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Grüne Spitzenkraft geht

Zuviel Kröten geschluckt? Brasiliens bekannteste Umweltpolitikerin und langjährige Ministerin Marina Silva verläßt die Partido Verde

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Die Abholzungsraten in Amazonien steigen gerade wieder einmal. Am Ufer des Rio Xingu sind die ersten Bulldozer zugange, es beginnen die Bauarbeiten des von Aktivisten und Ureinwohnern abgelehnten Megastaudamms Belo Monto. In dieser Situation kehrte Brasiliens »Umweltikone« Marina Silva ihrer Grünen Partei (Partido Verde – PV) den Rücken und erklärte vergangenen Donnerstag den Austritt. Als einen der Gründe gab sie mangelnde Demokratie innerhalb der brasilianischen Grünen an. Sie sei jedoch generell enttäuscht von Parteienpolitik in Brasilien und wolle deshalb nun eine neue überparteiliche Bewegung gründen.

Vor drei Jahren erst war die 53jährige aus der Arbeiterpartei (PT) aus- und im Jahr darauf bei den Grünen eingestiegen. Als Umweltministerin unter Präsident Luiz Inacio »Lula« da Silva hatte sie zwischen 2003 und 2008 eine beispiellose Industrialisierungspolitik begleitet und dabei eine Kröte nach der anderen geschluckt. Bis es zu viele waren. Begonnen hatte es mit der Erlaubnis zum Anbau von Gensoja in Brasilien –heute einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Es ging weiter mit der Teilumleitung des Rio São Francisco, die Entscheidung zum Bau von gigantischen Wasserkraftwerken an Rio Madeira und Rio Xingu – mit verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt. Auch der massive Wiedereinstieg des Landes in die Atomkraft gehört dazu –mit der Genehmigung des einst auf Eis gelegten Kernkraftwerks Angra 3 und dem Bau des ersten lateinamerikanischen Atom-U-Boots sowie der Ausweitung des Uranbergbaus. All dies machte Silva an führender Stelle mit, ohne daß im Gegenzug Lulas Regierung ernsthafte Maßnahmen zum Stopp der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes, dem offiziellen Hauptanliegen der Umweltpolitikerin, unternahm. Im Gegenteil: Die Rodungen gingen weiter – mal stärker, mal weniger stark.

Kein Zweifel: Mit ihrer Grundposition schien die Exumweltministerin bei den Grünen besser aufgehoben als bei der PT. Dennoch gab es auch bei der PV für Marina Silva fette Kröten zu schlucken, die allerdings nicht grün, sondern eher rosa waren: Die liberale Politik der PV zum Thema Abtreibung und die Anerkennung von homosexuellen Ehen gehörten dazu. Dies waren Dinge, die für die bekennende Anhängerin und Missionarin der fundamentalistischen evangelischen Pfingstkirche »Assembleia de Deus« (Gottesversammlung) offensichtlich auf Dauer nicht zu vertreten waren.

Sie äußerte sich jüngst in einem Interview mit dem brasilianischen Nachrichtenmagazin Época zur Kritik von seiten einiger ihrer grünen Parteigenossen an ihrer Religionsausübung. Wenn sie zwischen der Partei oder ihrem Glauben wählen müsse, so falle ihr die Wahl leicht: »Ich bin Missionarin der Assembleia de Deus«.

Auf die Frage, ob sie bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2014 als Kandidatin zur Verfügung stehe, antwortete sie ausweichend. Momentan stehe dies nicht zur Debatte. Wenn es 2014 die politischen Verhältnisse in Brasilien aber zulassen sollten, dann bitte sie Gott um den Mut, erneut zu kandidieren.

Zusammen mit Marina Silva erklärten auch einige ihrer Anhänger bei den Grünen, wie der Unternehmer Guilherme Leal und ihre langjährige »rechte Hand« João Paulo Capobianco ihren Parteiaustritt.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2011


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