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Brasilien im Sojawahn

Vor Erdnachhaltigkeitsgipfel »Rio plus 20«: Bewohner der Cerrado-Trockensavanne fordern ­angesichts der Zerstörung ihres Ökosystems internationale Hilfe

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Für den 20. bis 22. Juni haben die Vereinten Nationen zum Weltgipfel »Rio plus 20« geladen. In der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro soll wie schon 1992 über den Schutz der natürlichen Ressourcen bei gleichzeitigem wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt diskutiert werden. Nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung sind Schlüsselbegriffe, ebenso wie die »Green Economy«.

Das Gastgeberland betreibt die Vorbereitung mit großem Aufwand. Brasilien möchte als Vorreiter bei den angestrebten Zielen glänzen. Doch davon ist der boomende Schwellenstaat weit entfernt. Im Vorfeld haben sich erneut die Völker des Cerrado zu Wort gemeldet und einen dramatischen Hilferuf an die brasilianische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft gerichtet.

»Wir Jäger und Sammler, Kleinbauern und Fischer, wir, die Bewohner des Cerrado … fordern sofortige Maßnahmen, um die dramatische Zerstörung unseres Ökosystems und seiner Völker zu beenden«, heißt es in dem Papier. Allein im vergangenen Jahr seien 646000 Hektar bislang naturbelassener Flächen vernichtet worden, umgerechnet 1772 Hektar pro Tag.

Die Bewohner melden sich nicht das erste Mal zu Wort. Brasiliens Cerrado gilt als das artenreichste Savannenökosystem der Erde. Dennoch fördern die wechselnden Regierungen seit den 1970er Jahren dessen systematische Kolonisierung. Wissenschaftlich und technisch unterstützt wurden sie dabei von der staatlichen Agentur für Landwirtschaft und Pflanzenforschung, EMBRAPA. Ergebnis: Von den ursprünglich knapp über zwei Millionen Quadratkilometern (zum Vergleich: die Gesamtfläche Deutschlands beträgt rund 357000 Quadratkilometer) seien heute bereits 57 Prozent komplett zerstört und die Hälfte der übrigen Gebiete stark geschädigt, so die Naturschutzorganisation Conservation International (CI).

Hauptursachen der Vernichtung sind das kontinuierliche Vorrücken der Agrarfront und der Straßenbau. Vor allem riesige Monokulturen von Sojabohnen- und Mais werden angelegt. Gefällte Bäume werden zu »grüner Energie« – Feuerholz und Holzkohle für die Sojaverarbeitung, den Bergbau und den Betrieb von Stahlhütten.

Die Bundesstaaten Mato Grosso do Sul, Goiás und Mato Grosso weisen derzeit die größten Cerradoverluste auf. Dort hat sich das Vernichtungstempo zwar verringert, doch nur, weil es kaum noch geeignete Flächen zur »kostenlosen« und »straffreien« Abholzung der ursprünglichen Trockenwaldvegetation gibt. In Mato Grosso bedeutet das eine noch größere Gefährdung der dortigen restlichen Regenwaldgebiete. Der Staat umfaßt sowohl Teile der Zentral- wie der Amazonasregion. Die Cerradovernichtung konzentriert sich inzwischen in den nördlichen und östlichen Nachbarstaaten, Maranhão, Tocantins, Piauí und Bahia. Diese neue Agrarregion kurz »MaToPiBa« genannt, lockt vor allem Sojapflanzer aus Südbrasilien, Rio Grande do Sul, Paraná und Santa Catarina sowie US-Farmer und Investoren. Die Bodenpreise sind relativ gering, weitgehend ebene Flächen eignen sich bestens für den Maschineneinsatz.

Die Savanne ist genauso wie der Amazonasregenwald angestammtes Territorium von Dutzenden Indianervölkern und Lebensraum von traditionellen, nachhaltig von der natürlichen Artenvielfalt lebenden Bevölkerungsgruppen. Bis heute ist nur ein geringer Teil des Cerrado als Indianergebiet oder Sammelreservat anerkannt und vor Abholzung geschützt. Die meisten noch nicht umgewandelten Flächen sind Staatsland, das der Privatisierung und Kolonisierung zur Verfügung steht. Laut brasilianischem Waldgesetz, dem sogenannten Código Florestal, darf jeder Grundbesitzer außerhalb der Amazonasregion (Amazônia Legal) 80 Prozent seines Cerrado­bestandes kahlschlagen. Innerhalb der Amazônia Legal ist die erlaubte Cerradoabholzung auf 35 Prozent der Fläche beschränkt, doch in der Praxis hat sich dieses seit 1965 bestehende Gesetz nicht bewährt. Illegale Abholzungen wurden nicht verhindert. Die seit 2005 von der Agrarlobby auf den Weg gebrachte Novelle wird diese Praxis noch verschlimmern. Brasilianische und internationale Regenwaldschutzorganisationen fordern eine Beibehaltung des alten Código Florestal, weil die Reform noch gravierendere Auswirkungen zeigen werde. Sie weiche den Waldschutz weiter auf und sei Anreiz für noch mehr Rodungen, kritisierte die Biologin Maria Teresa Piedade vom nationalen Amazonas-Forschungsinstitut in Manaus (Inpa).

Auch der Regierung Dilma Rousseff ist wenig am Schutz der Savannen, sondern mehr an deren Umwandlung in Anbauflächen für sogenannte Cash-Crops gelegen. Das zeigt u.a. die Ankündigung, einen gewaltigen Soja-Hafen am Amazonas bei Belém zu bauen – Exportförderung für die Ernten aus der MaToPiBa-Region sowie aus Mato Grosso und Goiás.

Parallel dazu engagieren sich die brasilianischen Sojaproduzenten und die Experten der staatlichen ­EMBRAPA verstärkt in Afrika. Sie wollen der »Wunderbohne« auch in den Savannenregionen des Schwarzen Kontinents zum Siegeszug verhelfen. Diese Expansion nach Afrika wird großzügig von der »Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung« unterstützt. 2,5 Milliarden US-Dollar stellt die nach dem Microsoft-Gründer William Gates und dessen Ehefrau benannte Institution zur Verfügung. Anfang April trafen sich Mitglieder der Stiftung zu einem Sojagipfel mit der ­EMBRAPA in Brasilien. Mit dabei die von Bill & Melinda Gates gemeinsam mit der Rockefeller-Stiftung finanzierte, gentechnikfreundliche »Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika« (Agra) sowie die gleichfalls auf Soja setzende »Howard G. Buffett Foundation«. Brasiliens Farmer und Großgrundbesitzer bedienen sich immer stärker der Gentechnik. In der Anbausaison 2011/2012 pflanzten sie 15 Prozent mehr Gensoja an als im Vorjahr. 85 Prozent von insgesamt 25 Millionen Hektar Anbauflächen sind nun mit gentechnisch manipulierten Sojasorten bestellt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Mai 2012


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