tauchte in den Abrechnungen sieben Jahre lang als Beraterin des Kongresses auf. Seine Frau, Maria Helena de Melo, ließ ihren Chauffeur von der Abgeordnetenkammer bezahlen. Zudem soll Novais im vergangenen Jahr eine private Feier aus öffentlichen Mitteln gesponsert haben. Anfang August waren bereits sein Vizeminister und andere hohe Funktionäre seines Ministeriums, insgesamt 35 Beamte, wegen Korruptionsvorwürfen vorübergehend festgenommen und später ihrer Posten enthoben worden.

Novais ist der fünfte Minister, der in den letzten Monaten seinen Hut nehmen mußte; vier davon wegen Korruption. Die neugewählte Präsidentin Dilma Rousseff hatte mit dem Leitspruch »Ich akzeptiere keine Ungesetzlichkeiten in meiner Regierung« dem Filz den Kampf angesagt. Sie ist der Ansicht, daß ein »modernes« Brasilien seine archaischen politischen Strukturen reformieren muß. Bis heute existieren zahlreiche Parteien ohne wirkliche Ideologie, die im Grunde Wahlvereine sind, die sich an die jeweils stärkste Partei »verleihen«, um deren Regierungsfähigkeit zu garantieren und im Gegenzug Posten und Privilegien erhalten. So wie die PMDB. Ministerposten werden deswegen oft nicht nach Begabung oder Kompetenz verteilt, sondern nach Einfluß in den jeweiligen Parteien.

Es ist ein noch nie dagewesener Vorgang, daß ein brasilianischer Präsident in den ersten neun Monaten seiner Amtszeit bereits vier Minister wegen Korruption entlassen hat. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva, der Korruptionsvorwürfe meist als Verleumdungskampagnen der Opposition oder der Presse brandmarkte, geht Rousseff um einiges ernsthafter und sensibler mit der Problematik um –auch gegen Widerstände in ihrer eigenen Partei und ihrer Koalitionspartner. Dafür weiß sie die öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Erst am 7. September hatten 20000 Menschen in der Hauptstadt Brasilia gegen die weitverbreitete Korruption im Land protestiert.

* Aus: junge Welt, 19. September 2011


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