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Siebter Rücktritt

Brasiliens Arbeitsminister stolpert über Korruptionsaffäre. Skandalserie um Regierung reißt nicht ab

Von Andreas Knobloch *

Am Ende war der Druck zu groß. Nachdem er sich 27 Tage an seinen Posten geklammert hatte, reichte der brasilianische Arbeitsminister Carlos Lupi von der sozialdemokratisch orientierten PDT (Demokratische Arbeiterpartei) am Sonntag (4. Dez.) seinen Rücktritt ein. Er ist bereits der siebte Minister, der seit Jahresbeginn aus dem Amt scheidet – und der sechste, der dies wegen Korruptionsvorwürfen tut. Mit seinem »freiwilligen« Abgang kam Lupi seiner Entlassung durch Präsidentin Dilma Rousseff zuvor. Die hatte ihn eigentlich erst im Januar im Rahmen einer seit längerem geplanten Regierungsumbildung ablösen wollen. Doch nach immer neuen Enthüllungen und einer entsprechenden Empfehlung der Ethikkommission des brasilianischen Parlaments in der vergangenen Woche war Lupi als Minister selbst für die eigene Partei unhaltbar geworden.

Noch in Caracas, wo sie an der Gründung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) teilgenommen hatte, erklärte sie, daß sie objektive Entscheidungen treffen müsse und keineswegs romantisch veranlagt sei. Das war zu Hause als Ankündigung der Demission Lupis verstanden worden. Der hatte bei einer Anhörung im Kongreß im November pathetisch verkündet: »Dilma, ich liebe dich.«

Bei seinem Abgang beschuldigte Lupi die Medien der »politischen und persönlichen Verfolgung«. Er sei Opfer unbewiesener Anschuldigungen, ohne das Recht zu haben, sich zu verteidigen. Mit seiner Demission wolle er verhindern, daß »der Haß der reaktionärsten und konservativsten Kräfte dieses Landes gegenüber dem Arbeitsministerium nicht noch andere Sektoren der Regierung vergiftet«.

Der Fall war ins Rollen gekommen, als Anfang November mehrere Zeitungen über Unregelmäßigkeiten bei der Zusammenarbeit des Ministeriums mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) berichteten. Die Zeitschrift Veja enthüllte, daß Mitarbeiter des Ministeriums Schmiergelder verlangt hätten, damit sie bestehende Verträge weiterlaufen lassen. Andere Enthüllungen folgten. Anschuldigungen, er habe das Privatflugzeug des Unternehmers Adair Meira genutzt, der über die unabhängigen Organisationen Geld vom Arbeitsministerium erhielt, wies Lupi zunächst zurück. Er mußte aber nach der Veröffentlichung von Fotos, die ihn beim Aussteigen aus besagtem Flugzeug zeigten, dieses Verhalten eingestehen. Seine Glaubwürdigkeit war dahin. Eine Reportage der Tageszeitung Folha de São Paulo vom 1. Dezember schließlich bezichtigte Lupi, er habe fast fünf Jahre lang gleichzeitig zwei verschiedene öffentliche Ämter bekleidet und dafür die Gehälter kassiert. Schon am Tag zuvor hatte er der Ethikkommission die Unregelmäßigkeiten in seinem Ministerium nicht erklären können, die daraufhin einstimmig seine Entlassung empfahl.

Bei einem Treffen am Montag (5. Dez.) entschied die Parteiführung der PDT, trotz Lupis Ausscheiden in der Regierung zu verbleiben. Den Posten des Arbeitsministers besetzt übergangsweise der bisherige Staatssekretär Paulo Roberto dos Santos Pinto. Der gehört zwar der PDT an, genießt aber wenig Rückhalt in seiner Partei. Ursprünglich hatten Lupi und seine Partei gedroht, die Regierung zu verlassen, wenn er zum Rücktritt gezwungen werde. Lupi hatte damals getönt: »Um mich aus dem Ministerium zu entfernen, müssen sie mich schon erschießen.« Beobachter vermuten nun, daß nach der Kabinettsreform im Januar eine andere Partei, womöglich Rousseffs Arbeiterpartei (PT), das Ressort übernehmen wird.

Während sich die Präsidentin als unbeugsame Kämpferin gegen Vetternwirtschaft erweist und dafür von der Öffentlichkeit gefeiert wird, ist der Fall Lupi auch Ausdruck der Krise der Linken. Alle drei großen linken Parteien, die an der Regierung beteiligt sind – neben der PT und der PDT auch die kommunistische Partei PCdoB – haben Minister wegen Korruptionsaffären verloren.

* Aus: junge Welt, 7. Dezember 2011


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