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Mord für Sojaanbau

Überfall von Großgrundbesitzern auf Indigenen-Camp in Brasilien

Von Tainã Mansani und Mario Schenk, São Paulo *

Am 18. November wurde zum wiederholten Mal ein Indigenen-Camp in Brasilien überfallen. Dabei schossen vermummte Pistoleiros auf die rund 520 Indigenen. Sie ermordeten deren Anführer Nísio Gomes und verschleppten drei Kinder. Das Lager gehört Angehörigen der Ethnie Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul, einem der südwestlichen Bundesstaaten Brasiliens und liegt zwischen zwei großen Großgrundbesitztümern, sogenannten Fazendas.

Nach Angaben des Sohnes Valmir Gomes erlag der Häuptling den Schußverletzungen an Kopf, Gesicht und Beinen noch am Ort des Überfalls. Sein Leichnam wurde von den Mördern weggeschleift und auf einem der Jeeps weggebracht. Des weiteren verschleppten die Täter drei Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren. Den Berichten zufolge entkamen die anderen, weil sie sich rechtzeitig in den Wald retten konnten. Gegenüber der Polizei bestätigte Valmir Gomes, daß die Täter zu den benachbarten Fazendas gehörten. Mit Gewalt werden so Fakten geschaffen.

Wie jetzt die Zeitung O Estado de São Paulo berichtete, hat sich der betreffende Bundesstaat Mato Grosso do Sul in diesem Jahr zur Konfliktregion mit den meisten Auseinandersetzungen zwischen Indigenen und Agrarproduzenten entwickelt. Hauptursachen sind dabei der industrielle Sojaanbau sowie die großflächige Viehhaltung. Aufgrund der großen Nachfrage nach Soja wuchs dessen Anbaufläche in der Region in den vergangenen sieben Jahren um acht Prozent. Dies gelingt nur durch Umwidmung von Ackerland oder illegale Landnahme. Dabei wird immer öfter in indigenes Land eingedrungen, was mit der Vertreibung der Bewohner einhergeht. So wurden einem Bericht der katholischen Kirche der Region zufolge zwischen 2003 und 2010 insgesamt 253 Indigene ermordet – Taten, die allesamt ohne strafrechtliche Folgen blieben.

Infolge der Vertreibung im Landesinneren siedeln sich die Indigenen vermehrt an den Rändern der großen Land- und Versorgungsstraßen an. Wie sich nun gezeigt hat, ist die Situation in den mittlerweile 31 Camps für die Guarani jedoch weiterhin extrem gefährlich. Obwohl Gewißheit über die Herkunft der Angreifer des jüngsten Übergriffs herrscht, fehlt von den Tätern jede Spur. Eine Allianz aus Bewohnern des Landkreises, von NGOs und Dozenten der Universität Mato Grosso do Sul erklärte nach dem Überfall in einem offenen Brief an das Justizministerium, daß »der Staat, die Politiker und die Gesellschaft Komplizen dieser Gewalt sind, wenn sie schweigen und nichts unternehmen, um dies zu ändern«.

Das unrechtmäßige Voranschreiten des Agrobusineß in der Region ist der Hauptgrund, der zu Schwierigkeiten bei der Demarkierung, der Übertragung von Land auf indigene Stämme, führt. Erst kürzlich wurde die Anerkennung von Reservaten durch die Lobby der industriellen Landwirtschaft mit juristischen Einwänden und der Unterstützung von Kongreßabgeordneten aus den Reihen des Agrarbusineß gestoppt. Dies geschah, obwohl die Gebiete als indigenes Land gekennzeichnet sind.

* Aus: junge Welt, 28. November 2011


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