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Korruptionsskandal im Wahlkampf

Früherer Gouverneur der brasilianischen Hauptstadt gilt als Hauptfigur eines Bestechungsnetzwerkes

Von Andreas Knobloch *

Nach zweimonatiger Haft konnte der frühere Gouverneur des brasilianischen Hauptstadtbezirks, José Roberto Arruda, am Montag das Gefängnis verlassen. Er war am 11. Februar inhaftiert worden, nachdem er versucht haben soll, den Journalisten Edson Sombra zu bestechen. Dieser soll vor Gericht als Zeuge zu einem Korruptionsnetzwerk in Brasilia angehört werden. Dieser Korrup­tionsskandal war Ende November durch Aussagen des früheren Sekretärs für Institutionelle Beziehungen des Bundesdistrikts, Durval Barbosa, aufgeflogen. Während der Vernehmungen gab Barbosa an, er habe nicht länger die Machenschaften Arrudas decken wollen, der als Haupttäter gilt. Vor der Aufdeckung des Skandals war Arruda sogar als Vizekandidat des Sozialdemokraten José Serra bei den im kommenden Oktober anstehenden Präsidentschaftswahlen im Gespräch gewesen. Nachdem das Netzwerk von Begünstigungen ans Licht kam, mußte Arruda jedoch aus seiner Demokratischen Partei (DEM) austreten und verlor seinen Gouverneursposten.

Zu den weiteren Angeklagten gehören der frühere Vizegouverneur und Unternehmer Paulo Octávio, der Präsident des Regionalparlaments, Leonardo Prudente, und weitere Politiker, darunter auch solche aus anderen Parteien, wie Júnior Brunelli von der christsozialen PSC, der Bundesabgeordnete Augusto Carvalho von der linken PPS oder Eurides Brito von der Demokratischen Brasilianischen Bewegung PMDB. Bereits 2001 war Arruda in einen Skandal um gefälschte Abstimmungen im Senat verwickelt gewesen und mußte von seinem damaligen Posten als Vorsitzender des Regierungslagers im Parlament zurücktreten.

Als Arruda in Begleitung seiner Frau Flávia das Gefängnis verließ, kam es zwischen seinen Anhängern und Gegnern zu heftigen Wortgefechten und beinahe auch zu Handgreiflichkeiten. In seinem Haus traf Arruda später mit dem früheren Chef der Casa Civil, einer Art Ministerpräsident, José Geraldo Maciel, zusammen, der als Drahtzieher des Netzwerkes aus Bestechungen und Begünstigungen gilt. Arruda wolle nun zunächst einmal »sein Leben wieder regeln«, wie ein Sprecher erklärte.

Andere Mitstreiter des Exgouverneurs sind da augenscheinlich schon weiter. So hat Arrudas früherer Parteikollege Geraldo Naves nach seiner Haftentlassung bereits seinen Parlamentssitz wieder eingenommen. Er könnte damit an der für Samstag geplanten indirekten Abstimmung über die Nachfolge Arrudas auf dem Gouverneursposten teilnehmen.

Die Wahlbehörde Justiça Eleitoral hatte Arruda im vergangenen Monat seines Amtes enthoben, da er der Partei, für die er gewählt wurde, nicht mehr angehöre. Gegen die Entscheidung der Wahlbehörde legte er keine Revision ein, um die Richter nicht gegen sich aufzubringen. Das funktionierte, denn diese argumentierten nun, daß Arruda, nachdem er aller Ämter enthoben sei, nun nicht mehr über die Instrumente verfüge, um die Untersuchungen zu behindern. Deshalb könne er auf freien Fuß gesetzt werden.

Kurz vor der Freilassung Arrudas hatte dessen Anwalt Nélio Machado die Haftbedingungen seines Mandanten mit denen in Guantánamo verglichen, zumindest was den Zugang zu Medien angehe. Sein Mandant habe seit zwei Monaten weder Fernsehen schauen noch Zeitung lesen dürfen. Angesichts einer 17-Quadratmeter-Zelle mit Doppelbett, Schreibtisch mit Sessel, Dreiercouch, Kleiderschrank, Kühlschrank und Klimaanlage bewerteten Kommentatoren diese Äußerungen jedoch als deplaziert und zynisch.

* Aus: junge Welt, 15. April 2010


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