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Stahlwerk verpestet Brasiliens Küste

Umweltamt verurteilt ThyssenKrupp zu hoher Geldstrafe wegen Umweltverbrechen

Von Benjamin Beutler *

Vor kaum drei Monaten nahm ThyssenKrupp sein umstrittenes Stahlwerk in Brasilien in Betrieb. Nun verhängte ein staatliches Amt Strafen wegen Umweltverstößen.

Umgerechnet 750 000 Euro muss das Konsortium ThyssenKrupp/Companhia Siderúrgica do Atlântico (TKCSA) wegen Verstoßes gegen Brasiliens Umweltschutzauflagen zahlen, meldeten lokale Medien zu Wochenbeginn. Nach Inbetriebnahme des im Juni 2010 fertiggestellten Stahlwerks 70 Kilometer westlich von Rio de Janeiro hatten Anwohner der nahen Siedlung Santa Cruz vermehrt über den Ausstoß gesundheitsschädlicher Substanzen geklagt. Gegen das Urteil des Staatlichen Umweltinstituts (Inea) kann binnen Zweiwochenfrist Berufung eingelegt werden, diese dürfte allerdings wenig Aussicht auf Erfolg haben. Die Werksleitung hatte die Behörden nämlich nicht über die giftigen Schadstoffemissionen, vor allem Schwermetalle, informiert. Weitere Folge des Urteils: Die zwei Stahlöfen müssen ihre Produktion von geplanten 6000 auf 3000 Tonnen am Tag herunterfahren. Auch darf nur noch an fünf Wochentagen geschmolzen werden, so die von Inea erteilte Auflage.

Den Testbetrieb der größten Industrieanlage Lateinamerikas direkt an Brasiliens unberührter Atlantikküste hatte sich das deutsche Unternehmen sicherlich reibungsloser vorgestellt. »Wir sind noch nicht auf normalem Produktionsstatus«, so TKCSA-Vizepräsident Friedrich-Wilhelm Schaefer zu den bis heute ungelösten maschinellen Schwierigkeiten. Bis September könne »das Problem komplett gestoppt sein«, erklärte Schaefer.

Das 5,2 Milliarden Euro teure Stahlwerk, an dem die brasilianische Bergbaufirma Vale mit 26 Prozent beteiligt ist, zielt eine Jahresproduktionskapazität von fünf Millionen Tonnen Stahl an. Diese Produktionsleistung soll nach Unternehmensangaben bis 2011 erreicht werden. Im letzten Jahresviertel 2010 werden die ersten Teststahlblöcke, sogenannte Brammen, nach Deutschland ins Duisburger ThyssenKrupp-Werk verschifft, um deren Qualität zu prüfen. Nach der Überprüfung sollen 60 Prozent der Stahlproduktion aus Brasilien zur Weiterverarbeitung ins unternehmenseigene Stahlwalzenwerk in Alabama in den USA transportiert werden.

Für die Brasilianer zeigt das Verhalten des weltweit zehntgrößten Stahlmultis »ein weiteres Mal den unverantwortlichen Umgang des Unternehmens mit der brasilianischen Gesetzgebung«, so Sandra Quintela von der Nichtregierungsorganisation »Alternative Politik im Cono Sur«. Besonders besorgniserregend seien Gesundheitsschäden von Bewohnern nahe des TKCSA-Komplexes. Glänzende chemische Rückstände hätten spielende Kinder angelockt, schwere Hautverletzungen seien die Folge gewesen. Vor Ort gebe es nicht einmal einen Spezialisten für Hauterkrankungen, so die Ökonomin.

Es ist nicht das erste Mal, dass ThyssenKrupp wegen des Werks in die Schlagzeilen kommt. Die Liste der Beschwerden von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen ist lang: Verseuchung der Bucht, Bau im Naturschutzgebiet, illegale Rodung von Mangrovenwäldern, Verletzung von Arbeitsbestimmungen durch die Anstellung illegaler Arbeiter aus China und dem armen Nordosten Brasiliens. Die Umweltbehörde von Rio de Janeiro prognostizierte einen Anstieg der CO2-Emissionen im Bundesstaat um 76 Prozent bei Inbetriebnahme von TKCSA. Wer gegen den Konzern Front macht, hat nichts zu lachen: Der Fischer und Aktivist Luis Carlos Oliveira erhielt vom Werkschutz Morddrohungen. Er wurde inzwischen in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2010


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