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Kampf gegen Belo Monte

Geplantes Megastaudammprojekt im Amazonas wird gravierende Folgen für die Menschen und die Umwelt haben

Von Niema Movassat *

Wachstum. Immer mehr Wachstum – um jeden Preis. Das ist die Zauberformel, mit der die brasilianische Regierung das Land seit Jahren voranbringt. Seit der Einführung des exportorientierten Wachstumsmodells mit Beginn der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Luis Inácio »Lula« da Silva 2003 hat sich die Wirtschaftskraft des Landes verdoppelt, 40 Millionen Brasilianer sind in den vergangenen Jahren in die Mittelschicht aufgestiegen, annähernd 20 Millionen Brasilianer konnten sich aus der Armut befreien.

Doch das Modell birgt auch viel Schatten. Die ökologischen Probleme sind enorm. Nicht zuletzt deshalb trat die prominente ehemalige Umweltministerin Marina Silva 2008 von ihrem ministeramt zurück. Heute streitet sie für ein anderes Entwicklungsmodell in Brasilien, das den Schutz der Umwelt höher ansetzt als die rücksichtslose Durchsetzung der Wachstumsziele. Denn daß im Rahmen dieses Modells Menschen ihr Heim und ihre Existenz verlieren, von der Mafia und Milizen bedroht und ermordet sowie in Armut und Elend getrieben werden, scheint das brasilianische Polit-Establishment nicht zu interessieren.

Rücksichtslos durchgesetzt

Das Staudammprojekt Belo Monte im Norden des Landes, im Bundesstaat Pará, ist zum Symbol für die rücksichtslose Durchsetzung der Wachstums- und Energieziele der brasilianischen Regierung geworden. Inmitten des Amazonagebiets gelegen ist es das Herzstück des riesigen staatlichen Infrastrukturprogramms PAC (Programa de Aceleração do Crescimento), das insbesondere auf die Realisierung von Großprojekten setzt. Den Zusatz »Megastaudamm« verdient dieses Projekt: Es wird nach Fertigstellung das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein. Über drei Talsperren soll der Xingú, ein Seitenfluß des Amazonas, zu zwei Stauseen mit einer Fläche, die etwa der Größe des Bodensees entspricht, aufgestaut werden. Für den Bau wird soviel Erdreich bewegt wie beim Bau des Panamakanals.

Indes gibt es schon hinsichtlich der Leistungsfähigkeit Zweifel: Elf Gigawatt Leistung werden von offizieller Seite angegeben. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik dürfte die Leistung wegen des jährlich stark schwankenden Wasservolumens aber eher bei sechs Gigawatt liegen. Damit steht schon die wirtschaftliche Rentabilität von Belo Monte in Frage, denn der Staudamm wird umgerechnet zirka 15 Milliarden Euro kosten.

Trotzdem hält die Regierung unter der seit 2010 regierenden Präsidentin Dilma Rousseff mit aller Macht daran fest. Ihre Logik: Man brauche Energie, um zu wachsen. Und bei dieser wachstumsorientierten Politik spielt die Amazonasregion die zentrale Rolle. Denn diese verfügt über gewaltige Bodenschätze wie das Aluminiumerz Bauxit. Gleichzeitig ist die energieintensive Aluminiumindustrie der größte Stromverbraucher in der Region.

Schon heute werden etwa 40 Prozent des produzierten Stroms in Brasilien für die 600 energieintensivsten Unternehmen aufgewendet. Um den steigenden Strombedarf der wachsenden Industrie zu decken, sind aus Sicht der Regierung Großstaudämme wie Belo Monte am Xingú-Fluß und weitere 302 geplante Staudämme in der Amazonasregion notwendig. Deren Bodenschätze sollen zukünftig noch massenhafter geplündert und die Region in ein riesiges Bergbaugebiet umgewandelt werden. Mit massiven Auswirkungen auf die Umwelt in der Abbauregion, da durch die Erdarbeiten Wasserläufe zugeschüttet, das Grundwasser durch Schwermetalle kontaminiert und Wälder für die Minen abgeholzt werden.

Soziale Auswirkungen

Umweltbelange werden jedoch der bedingungslosen Hingabe der brasilianischen Wirtschaftspolitik an das Wachstum untergeordnet. Ein Bischof der katholischen Kirche sprach in diesem Zusammenhang bei einem Gespräch in der Pará-Hauptstadt Belém davon, daß bei Verwirklichung der geplanten Staudämme »dies das Ende des Amazonas bedeutet«.

Die Regierung in Brasilia hat Belo Monte trotz langjähriger Kampagnen von Umweltgruppen, Widerstands der katholischen Kirche, indigener Gemeinden und unabhängiger Wissenschaftler vorangetrieben. Selbst der Gouverneur von Pará, Simão Jatene, äußerte sich in einem Gespräch skeptisch. Alle Kritiker warnen trotz einiger Überarbeitungen in den Bauplänen weiterhin vor den kaum zu bemessenden Auswirkungen auf das Ökosystem des Xingú und die regionale Sozialstruktur. Denn durch den Staudamm würde ein Gebiet von rund 440 Quadratkilometern geflutet – alles weitgehend Regenwald. Außerdem werden etwa 20000 Menschen zwangsumgesiedelt werden – wobei die Antistaudammbewegungen davon ausgehen, daß bis zu 40000 Menschen in Wirklichkeit zwangsumgesiedelt werden müssen. Zwar sollen nach Angaben der Umweltbehörde keine Gebiete indigener Gemeinden mehr überschwemmt werden. Aber die Aufstauung des Xingú verändert deren Möglichkeiten des Fischfangs – der Wasserdurchfluß wird abnehmen, die Fischbestände werden zurückgehen. Kritiker in Belém warnen, daß der Fluß auf 100 Kilometer austrocknen könnte. Der indigenen Bevölkerung am Xingú wird damit die Existenzgrundlage entzogen.

Eine weitere ökologische Folge wird sein, daß aus dem Stausee selbst Methangas aufsteigen könnte. Dieses trägt 21mal stärker zur globalen Erwärmung bei als Kohlendioxid und entsteht durch den Zersetzungsprozeß der überschwemmten Bäume und Pflanzen. Damit steht auch in Frage, ob Belo Monte tatsächlich eine »saubere Energieform« ist.

Auch die Auswirkungen des Staudammprojekts auf die eher dünnbesiedelte Region werden gewaltig sein. 100000 Arbeiter aus allen Landesteilen werden für den Bau erwartet. Die nahegelegene Stadt Altamira hat gerade einmal rund 85000 Einwohner. Negative Folgen im Bereich von Landfragen, der Kriminalität, Prostitution etc. für die Stadt sind aus Sicht der sozialen Bewegungen, die sich gegen das Projekt engagieren, zu befürchten. Zwar teilte der Direktor von Elektronorte, einem der großen brasilianischen Stromversorgungsunternehmen, das am Bau beteiligt ist, mit, daß zirka 1,1 Milliarden Euro für die soziale und ökologische Entwicklung vor Ort bereitgestellt werden. Doch wie die Mittel eingesetzt werden, inwiefern sie den Menschen wirklich zugute kommen und sie bei der Vergabe der Mittel beteiligt werden, all dies ist unklar. Deshalb werden die sozialen Bewegungen ihren Kampf gegen das Projekt Belo Monte fortsetzen und weiter auf die fatalen ökologischen und sozialen Verwerfungen aufmerksam machen.

* Niema Movassat (Die Linke) ist Mitglied des Deutschen Bundestages. Er ist stellvertretener Vorsitzender der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe und besuchte im Rahmen einer Delegationsreise im August verschiedene Regionen Brasiliens, unter anderem auch den Bundesstaat Pará.

Aus: junge Welt, 13. September 2011


Deutsche Firmen bei Belo Monte mit dabei

Gebaut wird Belo Monte vom Konsortium Norte Energia. Doch auch deutsche Firmen unterstützen den Bau des Megastaudammprojekts. Der Konzern Daimler AG wird mit seiner Tochterfirma Mercedes Benz do Brasil 540 Lastwagen mit einem Auftragsvolumen von mindestens 86 Millionen Euro liefern.

Mit den geländegängigen Fahrzeugen sollen über 100 Millionen Tonnen Erde und Gestein transportiert werden. Die Siemens-Tochterfirma Voith Hydro liefert im Rahmen eines Großauftrags im Wert von 443 Millionen Euro Turbinen, Generatoren und Transformatoren und hat mit Andritz aus Österreich und dem französischen Konzern Astom ein Konsortium gebildet.

Bisher spielt in der hiesigen Debatte um das Thema Belo Monte die Verwicklung deutscher Konzerne so gut wie keine Rolle. Die Beteiligung der deutschen Unternehmen zeigt einmal mehr, daß für die Wirtschaft einzig und allein der Profit zählt, egal ob indigenen Völkern das Land gestohlen oder überflutet wird oder ob Menschenleben bedroht sind (nm)

(jW, 13.09.2011)




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